Berlin. Der rechte Aktionismus in Deutschland wandelt sich. Das zeigt auch die sogenannte Identitäre Bewegung. Wie gefährlich ist die Gruppe?

Es war ein Spiel mit den Symbolen, das die rechten Aktivisten ins öffentliche Bewusstsein katapultiert hat: Mehr als ein Dutzend junger Männer der sogenannten Identitären Bewegung (IB) kletterten mit Gurten gesichert auf das Brandenburger Tor. An dem Ort, der seit der Einheit für das Ende der deutsch-deutschen Grenze steht, entrollten sie ihre Transparente. Darauf der Schriftzug: „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“. Auf einem anderen Plakat die Forderung: „Grenzen schützen! Leben retten“.

„Die Aktivisten treten anders auf als weitere rechte Gruppierungen, anders als Neonazis oder auch die sogenannten Reichsbürger“, sagt die Publizistin Liane Bednarz, die sich mit dem Phänomen der Neuen Rechten beschäftigt und als Co-Autorin ein Buch über das Thema mitgeschrieben hat. Die Identitäre Bewegung kopiert Protestformen, die gemeinhin als typisch für linksradikale Aktivisten gelten.

„Sie geben sich einen popkulturellen Anstrich und setzen auf einen gewissen Coolness-Faktor“, sagt Bednarz. Sonnenbrille, T-Shirts, Vaterland: „Jugendliche, die rebellieren wollen, bekennen sich heute zum rechten Spektrum. Links schockt nicht mehr“, beobachtet Bednarz.

Die Bewegung hat derzeit 400 bis 500 Mitglieder, so ein Sprecher der IB gegenüber unserer Redaktion. Diese verteilen sich über 15 Regionalgruppen im gesamten Bundesgebiet.

Woher kommt die Identitäre Bewegung, welche Ziele verfolgt sie und welche Gruppen stehen ihr nahe? Wie gefährlich ist die Gruppe? Ein Überblick über einige zentrale Fragen.

1. Wo hat die Identitäre Bewegung ihren Ursprung

Seit dem Jahr 2014 ist die Identitäre Bewegung als Verein beim Amtsgericht Paderborn eingetragen. Die Ursprünge reichen allerdings weiter zurück. Als Vorbild gilt die rechtsextreme Gruppe „Bloc Identitaire“ in Frankreich, die ebenfalls gegen eine vermeintliche kulturelle „Überfremdung“ Europas kämpft. Die Thesen des politischen Spektrums der Neuen Rechten griffen auch Rechte in Deutschland auf.

In Anlehnung an die Neue Linke begründete der rechtsgerichtete deutsche Publizist Götz Kubitschek im Jahr 2008 die Methode der „konservativ-subversiven Aktion“. In seiner Zeitschrift „Sezession“ schimpfen Autoren auf die „linksliberalen Knabenblütenträume“ der deutschen Politik und kritisieren eine „Unreife, wenn Probleme ständig besprochen, aber nie gelöst werden“. Die Identitäre Bewegung fußt ideologisch auch auf Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. „Seit 2012 gab es zunächst nur eine Facebook-Gruppe“, sagt die Publizistin Liane Bednarz. Aus ihr trugen die Anhänger ihren Protest später auf die Straße.

2. Welche Theorien zeichnen die Neue Rechte aus?

In der Wortwahl klingt an, dass sich die politische Strömung von einer „alten Rechten“ abgrenzen will. Die Theorie dahinter stammt aus den 1960er Jahren. Die Strömung positioniert sich zwischen Konservatismus und Nationalismus und gibt sich einen intellektuellen Anstrich. Sie verneint grundlegende Prinzipien der Demokratie: Pluralismus, Menschenrechte und Gleichberechtigung beispielsweise lehnt die Bewegung strikt ab. Die Neue Rechte strebt eine kulturelle „Reinhaltung“ von Staaten an. „Wir lehnen den westlich-liberalen Universalismus mit seiner Globalisierung genauso ab, wie andere religiöse oder politische Utopien“, heißt es auf der Webseite der Identitären Bewegung. Sie fordert eine „Festung Europa“.

