Berlin. Terroristen und Amokläufer scheren sich selten um Gerechtigkeit, wie wir sie verstehen. Westlichen Staaten nützt diese Sichtweise.

Die Vorfälle in Nizza und Würzburg, in München und jetzt in Ansbach, haben immer wieder die Frage aufgeworfen: Was ist der Unterschied zwischen Terroranschlag und Amoklauf? Der emeritierte Politik-Professor an der Universität Kopenhagen, Noel Parker, hat sich damit beschäftigt, wie Gewalttäter ihre Angriffe rechtfertigen und was schwerkriminelles von „normalem“ Handeln unterscheidet. Im Gespräch mit unserer Redaktion redet er über die aktuellen Fälle und die Logik von Staaten und Terroristen.

Noel Parker hat unter anderem an der Universität Kopenhagen als Politologe gelehrt. In seinen Seminaren stand unter anderem die Biografie von Osama bin Laden auf dem Lehrplan.
Noel Parker hat unter anderem an der Universität Kopenhagen als Politologe gelehrt. In seinen Seminaren stand unter anderem die Biografie von Osama bin Laden auf dem Lehrplan. © KU | Univeristät Kopenhagen

Für den Politologen gibt es auf den ersten Blick weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Terroranschlägen und Amokläufen. Für alle diese Taten brauche es „einen gewissen Grad an Wut. Die Wut kann sich bei den Tätern über Jahre aufgestaut haben“, so Parker. Die Gewalttäter handeln in allen Fällen aufgrund einer bestimmten Überzeugung, im Rausch oder weil sie von anderen Menschen angeleitet wurden. Während Parker betont, dass es bei einer einzelnen Tat mehrere Motive geben kann, scheint bei Terroranschlägen vor allem die Überzeugung der Täter stärker ausgeprägt, während Amokläufer sich eher in einem Rausch befinden.

Terroristen wollen immer politische Botschaft senden

Bei zwei Taten der vergangenen Wochen legt sich Noel Parker trotz überlappender Motive fest: die Attentate von Nizza und Würzburg waren Terroranschläge. „Zuerst dachte ich, Würzburg war ein Ausbruch von Wut, aber jetzt verstehe ich, dass es andere Motive gibt, die hinter der Tat stehen. Nizza habe ich immer als terroristischen Angriff verstanden.“, sagt der Politikwissenschaftler.

Was Terroranschläge jedoch deutlich von Amokläufen unterscheidet, ist die Tatsache, dass mit den Angriffen politische Botschaften verfolgt werden. Islamistische Terroristen berufen sich bei ihren Taten etwa auf ihre vermeintlich göttliche Berufung. Werden aus der Sicht von Terroristen Ungläubige getötet, dann ist die Botschaft: „Ihr werdet von Gott gerichtet“, so Noel Parker. Die Botschaft kann aber auch viel unterschwelliger sein, etwa „Wir gehen nicht weg“ oder „Hört auf unsere Gegner zu unterstützen“.

Versteht Attentäter die Botschaft selbst?

Dabei kommt es vor, dass der einzelne (Selbstmord-)Attentäter diese Botschaften nicht selbst sendet – vielleicht sogar gar nicht versteht. Man müsse eben zwischen den Attentätern und den Organisatoren unterscheiden. „Zynischer Weise sind es Letztere, die die taktische Arbeit machen und entscheiden, welche Botschaft gesendet wird“, so Noel Parker, der sich intensiv mit terroristischen Ideologien wie der von Al-Kaida beschäftigt hat.

Der sogenannte Islamische Staat hat sich in der jüngsten Vergangenheit auch zu Attentaten bekannt, auch wenn die Täter nachweislich keinen terroristischen Hintergrund hatten. Aber ist es nicht unlogisch, sich zu etwas zu bekennen, das man nicht begangen hat? Für die Terrormiliz jedenfalls nicht. Wenn sie solche Bekenntnisse abgeben, handeln sie taktisch, nutzen den Moment für sich. Erst im Nachbetrachtung und nur in Kategorien des Rechtsstaates sei es unlogisch, so Noel Parker.

Letztendlich ist aber fast egal, wer solch eine politische Botschaft sendet. Entscheidend ist, wie sie ankommt. Und vielen – westlichen – Staaten nütze es durchaus, wenn eine Gewalttat als Terroranschlag gebranntmarkt wird. „So entziehen sie den Tätern deren Legitimation“, sagt Noel Parker. Vor allem Länder, deren Regierung im eigenen Land keine hohe Anerkennung genießt, könnten sich so vom bösen Angreifer absetzen und sich selbst positiv darstellen.