Kairo/Berlin. Nach 24 Stunden ist die Evakuierung von Aleppo gestoppt worden. Nun werden Angriffe von Assads auf letzte Rebellen-Hochburg befürchtet.
Das Grauen von Aleppo geht weiter. Der Abtransport der Menschen aus der Rebellenenklave im Osten der Stadt ist nach nur 24 Stunden gestoppt worden. Zuvor hatten Bewaffnete einen Konvoi durch Gewehrfeuer an der Weiterfahrt gehindert.
Syriens Regierung und Gegner von Machthaber Baschar al-Assad beschuldigten sich gegenseitig, auf die Busse und Krankenwagen geschossen zu haben. „Die Evakuierung ist beendet“, erklärte das russische Verteidigungsministerium, dessen Soldaten den Einsatz überwachen. Mehr als 4500 Kämpfer und 337 Verwundete seien aus Ost-Aleppo gebracht worden, sagte ein Sprecher. Insgesamt seien mehr als 9500 Zivilisten abtransportiert worden – alle, die das gewollt hätten. Fast alle Kämpfer wurden in die nordsyrische Stadt Idlib gefahren. Die Stadt ist die letzte größere Hochburg der Rebellen.
Viele Verletzte warten noch auf Rettung aus Aleppo
Der türkische Außenminister, dessen Regierung mit dem Kreml den Evakuierungsplan ausgehandelt hatte, widersprach der Darstellung Moskaus: Viele Familien würden noch darauf warten, gerettet zu werden. Auf Anordnung russischer Truppen mussten am Freitag alle Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Ost-Aleppo verlassen.
„Ich habe noch nie ein solches Ausmaß an menschlichem Leid gesehen“, berichtete die Leiterin der Syrienmission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Marianne Gasser. „Es ist schwer zu fassen, wie Menschen so etwas überleben konnten.“ Männer, Frauen und Kinder übernachten bei Kälte und Regen in den Trümmern, die meisten haben seit Tagen nichts gegessen. Andere hausen zu Hunderten in Ruinen oder ausgebrannten Fabrikhallen.
Wird Rebellen-Hochburg Idlib zum nächsten großen Kriegsschauplatz?
Weltweit wächst nun die Befürchtung, das Regime in Damaskus könnte nach dem Abzug der Rebellen Rache an der noch verbliebenen Zivilbevölkerung in Ost-Aleppo nehmen. Zudem grassiert die Angst, dass die verbliebene Rebellen-Hochburg Idlib zum nächsten großen Kriegsschauplatz werden könnte. „Ohne politische Lösung oder einen Waffenstillstand wird Idlib das nächste Aleppo“, warnte UN-Vermittler Staffan de Mistura.
Befeuert wird diese Sorge durch Äußerungen Assads. Der syrische Machthaber hatte kürzlich in einem Interview mit der russischen Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ angekündigt, die Eroberung Aleppos werde seiner Armee ein Sprungbrett zur Befreiung des ganzen Landes verschaffen. Es gehe darum, die Provinz Idlib zu „säubern“. „Wir müssen die Terroristen in die Türkei zurückdrängen, wo sie herkommen, oder sie liquidieren“, sagte Assad. In der Sprachregelung der syrischen Regierung sind alle Gegner des Regimes „Terroristen“ – ganz gleich, ob sie säkulare oder islamistische Ziele wie die IS-Milizen verfolgen.
Assad spricht von einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen
Der blutige Konflikt in seinem Land sei zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen geworden, so Assad. „Besonders die USA haben nach dem Zerfall der Sowjetunion den Kalten Krieg nicht gestoppt“, fügte er hinzu. Er äußerte zudem die Hoffnung, dass die türkische Regierung ihre Haltung zu Syrien ändern könne. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan galt lange Jahre als enger Freund Assads. Nach der blutigen Niederschlagung der Anti-Assad-Proteste übte Erdogan jedoch scharfe Kritik an Damaskus.
Der UN-Sondergesandte de Mistura erklärte, dass nach wie vor 50.000 Menschen in Ost-Aleppo eingeschlossen seien. Es gebe keine Krankenhäuser mehr. Ankara geht sogar von 80.000 bis 100.000 Menschen aus. US-Außenminister John Kerry warnte, Aleppo dürfe nicht zu einem zweiten Srebrenica werden. In der bosnischen Stadt waren 1995 mehr als 8000 Männer von serbischen Milizen abgeschlachtet worden.
Die Tragödie von Aleppo in Bildern
Auch in anderen Dörfern stockt die Evakuierung
Frankreichs Präsident François Hollande forderte, internationale Beobachter sollten den Abtransport der Menschen aus Ost-Aleppo überwachen und die noch Wartenden mit Lebensmitteln versorgen. Aus Kreisen des syrischen Regimes hieß es, die Evakuierung sei unterbrochen, aber nicht abgebrochen. Rebellen hätten versucht, schwere Waffen und Gefangene aus der Enklave zu schmuggeln.
Darüber hinaus gibt es offenbar Probleme bei der parallel laufenden Evakuierung der schiitischen Dörfer Al-Foua und Kefraya im Nordwesten Syriens – dies hatte der Iran gefordert. Hier blockieren islamistische Rebellen den Hilfskonvoi. In beiden Ortschaften sind seit September 2015 etwa 20.000 Menschen von Rebellen eingeschlossen. Entkommene berichteten, die Bewohner würden Gras essen. In Krankenhäusern werde teilweise ohne Narkose operiert.