Washington. Wie geht es nach dem Ende der Syriengespräche zwischen den Vereinigten Staaten und Russland weiter? Die USA haben wohl einen „Plan B“.

Nach dem von Washington verfügten Abbruch der Gespräche zwischen Amerika und Russland über die Durchsetzung einer Waffenruhe im syrischen Bürgerkrieg ist nicht nur das Verhältnis der Supermächte auf dem tiefsten Punkt seit Ende des Kalten Krieges angekommen. Auf US-Präsident Barack Obama wächst jetzt der Druck, auf der Zielgeraden seiner Amtszeit andere Wege einzuschlagen, um das Blutvergießen und Leiden der Zivilbevölkerung zu stoppen.

In Militär- und Sicherheitskreisen in Washington ist seit Tagen die Rede von einem „Plan B“. Vor allem Republikaner, die Obamas passive Haltung in Syrien seit Jahren scharf kritisieren und für die Zuspitzung der Lage dort verantwortlich machen, fordern Taten.

Mehr Hilfe für Rebellen

Die Idee sieht im Kern eine weitere Militarisierung des ins sechste Jahre gehenden Konflikts vor, bei dem Obamas rote Linie – keine US-Bodentruppen, keine direkte gewaltsame Einmischung – erhalten bliebe.

Konkret wird erwogen, jenem Teil der Rebellen, die Washington als gemäßigt ansieht, mehr wirkungsvolles Waffenmaterial zukommen zu lassen, um sich gegen die von Russland massiv unterstützten Truppen Assads besser zur Wehr setzen zu können.

Immer unübersichtlichere Gemengelage

Dabei geht es um den Wunsch der Rebellen nach schultergestützten Luftabwehrraketen. Obama zögert jedoch mit einem Okay, weil die Befürchtung besteht, dass diese Waffen in der zuletzt immer unübersichtlicher gewordenen Gemengelage in Syrien am Ende in die Hände von Terroristen fallen könnten, die damit zivile Passagierflugzeuge angreifen. „Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht mit Kerosin ein Großfeuer ersticken wollen“, sagte dazu bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York vor wenigen Tagen ein hochrangiger europäischer Diplomat unserer Redaktion.

Dagegen erklärten Sicherheitsexperten der Denkfabrik CSIS in Washington am Wochenende, dass „Amerika vielleicht nicht selbst aktiv wird, sondern wichtige Partner wie Saudi-Arabien oder die Türkei entsprechende Waffen liefern, um die Kräfteverhältnisse in Syrien zu ändern“.

Diplomatie wird immer schwieriger

Tatsache sei, dass man die Situation nicht weiter schleifen lassen dürfe. „Moskau will Diktator Assad für immer an der Macht halten“ sagt Mark Kramer, Direktor für Studien zum Kalten Krieg an der Universität Harvard, „und ist dafür bereit so viele Menschen wie nötig zu töten.“

Die ursprüngliche Annahme Obamas, dass sein Gegenüber Wladimir Putin einer schrittweisen Ablösung Assads zustimmen würde, so der Experte, „war immer schon eine lächerliche Träumerei.“ Eine Lesart, die in Washington nach dem gescheiterten Diplomatieversuch zunehmend Anhänger findet.

Das Aus der Syrien-Gespräche, für das die USA ausschließlich Russland verantwortlich machen, hatte sich bereits wenige Tage nach der Einigung auf eine Waffenruhe in der zweiten Septemberhälfte abgezeichnet.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Erst bombardierten Kampfjets der von Amerika geführten Vielstaaten-Koalition Truppen des Assad-Regimes. Später bezichtigte US-Außenminister John Kerry Russland und Syrien, einen humanitären Konvoi mit Hilfsgütern für die Menschen in der besonders umkämpften Stadt Aleppo absichtlich unter Feuer genommen zu haben.

Danach wurde nach Angaben von UN-Menschenrechtsexperten eine „wahre Gewaltorgie entfesselt“. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einem „Schlachthaus“. Alle Appelle an Moskau, das sich aus geopolitischen Gründen als militärische Schutzmacht Assads begreift, die Waffen ruhen zu lassen, verhallten. Das Sterben ging mit noch höherer Taktzahl weiter.

Nach dem am Dienstagabend verkündeten Zerwürfnis begaben sich Washington und Moskau am Dienstag in die Schützengräben, verlegten sich auf Schuldzuweisungen und bescheinigten sich gegenseitig ausgeprägtes Misstrauen.

Fassbomben auf Krankenhäuser

US-Außenamtssprecher John Kirby erklärte, Moskau und Assad seien an einer rein militärischen Lösung interessiert und dabei gewillt, das Völkerrecht zu ignorieren. Darum schreckten sie auch nicht mit Chlorgas und Fassbomben vor der Bombardierung von Tabu-Zielen wie Krankenhäusern zurück.

Moskaus Konter: Amerika habe gar kein echtes Interesse, terroristische Anti-Assad-Gruppen wie den „Islamischen Staat“, Al Kaida oder die Fatah-al-Scham-Front (einst: Al-Nusra) wirklich auszuschalten. „Bei uns festigt sich der Eindruck, dass Washington in seinem Streben nach einem Machtwechsel in Syrien einen Pakt mit dem Teufel eingeht“, ließ das Außenministerium in Moskau verlauten.

UN-Sondergesandter sucht weiter das Gespräch

Ergebnis: „Das ist mit Sicherheit die schlimmste Periode zwischen beiden Großmächten seit dem Kalten Krieg“, sagte Philip Gordon vom „Council on Foreign Relations“. Und eine weitere Verhärtung ist bereits programmiert. Weil er sich fortgesetzt „unfreundlichen Handlungen der USA“ ausgesetzt sieht, ließ Präsident Putin ein beiderseitiges Abkommen zur Vernichtung von 34 Tonnen atomwaffenfähigem Plutonium stoppen.

Unterdessen versuchte der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura am Dienstag, trotz der eingeleiteten Eiszeit „neue Gesprächsfäden“ zu knüpfen. Die Hoffnungen waren zunächst auf einen von Frankreich eingebrachten Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat gerichtet. Darin wurde eine totale Feuerpause und ein generelles Flugverbot über Aleppo gefordert. Das einflussreichste Gremium der Vereinten Nationen könnte schon in den nächsten Tagen darüber abstimmen. Hohe Erfolgsaussichten werden dem Projekt nicht eingeräumt, wie europäische EU-Delegationen in New York inoffiziell bestätigten. Grund: „Russland als Vetomacht wird nicht mitspielen, weil eine Feuerpause das Assad-Regime schwächen würde.“