Dresden. Lange galt Sachsen als Musterland des Ostens. Doch der Freistaat ist zunehmend in Verruf geraten. Nun steht die Regierung am Pranger.

Eigentlich ist alles schön in Sachsen: Das barocke Dresden begeistert Besucher, Leipzig ist „Hypezig“, die sächsische Schweiz malerisch, die Schüler bei Pisa immer spitze und die Wirtschaft brummt. Doch etwas ist faul im Freistaat, nicht erst seit dieser Woche. Und mittlerweile stinkt es gewaltig.

Spitze ist Sachsen gemessen an der Bevölkerungszahl auch bei rechter und rassistischer Gewalt. Wie Hohn klingt da der Satz des sächsischen Übervaters und Alt-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU), die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Dresden ist die Hauptstadt der hetzerischen Pegida. Heidenau, Freital und Clausnitz sind mittlerweile auch bundesweit Synonyme für einen wütenden Mob, der nicht nur Ausländer ablehnt, sondern zunehmend das politische System insgesamt und vor allem „die da oben“.

Behörden reagieren zumindest unglücklich

Gute Führung und Arbeitsorientierung sorgten in Sachsen zwar für Wirtschaftswachstum, den zivilgesellschaftlichen Aufbau aber hätten sie in den Hintergrund gedrängt, sagt der Politikpsychologe der Hochschule Magdeburg-Stendal, Thomas Kliche. „Die Wirtschaftsleistung wird paradoxerweise zur Ausrede für alles andere. Aber Demokratie ist Verantwortungsbewusstsein für andere Menschen, während Wirtschaft durch Egoismus getrieben wird.“

Nach 26 Jahren an der Regierung wird die sächsische CDU trotzdem nicht müde, das schöne Bild vom Freistaat in deckenden Farben zu malen – über hässliche braune Flecken. Immer wieder agieren auch die Behörden zumindest unglücklich. Flüchtlinge werden allzu leicht als Provokateure hingestellt, um rechte Ausschreitungen zu rechtfertigen. Und nicht nur Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) stellt sich die Frage, ob die Sympathien für Pegida und Co. bei der Polizei vielleicht größer sind als im Durchschnitt der Bevölkerung.

Al-Bakrs Suizid sorgt bundesweit für Entsetzen

Schon seit dem Umgang mit dem rechtsterroristischen NSU, spätestens aber seit Pegida werde deutlich, dass Teile der sächsischen Polizei „aus dem Ruder laufen und niemand viel dagegen unternimmt“, meint Kliche. „All das als Ergebnis von Inkompetenz anzusehen, würde die sächsische Polizei als dämlich hinstellen und wäre naiv.“

Als hätte man allein damit nicht genug, rückt auch noch islamistischer Terror Sachsen in den Fokus des Interesses. Wieder geht einiges schief: Der Selbstmord des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr in der JVA Leipzig sorgt bundesweit für Entsetzen. Von „Staatsversagen“ ist die Rede.

Tilli gesteht Pannen erst spät ein

Nachdem sein Justizminister tags zuvor den Tod des Syrers noch als regelkonformes Ergebnis eines unvermeidbaren Risikos dargestellt hat, gesteht Tillich Pannen ein und verspricht Aufklärung. Bei aller berechtigter Kritik seien aber „Maß und Mitte“ zu halten. „Es passieren Fehler, dazu muss man sich bekennen und das tue ich auch“, sagt der scheidende Bundesratspräsident in Berlin. In Sachsen lerne man aus der Analyse der Fehler der Vergangenheit – Tillich verweist auf Ermittlungserfolge bei der Aufklärung rechter Gewalttaten. Und das habe dazu beigetragen, „dass sich die Demokratie in Sachsen entwickelt“.

Steht Sachsen denn zu Recht am Pranger? „Nicht Sachsen, sondern die autoritären und inkompetenten Teile in Polizei und Bevölkerung und die Mitläufer in Bevölkerung und Politik“, meint Kliche. Auch die teils heftige Kritik sei angemessen, wenn sie nachhaltig bleibe und „die vernünftigen und integren Menschen in Sachsen“ ermutige, sich gerade zu machen und Rechtsstaat und Zivilgesellschaft zu bestärken. „Die Netten müssen zusammenhalten“, fordert er.

Vertrauen in staatliches Handeln wiederherstellen

Nach dem Tod Al-Bakrs fordert die sächsische SPD von ihrem Koalitionspartner, alles zu tun, damit das Vertrauen in staatliches Handeln „unter allen Umständen“ wiederhergestellt werde. Schon nach der Pressekonferenz des Justizminister war Parteichef Dulig der Kragen geplatzt. „Hauptverantwortlich“ für die Situation sei „durchaus eine gewisse Selbstgefälligkeit auch der 26-jährigen CDU-Herrschaft, die in Sachsen alles nur schöngeheißen und Probleme klein geredet hat“, legt er einen Tag später bei n-tv nach.

„Wer jetzt darüber jammert, dass Sachsen in den Augen nicht nur der bundesdeutschen Öffentlichkeit erneut bis auf die Knochen blamiert dasteht, darf nicht Ursache und Wirkung vertauschen“, sagt auch Linken-Chef Rico Gebhardt. „Es ist das von der CDU-Regierung verschuldete Staatsversagen, das zu dem Gesamtbild führt, das Sachsen heute abgibt.“

CDU sitzt sicher im Regierungssattel

Doch trotz rot-roter Übereinstimmung in der Fehleranalyse kann sich die sächsische Union laut jüngsten Umfragen im Regierungssattel sicher fühlen. Mit knapp 38 Prozent in der Wählergunst kommt derzeit niemand an ihr vorbei. Und Landtagswahlen sind erst 2019. (dpa)