Terrorismusexperte: „Wir brauchen ein Anti-Terror-Konzept“
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Von Jens Anker und Uwe Bremer
Der Terrorismusexperte Peter Neumann fordert von Politik und Sicherheitsbehörden Konsequenzen. Aber er warnt auch vor Aktionismus.
Peter Neumann arbeitet am King’s College in London und gilt als einer der bedeutendsten Terrorismusexperten Europas. Er forscht seit Jahren zum Thema Radikalisierung. Unsere Redaktion sprach mit ihm über den Anschlag vom Breitscheidplatz.
Herr Professor Neumann, Sie arbeiten in London, kommen aber aus Deutschland und sind zurzeit in Berlin. Wo fühlen Sie sich am sichersten?
Peter Neumann: Ich fühle mich an all diesen Orten noch sehr sicher. Tatsächlich sind terroristische Anschläge ja doch sehr selten und es können jeden Tag ganz viele andere furchtbare Dinge passieren. Man sollte sich daran erinnern, sich in diesem Zusammenhang vor Augen zu führen, dass es ja gerade der Zweck des Terrorismus ist, Angst zu verbreiten.
Glauben Sie anhand der vorliegenden Informationen, dass es sich um einen islamistischen Anschlag handelt?
Neumann: Hundertprozentig sicher kann man sich nicht sein. Die Art und Weise des Vorfalls erinnert aber doch stark an den Terroranschlag von Nizza, bei dem ebenfalls ein Lkw in eine Menschenmenge gerast ist, und wir wissen aus der Propaganda, dass der „Islamische Staat“ (IS) genau solche Anschläge promotet. Es gab auch schon islamistische Anschläge auf Weihnachtsmärkte. Ich wäre von daher nicht überrascht, wenn es sich als islamistischer Anschlag herausstellen wird.
Trauer um Opfer des Anschlags von Berlin
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Inwiefern muss die Politik jetzt reagieren und Konsequenzen ziehen?
Neumann: Die Politik muss reagieren, sie darf aber nicht überreagieren, sondern muss besonnen bleiben. Was wir brauchen, ist ein umfassendes Anti-Terrorismus-Konzept, denn die Bedrohung wird uns noch viele Jahre begleiten. Alle relevanten Bereiche müssen untersucht werden. Haben wir die richtige Technologie? Arbeiten die Behörden gut zusammen? Machen wir eine gute Präventionsarbeit? Ein solches Gesamtkonzept ist wichtiger als wilde Forderungen, wie sie üblicherweise nach jedem Anschlag erhoben werden. Weder ein Burka-Verbot noch eine Technik zur Gesichtserkennung hätten den Vorfall vom Breitscheidplatz verhindern können.
Der „Islamische Staat“ muss in Syrien und im Irak militärische Rückschläge einstecken. Ist die Bedrohung bald vorüber?
Neumann: Die Bedrohung für Europa könnte kurzfristig sogar noch steigen, weil der IS auf die Rückschläge in seinem Kerngebiet so reagiert, dass er im Sinne einer asymmetrischen Kriegsführung nun auf Anschläge in Europa setzt. Mittel- und langfristig ist es aber natürlich gut, wenn der IS besiegt wird. Denn sein Herrschaftsraum war Operations- und Rückzugsgebiet.
Von welcher Gruppe von Terroristen geht zurzeit die größte Gefahr aus?
Neumann: Es gibt drei Stränge. Erstens haben wir die nach Syrien und Irak ausgereisten Auslandskämpfer, die jetzt nach und nach zurückkommen. Dann gibt es die Unterstützer, die sogenannten einsamen Wölfe, die nicht zur Organisation gehören, aber in ihrem Sinne handeln. Und drittens mobilisiert der IS eben auch Flüchtlinge. Diese Gruppe ist am schwersten zu durchschauen, weil wir am wenigsten über sie wissen.
Welche Möglichkeiten haben die Nachrichtendienste, Taten wie die vom Breitscheidplatz zu verhindern?
Neumann: Die Dienste sind darauf angewiesen, dass Terroristen miteinander kommunizieren. Die Deutschen sind hier allerdings nach wie vor sehr auf die Amerikaner angewiesen. Und auch die Amerikaner haben es immer schwerer, weil die Botschaften in den Messenger-Diensten immer besser verschlüsselt werden.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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