3. Was sind die Methoden der Identitären Bewegung?

Die Neuen Rechten nimmt sich bei ihren Aktionen den klassischen Agitprop (Agitation und Propaganda) der Linken zum Vorbild: Die Aktivisten wollen mit Guerilla-Aktionen wie dem Besetzen des Brandenburger Tors ihrem politischen Widerstand Ausdruck verleihen. „Die IB dreht davon Videos, teilt sie in den sozialen Netzwerken und geht höchst professionell mit dem Internet um“, sagt Liane Bednarz. In einem Internet-Shop verkauft der Verein Fahnen, Poster, T-Shirts und andere Accessoires und „Lesestoff für die identitäre Generation“. Das Symbol der Bewegung ist der griechische Buchstabe Lambda. Auch dieses Zeichen ist der Popkultur entlehnt: Im Kriegsfilm „300“ kämpfen die europäischen Spartaner gegen die nicht-europäischen Perser. Auf ihren Schildern prangt der griechische Buchstabe Lambda. Die Mitglieder verteilen Aufkleber und Flyer mit ihrem Logo. Mit Aktionen wie am Brandenburger Tor will die IB eine „europäische Verteidigungsbereitschaft, im friedlichen Sinne“ ins Bewusstsein rufen, hieß es gegenüber unserer Redaktion. Die Anhänger selbst bezeichnen sich als „IBster“, eine ironische Anspielung an das Hipstertum.

4. Wie gehen die Behörden mit der Gruppe um?

Seit August beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz die Identitäre Bewegung. Zuvor hatten bereits mehrere Landesämter die Gruppe in den Blick genommen. „Wir sehen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, sagte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zur Begründung. Die Gruppe zeige insbesondere in der Anti-Asyl-Agitation eine weitere Radikalisierung. „Gruppen wie die Identitäre Bewegung versuchen, ihre Zielgruppe da abzuholen, wo sie steht“, sagte der Verfassungsschutzchef. „Generell versuchen Extremisten, sie mit jugendgerechter Sprache anzusprechen, oftmals mit poppiger Musik.“ Das täten Islamisten ebenso wie Rechtsextremisten. „Das ist keine betuliche Werbung für die eigene Sache. Die Propaganda soll die Leute emotional ansprechen. Junge Leute sind da in besonderer Weise anfällig. Das ist gefährlich.“ Ein Sprecher der IB hob gegenüber unserer Redaktion hervor, dass die Organisation nicht verfassungsfeindlich sei: „Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz betrachten wir daher als Skandal, da er hiermit normale Jugendliche, die moralisch völlig legitime Werte vertreten auf eine Stufe mit Linksextremisten, gewaltbereiten Islamisten und dogmatischen Neonazis stellt.“

5. Welche Verbindungen bestehen zur AfD?

Auch wenn sich Co-Parteichef Jörg Meuthen von den Identitären abgrenzen will, weist das Recherchezentrum „Correctiv“ darauf hin, dass es durchaus Sympathien in der Partei gebe. In Sachsen-Anhalt kämpfe der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider für eine Öffnung nach rechts. Er halte den Beschluss der AfD für „falsch“, sich von den Identitären abzugrenzen. Tillschneider ist Bundesvorstand der sogenannten Patriotischen Plattform, einem Zusammenschluss von AfD-Mitgliedern, die sich nach eigenem Bekunden für die nationalen Interessen Deutschlands einsetzt. „Die Patriotische Plattform weist diese Stigmatisierung von jungen Idealisten, die sich für die Völker Europas einsetzen, zurück. Die Beobachtung der Identitären Bewegung ist durch nichts gerechtfertigt“, heißt es in einem Beitrag auf deren Webseite der AfD-Mitglieder. (mit dpa)