Genf/Beirut. Hunderttausende sitzen im syrischen Aleppo fest. Experten fürchten eine Katastrophe. Ein Experte warnt jetzt vor einem Horrorszenario.

Der UN-Sondergesandte für Syrien hat am Freitag vor der völligen Zerstörung des Ostteils von Aleppo bis Weihnachten gewarnt. Tausende weitere Zivilisten würden umkommen und Tausende würden zu fliehen versuchen, wenn die von Russland unterstützte syrische Luftwaffe ihre Angriffe auf die Stadt ungehindert fortsetzt, sagte Staffan de Mistura am Donnerstag in Genf. Ost-Aleppo ist eine Hochburg der Rebellen, die gegen das Assad-Regime kämpfen.

Ihm bleiben nur noch Appelle: der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura.
Ihm bleiben nur noch Appelle: der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura. © dpa | Martial Trezzini

Die Welt habe die moralische Pflicht, die humanitäre Tragödie zu beenden, die sich in Aleppo abspiele. Allein in den vergangenen Tagen seien durch die anhaltenden Bombardierungen in Ost-Aleppo mehr als 300 Menschen getötet worden – unter ihnen etwa 100 Kinder, sagte de Mistura. Russland und Syrien müssten sich fragen lassen, ob sie tatsächlich ein Stadtgebiet mit 275.000 Einwohnern völlig in Schutt und Asche legen wollten, unter ihnen rund 100.000 Kinder.

Hirnoperationen auf dem Fußboden

Zuvor hatte bereits die Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen vor einem „Blutbad“ gewarnt. Im Ostteil Aleppos seien Hunderte Verwundete zum Sterben verurteilt. „Die wenigen verbleibenden Kliniken brechen unter dem Ansturm von Hunderten Verwundeten zusammen, die in Agonie auf dem Boden der Krankenzimmer und auf den Fluren liegen“, sagte Pablo Marco, der Einsatzleiter des Hilfswerks im Mittleren Osten.

„Ärzte nehmen Hirn- und Bauchoperationen an den Bombenopfern auf dem Boden von Notaufnahmen vor, weil es an Operationssälen fehlt“, so Marco. Allein in vier Tagen seien in der vergangenen Woche vier der acht noch funktionierenden Krankenhäuser im Osten Aleppos bombardiert worden. Das syrische Assad-Regime und Russland müssten das stoppen, forderte Marco.

Die heftigsten Angriffe seit Kriegsbeginn

Aleppo in Nordsyrien hatte in den vergangenen Tagen die heftigsten Angriffe der russischen und syrischen Luftwaffe seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2001 erlebt. Die syrische Armee und mit ihnen verbündete Milizen begannen zugleich Angriffe auf Rebellengebiete. Sie erzielten dabei offenbar bedeutende Geländegewinne.

Die syrische Armee rief ihrerseits Rebellen und Bewohner von Ost-Aleppo zum Verlassen der Metropole auf. Alle, die bleiben, würden sich ihrem „unausweichlichen Schicksal“ ergeben, hieß es in einer Mitteilung der Armee vom späten Mittwochabend. Die Versorgungswege der Rebellen im Norden der Stadt seien abgeschnitten worden.

Wieder Kontakte zwischen USA und Russland

Das UN-Nothilfebüro OCHA schätzt, dass rund die Hälfte der Einwohner den Osten Aleppos gerne verlassen würden. Demnach hält jedoch die militärische Präsenz der Regierungstruppen an den Ein- und Ausgängen Ost-Aleppos die Menschen vom Verlassen der Stadt ab.

Das syrische Militär treibt seit Tagen mit russischer Unterstützung eine Großoffensive in Aleppo voran. Am Mittwoch kündigte die Heeresleitung staatlichen Medien zufolge an, aus humanitären Gründen die Angriffe auf den Osten der Stadt zurückzufahren. Auf Diplomatieebene kam am Mittwoch wieder Bewegung in dem Syrien-Konflikt. Zwei Tage nach dem Abbruch der Syrien-Gespräche nahmen die Außenminister der USA und Russlands wieder Kontakt auf. (dpa/rtr/epd)