Istanbul. Der türkische Präsident reagiert auf einen möglichen Stopp der EU-Beitrittsgespräche: Er droht, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen.

Nach der Empfehlung des EU-Parlaments zu einem Einfrieren der Beitrittsgespräche hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gedroht, die Landesgrenzen für Flüchtlinge zu öffnen.

Wenn die EU noch weitergehe, werde er Flüchtlinge nach Europa lassen, sagte Erdogan am Freitag bei einer Rede vor einer Frauenorganisation in Istanbul. Am Vortag hatte das Europaparlament empfohlen, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei einzufrieren.

Bundesregierung: Drohungen helfen nicht weiter

Die Bundesregierung setzt allerdings weiter auf das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Nach der Drohung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Grenzen für Flüchtlinge wieder zu öffnen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer: „Die EU-Türkei-Vereinbarung betrachten wir als gemeinsamen Erfolg.“

Die Fortsetzung des Abkommens liege im Interesse aller Beteiligten, sagte Demmer. „Drohungen auf beiden Seiten helfen da nicht weiter. Wo es Schwierigkeiten gibt, müssen wir die ausräumen.“

Flüchtlingspakt gilt seit März

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts sagte, die Bundesregierung habe nach wie vor Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit der Türkei. Kritik etwa am Umgang mit der Pressefreiheit ändere nichts daran, dass man im Dialog bleiben wolle. Fakt sei, dass sich beide Seiten an die geschlossene Vereinbarung hielten.

Der im März geschlossene Flüchtlingspakt zwischen der Türkei und der EU sieht unter anderem vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug hat die EU unter anderem zugesagt, nach Erfüllung von 72 Voraussetzungen die Visumpflicht für türkische Staatsbürger aufzuheben.

Die EU-Kommission will nicht über mögliche Folgen einer Grenzöffnung durch die Türkei spekulieren. „Wir arbeiten für den Erfolg des Abkommens zwischen der EU und der Türkei“, kommentierte ein Sprecher am Freitag in Brüssel. Zu „hypothetischen Szenarien“ äußere man sich nicht.

Mehrheit der Deutschen für Abbruch der Verhandlungen mit Türkei

Laut einer Umfrage sind auch immer mehr Deutsche für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Inzwischen hielten es 56 Prozent der Bundesbürger für richtig, die Gespräche mit der Türkei wegen der dortigen innenpolitischen Entwicklung abzubrechen, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten ZDF-„Politbarometer“.

Vor zwei Wochen seien es noch 45 Prozent gewesen. Für ein Abwarten der weiteren Entwicklung in der Türkei plädierten der Umfrage zufolge nun nur noch 35 Prozent. Vor zwei Wochen seien dies noch 46 Prozent gewesen. Der Anteil derjenigen, die die Verhandlungen auf jeden Fall fortsetzen wollen, blieb dagegen mit acht Prozent - nach sieben Prozent vor zwei Wochen - relativ stabil.

EU-Parlament für Einfrieren der Gespräche

Mit großer Mehrheit hatte das Europaparlament am Donnerstag ein vorübergehendes Einfrieren der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei gefordert. Von 623 Parlamentariern stimmten 479 dafür, nicht weiter mit Ankara über offene Verhandlungskapitel zu sprechen und keine neuen Kapitel zu eröffnen.

Die Resolution ist eine Aufforderung an die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission, die für die Beitrittsgespräche zuständig ist. Rechtlich ist sie nicht bindend, ihr kommt aber eine hohe Symbolkraft zu. Sie ist eine Reaktion auf die Verhaftungswelle in der Türkei nach dem Putschversuch Mitte Juli. (dpa)