Berlin. Seehofer hat seinen eigenen Plan: Der Parteichef der Christsozialen soll nach Berlin – weil die AfD ab 2017 im Bundestag sitzen wird.

Horst Seehofer will nicht so weitermachen. „Ich kann für die CSU nicht ewig den Libero machen“, hat der Parteichef der „Bild am Sonntag“ gesagt. Im modernen Fußball gilt die Position als überholt, in der CSU bald auch. Seehofer meint damit, dass er nicht länger der freie Mann sein und alles machen kann: verteidigen, gestalten, angreifen, Bayern als Ministerpräsident regieren und in Berlin auch noch dazwischengrätschen.

2017 wird er 68 Jahre alt. Dann will er kürzertreten, sich nicht länger überdehnen und eines von zwei Ämtern aufgeben. Seehofer glaubt, dass ein CSU-Chef nach Berlin gehört, im Erfolgsfall an den Kabinettstisch. Mit der Idee geht er seit Langem schwanger. Zuerst hatte er über eine Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl sinniert, auch, um im Freistaat nicht Kanzlerin Angela Merkel (CDU) plakatieren zu müssen. Sie ist bei großen Teilen der CSU wegen ihrer Flüchtlingspolitik in Ungnade gefallen.

Sinneswandel bei Seehofer

Vor einem Jahr hat Seehofer anders geredet. Da hat er noch dargelegt, warum Parteivorsitz und Amt des bayerischen Regierungschefs in eine Hand gehören. Zum einen ist Bayern die Machtbasis der CSU, München ihr strategisches Zentrum. Wenn sie zum anderen in Berlin regiert, spielt in Koalitionsrunden stets das Abstimmungsverhalten im Bundesrat eine Rolle. Das ist wiederum die Domäne des Ministerpräsidenten. Da kommt man sich schnell in die Quere. In Personalunion fällt vieles leichter.

Aber möglich wäre eine Aufteilung schon. Die CSU hat es in ihrer Geschichte oft bewiesen. Für ein stärkeres Spielbein in Berlin spricht die Annahme, dass im nächsten Bundestag sieben Parteien vertreten sein werden, die bisherigen fünf, dazu wieder die FDP und – vor einem Jahr nicht absehbar – die Alternative für Deutschland (AfD). „Damit wir da den anderen die Stirn bieten können, brauchen wir den CSU-Chef und weitere starke Kräfte in Berlin.“ Ihm wäre die Rolle auf den Leib zugeschnitten. „Es ist schön, wenn die Menschen in Bayern der Meinung sind, dass das am besten der Seehofer kann“, sagt der Parteichef.

Innenminister Herrmann will nicht nach Berlin

Er zögert, würde wohl gern in Bayern bleiben und die Aufgabe in Berlin anderen übertragen. Das Problem ist, dass die wichtigsten CSU-Kräfte in München auf das Amt des Ministerpräsidenten spekulieren, auf Seehofers Nachfolge. Innenminister Joachim Herrmann hat schon bei der letzten Anfrage abgelehnt; hörte auf den Rat seiner Ehefrau. Ihn zieht es nicht nach Berlin.

Wirtschaftsministerin Ilse Aigner kam aus Berlin nach München, just um dort einen Neuanfang zu machen. Finanzminister Markus Söder scharrt mit den Hufen, aber um Seehofer in München zu beerben. Söder kann so unterhaltsam sein wie sein Chef. Neulich in Aubing – Münchner Westen – stellte er sich bei einem Bierzeltauftritt so vor: „I bin der Markus, da bin i dahoam, und da bleibe ich auch.“ Gewiehert haben sie bei der CSU, und jeder hat den Söder sofort verstanden.

Die „Reise nach Jerusalem“ – in Wahrheit nach Berlin – geht weiter. Gut möglich, dass Seehofer am Ende übrig bleibt. Er kommt eigentlich aus der Bundespolitik, saß 28 Jahre lang im Bundestag, war zweimal Minister. Es wäre eine Reise zurück zu den Wurzeln.

Wahlkampf 2017 war schon Thema

Mit Merkel hat er sich erst am Freitagnachmittag zu einem Vier-Augen-Gespräch getroffen. Der Verlauf der Unterredung erklärt womöglich Merkels befreienden Auftritt anderntags bei der Jungen Union in Paderborn, wo sie schon über den Wahlkampf 2017 sprach – gegen Rot-Rot-Grün –, die CSU einbezog und Ankündigungen machte, die auf der Linie von Seehofers Partei sind: Verbesserungen für die Rentner, eine Aufstockung des Verteidigungsetats, eine „nationale Kraftanstrengung“ zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.

Merkel: brauchen nationale Kraftanstrengung zur Rückführung abgelehnter Asylsuchender

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    Schon vorher hatte sie klargemacht, dass das (Flüchtlings-)Jahr 2015 sich nicht wiederholen soll und dass sie sich den Satz „wir schaffen das“ verkneifen wird. Sie hat auch bei der Reform der Erbschaftsteuer und des Länderfinanzausgleichs dafür gesorgt, dass Bayern auf seine Kosten kommt. Die bisher vier Deutschland-Kongresse von CDU und CSU verliefen harmonisch und erfüllten ihren Zweck: Sie waren konsensstiftend.

    Kandidat für das Bundespräsidentenamt gesucht

    Es spricht viel dafür, dass die Kanzlerin eine weitere Amtszeit anstrebt, die Union zu einem Wahlprogramm und einem gemeinsamen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt finden wird. Seehofer wünscht sich nach eigenen Worten auch, dass die Tradition nicht abreißt und die CDU-Chefin am 4. November als Gast zum CSU-Parteitag in München kommt. Was beide allerdings noch trennt, ist die Gretchenfrage der Flüchtlingspolitik: die Obergrenze.

    Die CSU will maximal 200.000 Zuwanderer im Jahr – keinen mehr. Die Zahl ist nicht willkürlich. 200.000 war die Größenordnung der Zuwanderung 2014, aus CSU-Sicht: das letzte normale Jahr. Merkel will die Zuwanderung zwar auch begrenzen, aber von einer Obergrenze hält sie nichts. Sie wäre vor allem nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Asyl, das allen zusteht, nicht nur den ersten 200.000, die an der Tür klopfen.

    CSU ist schon mit mehreren Themen gescheitert

    In der Union wird fieberhaft nach einem Kompromiss gesucht, nach einem anderen Begriff oder einem neuen Kontext. Zum Beispiel setzt ein Einwanderungsgesetz voraus, dass man den Bedarf festlegt, am besten flexibel, von Jahr zu Jahr. „Dann sind wir nah beieinander“, hat CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärt. Es war ein netter Versuch, den Vorsitzenden der Schwesterpartei umzudeuten und einzufangen.

    Ihre Besonderheiten hat die CSU in jedem Wahlkampf gepflegt, meistens neben dem gemeinsamen Unionsprogramm mit einem eigenen Forderungskatalog, dem „Bayernplan“. Die CSU hat das Betreuungsgeld oder die Maut gefordert und in Koalitionen durchgesetzt. Das Betreuungsgeld scheiterte am Verfassungsgericht, mit der Pkw-Maut ist die CSU in der EU gegen die Wand gefahren. Das schreckt Seehofer nicht ab. Es geht längst um Höheres als Sachpolitik. „Ich werde“, verrät der Parteichef, „die Seele der CSU nicht verkaufen.“