Berlin. Deutschland trainiert Soldaten aus 60 Ländern – und unterstützt die Grenzsicherung in fünf Staaten. Es soll Hilfe zur Selbsthilfe sein

An der Wand hinter seinem Schreibtisch hat Oberst Jörg Dronia eine Landkarte aufgestellt. Sie zeigt Zentralafrika, den arabischen Raum, am Rand noch den Irak und Jordanien. Jeden Tag, wenn der Offizier sein Büro im Verteidigungsministerium in der Stauffenbergstraße betritt, erinnert die Karte Dronia an seinen Auftrag und Aktionsradius: an die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung.

Dahinter verbergen sich etwa 50 Hilfsprojekte. Zum einen Beratung und Ausbildung, zum anderen Lieferung von Ausrüstung, Waffen und Munition, wie Referatsleiter Dronia erläutert. Militärische Entwicklungshilfe könnte man sie nennen, würde es bloß nicht so uneigennützig klingen.

Die Peschmerga-Hilfe im Nord-Irak war eine punktuelle Krisenreaktion – die Ertüchtigungsinitiative ist dagegen als klassische Prävention gedacht. Schwerpunktmäßig unterstützt die Bundeswehr fünf Staaten, ihre Grenze effektiver zu schützen: als Hilfe im Kampf gegen den Terror, aber auch gegen Schlepper und Schleuser. Die Flüchtlinge sollen es gar nicht erst bis Europa schaffen. Es ist gerade auch im deutschen Interesse.

Zustrom von Armuts- und Kriegsflüchtlingen drosseln

130 Millionen Euro hat die Regierung für 2017 eingeplant, 100 Millionen wurden bereits 2016 ausgegeben. Der Löwenanteil, jeweils 30 Millionen, floss nach Jordanien und in den Irak. Jordanien ist nach Dronias Worten ein „Stabilitätsanker“. Dazu kommen noch Tunesien, Mali und Nigeria. Nachdem sie gerade erst in Jordanien war, will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in dieser Woche bekannt geben, auch Niger ab 2017 in die Ertüchtigungsinitiative einzubeziehen.

Sie gibt dem Drängen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach, die bilateral, mit Frankreich sowie auf EU-Ebene auf mehr Migrationspartnerschaften drängt, auch militärisch und zunehmend mit afrikanischen Staaten. Es ist Teil einer Gesamtstrategie, um den Zustrom von Armuts- und Bürgerkriegsflüchtlingen zu drosseln.

Die Ausgangspunkte des Flüchtlingselends

Merkel war die treibende Kraft bei einer Geberkonferenz, sie hat die Mittel für Entwicklungshilfe erhöhen lassen, zugleich setzt sie auf die Militärs: Die Bundeswehr half, die Flüchtlinge aufzunehmen, ihre Schiffe patrouillierten in der Ägäis, und mit der Ertüchtigungsinitiative geht sie nun an einige Ausgangspunkte des Flüchtlingselends. Was fehlt, ist eine Gesamtkoordinierung aller Initiativen der Bundesregierung. Genau das schlägt von der Leyen auch im neuen „Weißbuch“ der Bundesregierung vor. Ernsthaft aufgegriffen, wurde es bislang nicht.

Jordanien erhält 50 Marder-Schützenpanzer, Fahrzeuge und Abhörtechnik, der Irak Waffen, Munition und Lastwagen, Tunesien elektronische Überwachungsanlagen zur Sicherung der Grenze nach Libyen, Nigeria unter anderem Radarsysteme. Mit fünf Millionen Euro für Mali stärkte die Bundeswehr – parallel zu einer UNO-Mission - das Land auch im Kampf gegen Biowaffen. Zehn Millionen Euro wurden darüber hinaus für andere Projekte ausgegeben, etwa im Bereich UN-Friedensmissionen. Vor allem wird die Ausbildung in allen fünf Ländern massiv forciert.

Jordanien ist ein gutes Beispiel. Das Land hat gemeinsame Grenzen mit dem Irak und Syrien, wo der IS wütet, und der Terror ist wiederum ein Treiber der Flüchtlingskrise. Es ist einer der wenigen arabischen Staaten, der sich an der von den USA geführten Allianz gegen die IS-Miliz beteiligt – und deshalb wie am vergangenen Wochenende wieder auch Ziel von Anschlägen ist. Ein Viertel der Bewohner sind inzwischen keine Jordanier, sondern Flüchtlinge. Deswegen wird das Land massiv stabilisiert. Formal stellt die Bundesregierung das Geld zur Verfügung, mit dem die Partnerstaaten die Waffen kaufen.

Ausbildung als Traditionskompetenz der Bundeswehr

Die rote Linie bei der Lieferung von Waffen zieht der Bundessicherheitsrat. Das Gremium, das auch über Waffenexporte an Länder wie Saudi-Arabien entscheidet, muss zustimmen. Und Ertüchtigung ist nicht ohne Risiko: Was einmal geliefert wurde, kann man nicht mehr zurückholen. Deutschland vertraut den aktuellen Regierungen. Doch es gibt keine Garantie. Der Freund von heute kann nach einem Putsch der gut ausgerüstete Feind von morgen werden. Aber die Risikoabwägung fällt leicht, im Zweifel gilt: Besser jetzt vertrauensvolle Kräfte vor Ort stärken, als später selbst Soldaten in Krisengebiete entsenden zu müssen.

Ausbildung ist eine Traditionskompetenz der Bundeswehr. Die Truppe bildet einzelne Soldaten aus und führt auch Übungen mit größeren Verbänden aus den exotischsten Ländern der Welt durch. Zum Beispiel trainieren Soldaten aus Singapur auf dem sächsischen Truppenübungsplatz Oberlausitz mit vier deutschen Kampfpanzern des Typs Leopard 2A6M und neun Panzern des Typs Leopard 2A4 SGP. Der Stadtstaat ist nur viermal größer als der Übungsplatz in der Oberlausitz. Anders als zu Hause ist das Gelände hier offen und die Panzer-Crews müssen ohne Fahrspur navigieren. Außerdem können sie zu Hause nur Ziele in 800 Meter Entfernung anvisieren, hier trainieren sie mit Zielen, die fünfmal so weit entfernt sind.

Insgesamt werden derzeit 400 Soldaten aus 60 Staaten, die nicht zur Nato oder EU gehören, von den deutschen Streitkräften ausgebildet. Da ist der Logistiker aus China, der Sanitäter aus der Ukraine oder der Fallschirmspringer aus Guinea.

Die Opposition fragt seit Jahren, wie die Bundeswehr eigentlich sicherstellen will, dass ihre „Schüler“ ihr Wissen nicht missbräuchlich einsetzen, zum Beispiel zur politischen Repression.

Die Antwort darauf lautet: Sie hat keinen Einfluss darauf. Sie kann nur hoffen, dass die von ihr vermittelten Werte angenommen werden, dass die Ausbildungshilfe zur Sympathiewerbung wird und sich auszahlt, wenn ein Gast am Ende Militärattaché an einer Botschaft in Berlin wird oder Karriere macht, so wie der Pakistaner Raheel Sharif. Mitte der 80er-Jahre wurde er von der Bundeswehr ausgebildet. Er schaffte es bis zum Armeechef.