München. Selten hat ein Landesminister in der Bundespolitik ein solches Gewicht gehabt, wie er: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Joachim Herrmann (CSU) ist nach Berlin gefahren, ohne vorher seine Position hinausposaunt zu haben. Natürlich hat er sich seine Gedanken über ein Burka-Verbot gemacht und erkannt, dass er und die übrigen Unions-Innenminister nicht gut aussehen. Sie streiten, wo Geschlossenheit gefragt wäre. Und machen mit Forderungen von sich reden, obwohl sie zuständig sind und die Macht haben, sie umzusetzen. Die Konkurrenz, die Alternative für Deutschland, darf Forderungen stellen, die Union überzeugt durch Handeln – oder gar nicht. Kein Öl ins Feuer zu gießen, ist Bayerns Beitrag zur Schadensbegrenzung beim Treffen der Innenminister. Es ist das Beste, das er für seinen Kollegen im Bund tun kann. Während Herrmann als Mann der Stunde gilt, ist Thomas de Maizière seit Tagen damit beschäftigt, ein „Büroversagen“ zu erklären.

Leise und lauter, so nahm Herrmann auch in den zehn Tagen im Juli, die Bayern erschütterten, viele für sich ein, nicht nur in der CSU, sondern in allen politischen Lagern und über den Freistaat hinaus. Als alle wegen der Anschläge aufgewühlt waren, verkörperte Herrmann den Fels in der Brandung.

Was früher als „behäbig“ galt, ist heute „unaufgeregt“

Als der Notfall eintritt, gleich drei Anschläge in zehn Tagen, ist der Innenminister da. Es sind die Auftritte eines Kümmerers: ruhig, Vertrauen einflößend. Vor allem professionell. Was man von einem Mann erwarten darf, der seit neun Jahren im Amt ist. Nicht Herrmann hat sich verändert, wohl aber der Blick auf den Minister: Was früher als „behäbig“ galt, wird nunmehr als „unaufgeregt“ gewürdigt.

Hermann kann auch „Scharfmacher“, seine Paraderolle ist es nicht. Mit seinen schneidigen Vorgängern – Edmund Stoiber, Günther Beckstein – hat er wenig gemein. So wie ihm Rambo-Qualitäten abgehen, hat er auch seine Toppolizisten nicht danach ausgesucht, ob sie hart zulangen können.

Vielleicht ist der Spitzname „Balu“, den sie ihm in München verpasst haben, just dem direkten Vergleich mit seinen Vorgängern geschuldet. Stoiber nannte man das „blonde Fallbeil“. Anders als der Bär im „Dschungelbuch“ ist Herrmann nicht lust-, sondern kopfgesteuert. Nur eine Bärenstatur, die hat er schon, da passt der Spitzname.

In Zeiten des Terrors wird nicht an der Polizei gespart

Er ist der fürsorgliche Typ, der sich im Kreis „seiner“ Polizei am wohlsten fühlt. Als seine Mitarbeiter ihm einen Sommerausflug mit der Münchner Presse vorbereiten – Bootsfahrt und Museumsbesuch in der fränkischen Heimat –, hat er einen Wunsch: Nach Eichstätt soll es gehen, zur Bereitschaftspolizei. Da steht er jetzt, in der Schießübungsanlage im Keller und lässt sich alles erklären. Jeder Anwärter auf den Polizeidienst gebe im Laufe seiner Ausbildung 1000 Schüsse ab, erzählt der Ausbilder. Jedenfalls, solange die Munition noch genehmigt werde. Hat er „noch“ gesagt?

Das Wörtchen ärgert Herrmann. Es ist ein Widerhaken, der sich nicht zum ersten Mal in die Diskussion bohrt. Der Innenminister muss etwas klarstellen: „Wir haben so viel Geld wie noch nie.“ Neben ihm steht Wolfgang Sommer, der Präsident der Bereitschaftspolizei, und sagt: „Wir haben auch so viele Wünsche wie noch nie.“

Ein Beamter, der das letzte Wort behält, und ein Dialog, der innere Widersprüche offenlegt – die Tour lässt sich spannend an. In Zeiten des Terrors wird nicht an der Polizei gespart. Die Beamten in Bayern bekommen gerade moderne Anzüge, Helme, ab 2018 neue Waffen, Fahrzeuge, mehr Stellen. Bayerns Polizei war noch nie so stark. Es stimmt aber auch, dass die Beamten noch nie so viele Überstunden gemacht haben. Selten zuvor war die Polizei der Politik so lieb und teuer – und selten war sie so gefordert. Zwölf Monate im Schnelldurchlauf: G7-Gipfel in Elmau, Flüchtlingskrise, Hochwasser, Anschläge in Ansbach und Würzburg, Amoklauf in München. Jedes Stichwort steht für eine Großlage und jeder Einsatz wiederum für weitere Überstunden.

Von Amtsmüdigkeit ist keine Rede mehr

Einer, der im Kreis der Innenminister immer dabei ist, sagt, noch vor zwei Jahren habe man den Eindruck gehabt, dass Hermann „keine Lust mehr hat“. Von Amtsmüdigkeit ist keine Rede mehr. Wenn die innere Sicherheit im Aufwind ist, sollte die Thermik auch den Minister nach oben treiben.

Wenn Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer aufhört, erwartet jeder ein Duell zwischen den Ministern Ilse Aigner (Wirtschaft) und Markus Söder (Finanzen). Es kann sich aber auch die Geschichte vom lachenden Dritten wiederholen. Dann hätte Herrmann alles richtig gemacht, auch als er 2013 dem Rat seiner Frau folgte und Angela Merkels Angebot ablehnte, nach Berlin zu wechseln. Wiewohl er zu den Kritikern der ersten Stunde an ihrer Flüchtlingspolitik gehörte, zählt er zu den CSU-Leuten, die auf Ausgleich bedacht sind. Einer wie er passt zum Beuteschema der Kanzlerin, ruhig, sachlich, konsensorientiert, detailversessen, einer, der zehnmal nachhakt, bevor er ein „Büroversagen“ erklären muss.