Brüssel. Eine belgische Regionalregierung blockiert das Ceta-Abkommen zwischen EU und Kanada. Doch Kanadas Premier Trudeau will unterzeichnen.

Premierminister Charles Michel verkündete den Fehlschlag am Montagnachmittag in dürren Worten: „Belgien ist nicht in der Lage, Ceta zu unterzeichnen.“ Es ging um das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, über das beide Seiten seit sieben Jahren verhandeln. Die Vertreter der Region Wallonie hatten zuvor gesagt, dass sie nicht zustimmen würden.

Vorausgegangen war ein letzter Versuch der Bundesebene, die widerspenstigen Wallonen doch noch umzustimmen. Im Amtssitz Michels war der „Verständigungsausschuss“ zusammengekommen, der Differenzen zwischen der Zentralregierung und den Regionen beilegen soll.

Hoffnung keimt noch einmal auf

„Ich bin hier, um eine Lösung zu finden“, erklärte Außenminister Didier Reynders. Schließlich hätten ja schon „27,6 EU-Länder zugestimmt“. Gebraucht werden freilich alle 28, und eine knappe Stunde später war klar: Die kommen vorläufig nicht zusammen – und ob sie das in irgendeiner Zukunft schaffen, liegt im Dunkeln. Weder die Bemühungen während des EU-Gipfels vom vergangenen Donnerstag und Freitag noch das anschließende Wochenende verzweifelter diplomatischer Anstrengungen hatten die wallonische Blockade auflösen können.

Dabei war noch einmal Hoffnung aufgekeimt, nachdem die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland schon am Freitagnachmittag das Ende der Gespräche und ihre Abreise aus Brüssel verkündet hatte. EU-Parlamentschef Martin Schulz erzwang eine Nachspielzeit. Er stimmte die Kanadierin um, traf sich mit ihr und später auch mit seinem sozialdemokratischen Parteifreund Paul Magnette, dem Chef der wallonischen Regionalregierung und Wortführer der Bedenkenträger aus dem französischsprachigen Südteil Belgiens. Die EU-Kommission schob neue Papiere nach. Sie wollte nachweisen, dass Ceta keineswegs ein Hilfsmittel sei, mit dem sich internationale Konzerne Verfügungsgewalt über die EU-Märkte verschaffen könnten. Es half nichts.

Vertragsunterzeichnung für Donnerstag geplant

Schon am Montagmorgen – Frau Freeland war bereits abgereist – signalisierte André Antoine, Präsident des wallonischen Regionalparlaments, dass es beim Nein bleiben werde. „Es wird nicht möglich sein, dieses Ultimatum einzuhalten!“ Das bezog sich auf die Aufforderung von EU-Seite, bis zum Abend grünes Licht zu geben.

Ob es sich dabei um ein Ultimatum handelte, wie die Wallonen meinen, war freilich unter den Beteiligten umstritten. Weder die Brüsseler EU-Kommission noch der Stab von Donald Tusk, dem Präsidenten des Europäischen Rates, wollten davon etwas wissen. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau will am Dienstag zu seiner Europa-Visite aufbrechen. Am Mittwoch ist er nach bisherigem Stand zu einem Auftritt im Straßburger EU-Parlament angekündigt. Am Donnerstag soll der Brüsseler Gipfel mit den Spitzen der EU-Institutionen folgen. Feierlicher Höhepunkt: die Unterzeichnung des 1600-Seiten starken Ceta-Vertrages.

Trudeau reist zum Gipfel

Ob die noch sinnvoll ist, wenn die Zeremonie mangels Geschlossenheit der europäischen Seite entfallen muss, scheint nach dem allgemeinen Verständnis von Brüsseler Diplomaten mehr als fraglich. Am Montagabend gab es aber zumindest einen winzigen Hoffnungsschimmer: Tusk telefonierte mit dem auf gepackten Koffern sitzenden Trudeau. Die EU halte die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens trotz des anhaltenden Widerstands aus Belgien an diesem Donnerstag doch noch für möglich, hieß es nach diesem Telefonat. Noch ein wenig später wurde dann bekannt gegeben: Trudeau kommt auf jeden Fall zum Gipfel.

Bislang hatte der wallonische Premier Magnette auf Zeit gespielt. Während der gesamten Auseinandersetzung hat es der Hoffnungsträger der wallonischen Sozialisten vermieden, sich auf ein definitives Nie und Nimmer festzulegen. Es gehe um mehr Zeit zur Prüfung. Vor allem müsse hieb- und stichfest abgesichert werden, dass die von der Kommission nachgereichten Auslegungshilfen rechtsverbindlich seien.

Ceta muss nicht jetzt beschlossen werden

Sachlich und juristisch gibt es in der Tat keine Gründe, weswegen Ceta jetzt und hier unter Dach und Fach gebracht werden müsste. Wenn es Dezember würde, ein von den Wallonen ins Spiel gebrachtes alternatives Zieldatum, träte im Warenaustausch zwischen der EU und Kanada kein Schaden ein. Ohnehin ist die Unterschrift unter das Abkommen nur der Auftakt eines langwierigen Ratifizierungsprozesses, bei dem wiederum drei Dutzend Parlamente auf EU-, nationaler und regionaler Ebene zustimmen müssen.

Bis dahin treten nur die Teile des Vertrages in Kraft, die in reine EU-Zuständigkeit fallen, also beispielsweise der Verzicht auf Zölle. Das – nicht nur in der Wallonie – besonders umstrittene Kapitel zum Schutz von Investoren gegen vermeintliche Staatswillkür wird hingegen erst wirksam, wenn die Ratifizierung überall durch ist.

Politischer Schaden unübersehbar

Und auch die vorläufige und begrenzte Inkraftsetzung kann erst stattfinden, wenn das Europa-Parlament das Abkommen geprüft und gebilligt hat. Das wird nicht vor kommendem Januar stattfinden. Der politische Schaden indes ist schon jetzt unübersehbar. Wie Ceta-Befürworter in den letzten Tagen unermüdlich betonten: Wenn sich die Europäer nicht einmal mit den politisch geistesverwandten Kanadiern verständigen können, steht ihre Fähigkeit infrage, überhaupt derartige internationale Übereinkünfte abzuschließen.