Berlin. Nach scharfen Tönen zwischen Moskau und den USA schwindet in Syrien die Hoffnung auf eine erneute Feuerpause. Die Lage spitzt sich zu.

Im Syrien-Konflikt bahnt sich eine neue Eiszeit zwischen Washington und Moskau an. Eineinhalb Wochen, nachdem US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow eine Waffenruhe für das bürgerkriegsgeschüttelte Land ausgehandelt hatten, ist die Zeit der diplomatischen Rücksichtnahme vorbei. Das Weiße Haus weist nun Russland die Schuld für die verheerende Attacke von Kampfjets auf einen UN-Hilfskonvoi nahe der Stadt Aleppo zu. Bei der Bombardierung am Montag wurden mehr als 20 Zivilisten getötet und 18 von 31 Lastwagen zerstört. Sie hatten Nahrungsmittel, Medikamente, Windeln und Decken für 78.000 Menschen geladen.

Russland wirft USA einen Informationskrieg vor

„Alle unsere Informationen besagen eindeutig, dass dies ein Luftangriff war, für den nur zwei Einheiten verantwortlich sein können: das syrische Regime oder die russische Regierung“, erklärte der stellvertretende Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, Ben Rhodes. „Auf jeden Fall machen wir Russland für Luftangriffe in dieser Gegend verantwortlich.“

Namentlich nicht genannte US-Regierungsbeamte gingen nach Berichten amerikanischer Medien noch weiter. Es werde nach einer vorläufigen Einschätzung davon ausgegangen, dass russische Kampfflugzeuge den UN-Konvoi angegriffen hätten, zitierte der Fernsehsender CNN zwei Regierungsvertreter. „Alle Beweise, die wie haben, deuten auf diese Schlussfolgerung hin.“

Moskau weist jede Verantwortung zurück

Laut US-Verteidigungsministerium sei ein russisches Angriffsflugzeug vom Typ SU-24 mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ weniger als eine Minute vor der Attacke direkt über dem UN-Konvoi gewesen, schreibt die „New York Times“. „Wir haben ein sehr gutes Bild vom Himmel über Syrien und davon, wo es Luftaktivitäten gibt“, sagte ein Regierungsbeamter dem Blatt. „Wir wissen, dass es sich bei dem betreffenden Flugzeug um eine russische und nicht um eine syrische Maschine gehandelt hat.“ Das Pentagon verfüge über Radar und andere Sensoren zur Luftaufklärung.

In Moskau wurde jede Verantwortung zurückgewiesen. Russische Diplomaten streuten in New York Einschätzungen aus dem Verteidigungsministerium, wonach es „gar keinen Luftangriff gegeben hat“. Auf Videos einer Drohne sei erkennbar, „dass Rebellen mit einem Lastwagen den Konvoi“ flankierten. „Auf diesem Fahrzeug stand ein großkalibriger Granatwerfer.“ Dadurch habe der Konvoi Feuer gefangen.

Russland: Drohne vom Typ Predator aufgestiegen

Später präsentierte das russische Verteidigungsministerium eine andere Version zum Hergang des Angriffs. Zum fraglichen Zeitpunkt habe das russische Militär ein unbemanntes Flugzeug der US-geführten Koalition in der Nähe geortet. Eine Drohne vom Typ Predator sei vom Stützpunkt Incirlik in der Türkei aufgestiegen. „Es ist die Frage, zu welchem Zweck sie sich dort befand“, sagte Generalmajor Igor Konaschenkow.

Die Rhetorik zwischen Amerika und Russland hatte sich schon am Samstag aufgeheizt, nachdem US-Flugzeuge angeblich aus Versehen 60 syrische Regierungssoldaten in einem von Rebellen kontrollierten Gebiet getötet hatten. Aus Washington hieß es, die Kampfjets hätten Stellungen der Terrormiliz IS angreifen wollen. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin wetterte daraufhin, die Attacke sei „möglicherweise gewollt“. Moskau berief eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates ein, was die amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power als „Effekthascherei“ rügte.

Hoffnungen auf erneute Feuerpause schwinden

Am Mittwoch flammten die Kämpfe in Syrien erneut auf. Fünf Ambulanzhelfer seien am Dienstagabend bei einem Angriff auf eine Klinik nahe Aleppo getötet worden, teilte die in Paris ansässige Hilfsorganisation Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM) mit. Nach Informationen der BBC soll die Klinik bei dem Luftangriff komplett zerstört worden sein. Die Angriffe seien „kein Zufall“, sagte UOSSM-Chef Zaydoun al-Zoubi.

Jemand versuche den humanitären Helfern zu signalisieren, dass sie in Syrien nicht willkommen seien und ins Visier genommen würden. Nördlich von Damaskus stürzte nach Angaben oppositionsnaher Kreise ein Kampfjet der syrischen Luftwaffe ab. Es sei unklar, ob die Maschine abgeschossen oder wegen eines technischen Defektes abgestürzt sei.

Obama: „Kann keine militärischen Siege geben“

Vor diesem Hintergrund sind die Hoffnungen auf eine erneute Feuerpause in Syrien gering. Zwar appellierte US-Präsident Obama am Dienstag bei seinem letzten Auftritt in einer UN-Generaldebatte an alle Beteiligten, „den harten Weg der Diplomatie“ zu gehen: „In Syrien kann es am Ende keinen militärischen Sieg geben.“

Am Freitag wollen die Außenminister von mehr als 20 Staaten – darunter auch die von Amerika und Russland – am Rande der UN-Vollversammlung über Syrien beraten. Die Bundesregierung schätzt die Chancen auf eine weitere Waffenruhe aber als nicht sehr hoch ein. „Offensichtlich besteht aufseiten des Regimes und seiner Verbündeten kaum Interesse an einer politischen Lösung des Konfliktes“, erklärte Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer.