Berlin. Die Stimmen für Rot-Rot-Grün im Bund mehren sich. Inzwischen sind Gespräche in greifbare Nähe gerückt. Wer treibt das Bündnis voran?

Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl wird bei SPD, Grünen und Linke immer stärker über ein rot-rot-grünes Bündnis diskutiert. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat mit dem Plädoyer für ein „Bündnis progressiver Kräfte“ den Stein ins Wasser geworfen. Zwar relativierte er die Äußerungen später, doch eine entscheidende Hürde ist abgeräumt: Wenn SPD, Linke und Grünen bei der Bundestagswahl eine Mehrheit bekommen sollten – anders als jetzt in Umfragen –, würden die drei Parteien zumindest Gespräche über ein Bündnis führen.

Das ist der zentrale Unterschied zu 2013, als trotz rot-rot-grüner Mehrheit nicht einmal eine Sondierungsrunde zustande kam. „Wenn die Stimmen reichen, werden wir diese Option ganz klar testen“, sagte ein Stratege aus der engen SPD-Führung. Ob es dann zu einer Koalition käme? Gut möglich.

Allerdings ist Rot-Rot-Grün im Bund bei den Bürgern unbeliebt. Nur ein knappes Drittel fände nach Umfragen ein solches Bündnis gut, die große Koalition und Schwarz-Grün werden dagegen jeweils von rund 70 Prozent der Wähler befürwortet.

Welche Chancen hat R2G – so heißt das Bündnis in der Hauptstadt wegen zwei roten Parteien und einer grünen – wirklich? Und wer will was?

Auch bürgerliche SPD-Politiker schließen R2G nicht aus

• Sigmar Gabriel. Der SPD-Chef versucht den Balanceakt: Er will sich Rot-Rot-Grün auf Bundesebene als Option sichern, auch wenn er Bedenken gegen ein solches Bündnis hat – ausgerechnet er als Schlüsselfigur wirkt deshalb unentschieden. Als Kanzlerkandidat muss Gabriel eine Machtoption jenseits der großen Koalition vorweisen können, sonst bleibt sein Anspruch auf das Amt unglaubwürdig.

Innerparteilich wächst zudem der Widerstand gegen Schwarz-Rot. Nach der Wahl würde die SPD-Basis auch einer großen Koalition sicher die Zustimmung verweigern, wenn nicht Chancen für Rot-Rot-Grün wenigstens ausgelotet wurden. Andererseits weiß Gabriel, dass das Linksbündnis vor allem außenpolitisch ein Abenteuer wäre. Hinter den Kulissen pflegt der Parteichef gute Kontakte zu führenden Linken: Er trifft sich häufiger mit Fraktionschef Dietmar Bartsch, gelegentlich mit Ex-Parteichef Oskar Lafontaine und Ex-Fraktionschef Gregor Gysi.

Mit Gysi teilt er die Idee, dass der Kampf gegen Rechtspopulismus die Klammer für die Zusammenarbeit sein könnte. Gabriel wusste, dass sein Aufruf zu einem Schulterschluss der Mitte-Links-Parteien gegen Rechts als Appell zur Koalitionsbildung verstanden würde – auch wenn er jetzt wieder bremst und mit Blick auf Äußerungen von Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht erklärt, eine Koalition komme erst infrage, wenn sich die Linke geändert habe. Vorarbeiten als Bündnisschmiede hat eine R2G-Gruppe geleistet, in der sich Abgeordnete der drei Parteien zusammengetan haben. Sie feilen bei regelmäßigen Treffen in einer Kneipe in der Thüringer Landesvertretung in Berlin an inhaltlichen Bausteinen. Und sogar bürgerliche Sozialdemokraten wie Fraktionschef Thomas Oppermann schließen R2G nicht aus.

Koalition soll nicht am Thema Nato scheitern

• Sahra Wagenknecht. Die Linke-Fraktionschefin gilt vor allem bei SPD und Grünen als das größte Hindernis für ein Linksbündnis. Sie und ihr Ehemann Oskar Lafontaine stellen hohe Hürden auf, verlangen einen radikalen Kurswechsel der SPD – in der Sozialpolitik vor allem. Aber die Scharmützel besagen nicht viel. Auch bei SPD und Grünen weiß man, dass Wagenknecht gebraucht wird, um den linken Flügel ihrer Partei bei Laune zu halten – und im Fall der Fälle von der Koalition zu überzeugen.

Wagenknecht gibt sich gesprächsbereit: „Man kann über Kompromisse reden“ – über das Tempo von Rentenkorrekturen oder die Ausgestaltung der Vermögensteuer. Als Befürworter von R2G gelten bei den Linken vor allem die Reformer um Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Auch Bodo Ramelow, der in Thüringen als erster Linker-Ministerpräsident mit Unterstützung von SPD und Grünen regiert, drängt seine Partei zur Kompromissbereitschaft. Sie solle eine Koalition nicht an der Frage einer Nato-Mitgliedschaft scheitern lassen.

Rot-Rot-Grün nicht komplizierter als Schwarz-Grün

• Anton Hofreiter. Der Fraktionschef der Grünen ist in seiner Partei einer der wichtigsten Befürworter von Rot-Rot-Grün. Ein solches Bündnis sei nicht komplizierter als eine Koalition mit der Union, meint er mit Blick auf die CSU. „Wenn die Bedingungen stimmen, dann kann man das Wagnis eingehen.“ Hofreiter möchte, dass am Wahlabend wenigstens die Möglichkeit zu Koalitionsverhandlungen besteht. Doch sind die Befürworter, zu denen auch Jürgen Trittin gehört, nicht euphorisch. Zum einen vermissen sie bei der SPD-Führung klare Signale. „Die SPD müsste endlich anfangen, mit der Linkspartei zu reden“, sagt Hofreiter.

Andererseits fürchten die Grünen, dass auf die Linke nicht durchweg Verlass ist. Vor allem Linke-Abgeordnete aus den Westverbänden gelten als unberechenbar. Bei einer knappen Mehrheit würde es für Rot-Rot-Grün schwer. Als Gegner von R2G gelten bei den Grünen Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir. Unterstützung für sie gibt es von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der gegenüber unserer Redaktion kürzlich klar für Schwarz-Grün warb – und vor einem Linksbündnis warnte.