Berlin/Kabul. Der Norden Afghanistans galt lange als sicher. Doch nach dem Taliban-Anschlag auf das Generalkonsulat hat sich die Lage verschlechtert.

Die Bundesregierung hält nach dem tödlichen Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif an ihrem Engagement in Afghanistan fest. Ein Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass Deutschland oder die internationale Gemeinschaft ihre Hilfen für das Land überdenken könnten. Es werde aber geprüft, wie die Sicherheitslage für deutsche Mitarbeiter verbessert werden könne.

Bei dem Anschlag auf die diplomatische Vertretung im Norden des Landes waren in der Nacht zum Freitag sechs Menschen getötet und mindestens 120 verletzt worden. Alle deutschen und afghanischen Mitarbeiter des Konsulats blieben unverletzt. Zu der Tat bekannten sich die radikalislamischen Taliban. Sie sprachen von Vergeltung für einen US-Luftangriff. Es war der heftigste Angriff auf ein deutsches nicht-militärisches Ziel seit Beginn des Afghanistaneinsatzes 2001.

Taliban-Angriff auf deutsches Konsulat in Afghanistan

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    Soldaten erschießen verdächtige Motorradfahrer

    Am Donnerstagabend war ein mit Sprengstoff beladener Lastwagen an der Außenmauer des Konsulats explodiert. Der Fahrer kam dabei um. Ein zweiter Attentäter sei lebend festgenommen worden, sagte ein Sprecher des Provinzgouverneurs.

    Anschließend drangen weitere Angreifer in das Gebäude vor und lieferten sich dort einen langen Schusswechsel mit den Sicherheitskräften. Am Freitagmorgen dann erschossen Bundeswehrsoldaten zwei Motorradfahrer, die auf das Generalkonsulat zufuhren und auch nach Aufforderung nicht anhielten. Ein dritter Motorradfahrer wurde durch die Schüsse schwer verletzt.

    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte, die Lage in Masar-i-Scharif sei „noch nicht vollständig geklärt“. Ein Sprecher ihres Ministeriums sagte, bei der Operation sei „vieles sehr gut gelaufen“. Nach Angaben des Auswärtigen Amts sorgten deutsche Polizisten sowie Soldaten aus Deutschland, Georgien, Lettland und Belgien dafür, dass die 20 Konsulatsmitarbeiter unverletzt blieben.

    Die Sicherheitslage im Norden hat sich stark verschlechtert

    Der Norden Afghanistans galt lange als relativ sicher. Seit dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes 2014 hat sich die Lage aber drastisch verschlechtert. Vor einem Jahr überrannten die Taliban die Stadt Kundus im Norden, wo die Bundeswehr lange ein großes Camp betrieben hatte. Es war der größte militärische Erfolg der Extremisten seit ihrem Sturz 2001. Im Oktober wäre es ihnen beinahe erneut gelungen, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen.

    Auch in der Gegend rund um Masar-i-Scharif ist die Sicherheit auf den Landstraßen wieder fast so schlecht wie vor 20 Jahren. Damals stoppten Kriegsfürsten den Verkehr und überfielen Reisende. Nun errichten die Taliban wieder Straßensperren, holen Regierungsmitarbeiter aus den Autos und erschießen sie. Zahlreiche Polizeiposten sind ausgebrannt und unbesetzt.

    Masar-i-Scharif selbst ist durch zahlreiche schwer gesicherte Kontrollposten geschützt. Reisende werden dort scharf kontrolliert. Die Sicherheitskräfte fürchten, dass Talibankämpfer sich unter Passagiere von Reisebussen und Autos mischen, um nach Masar-i-Scharif zu gelangen. Der gewaltige Anschlag von Donnerstagabend auf das deutsche Generalkonsulat zeigt nun aber, dass es den Milizen dennoch gelungen ist, Selbstmordattentäter und Sprengstoff in die Stadt zu schleusen.

    Sicherheitslage hatte sich in den vergangenen Jahren verbessert

    Für Masar-i-Scharif ist das ein schwerer Schlag. In den letzten Jahren hatte sich die Sicherheitslage so verbessert, dass viele Afghanen dort investiert hatten. Ein neuer Zivilflughafen symbolisierte die Hoffnung auf eine gute wirtschaftliche Zukunft. Die Militärstützpunkte auf der südlichen Seite der Landepiste zeigen aber, dass hier noch kein Frieden herrscht. Dort ist der größte Teil der 980 Bundeswehrsoldaten stationiert.

    Auch in anderen Teilen des Landes bleibt die Sicherheitslage prekär. Afghanistan zählt inzwischen 1,8 Millionen Binnen-Vertriebene. 600.000 verließen allein während der vergangenen zwei Monate ihre Dörfer, um den Kämpfen zu entgehen. In den Außenbezirken der Stadt Kundus stehen Talibanmilizen.

    Am Flughafen der Stadt sind wieder Spezialkräfte der Bundeswehr in den früheren deutschen Stützpunkt eingezogen, zusammen mit Soldaten der USA. Die Kämpfe in Kundus sind so heftig, dass die Zivilbevölkerung zunehmend leidet. Bei einem Bombardement durch US-Flugzeuge wurden vor zwei Wochen Kinder und Zivilisten getötet. (mit Agenturen)