Essen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz gibt sich seit Jahrzehnten als studierte Juristin aus. Jetzt kam heraus: das ist gelogen.

Nachdem die Lügen in ihrem Lebenslauf bekannt wurden, verzichtet die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz auf ihr Bundestagsmandat. Dies erklärte ihr Rechtsanwalt am Mittwochnachmittag in einer schriftlichen Mitteilung. Demnach habe Hinz bereits Bundestagspräsidenten Norbert Lammert informiert und ihn um einen schnellstmöglichen Termin gebeten.

Die Erklärung des Anwalts im Wortlaut: „Im Auftrag unserer Mandantin Frau Petra Hinz, MdB, teilen wir mit, dass sich Frau Hinz entschieden hat, auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zu verzichten. Sie hat den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Professor Dr. Norbert Lammert, über diesen Entschluss in Kenntnis gesetzt und ihn um einen schnellstmöglichen persönlichen Termin gebeten, um ihm gegenüber diesen Verzicht zu erklären. Der Verzicht wird gemäß § 46 Absatz 3 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes im Zeitpunkt der Erklärung gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bundestages wirksam.“

Zuvor war bekanntgeworden, dass Hinz wichtige Teile ihres Lebenslaufs erlogen hat. Das hatte am Dienstagabend ihr Essener Rechtsanwalt in einem Schreiben an die Essener Medien bestätigt, in dem die SPD-Politikerin reinen Tisch macht und ihr Doppelleben offenbart. Ihr plötzlicher Rückzug von der erneuten Kandidatur für den Bundestag am vergangenen Montag, der auch viele SPD-Parteifreunde überrascht hat, stellte sich nun in einem anderen Licht dar.

Seit Tagen war Petra Hinz mit Fragen konfrontiert worden, ob sie tatsächlich Juristin mit erstem und zweitem Staatsexamen sei und ob sie 1984 ihr Abitur abgelegt hat – und wenn ja, an welcher Schule. Beides steht in ihrem offiziellen Lebenslauf, an beiden Angaben gab es wachsende Zweifel.

Petra Hinz hat kein Abitur und auch kein Studium absolviert

So fand sich in den Mitteilungen der Essener Gymnasien aus dem Jahre 1984 – schon damals wurden die Namen der Abiturienten in den Essener Zeitungen veröffentlicht – nirgendwo der Name von Petra Hinz. Die Abgeordnete verwies auf alle Fragen bis Dienstag auf ihren offiziellen Lebenslauf, etwa auf der Webseite des Bundestags, www.bundestag.de.

Petra Hinz Bundestag
Petra Hinz Bundestag © Screenshot

Am Dienstagabend dann kam per E-Mail das Schreiben ihres Rechtsanwalts Dr. Henning Blatt von der Kanzlei Heinemann & Partner. Dieses steht auch auf der Webseite der Bundestagsabgeordneten. Dort heißt es wie folgt: „Frau Hinz hat im Jahr 1983 am heutigen Erich-Brost-Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung der Stadt Essen die Fachhochschulreife erworben. Sie hat jedoch keine allgemeine Hochschulreife erworben. Sie hat darüber hinaus kein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und auch keine Juristischen Staatsexamina abgelegt.“

Und weiter: „In der Rückschau vermag Frau Hinz nicht zu erkennen, welche Gründe sie seinerzeit veranlasst haben, mit der falschen Angabe über ihren Schulabschluss den Grundstein zu legen für weitere unzutreffende Behauptungen über ihre juristische Ausbildung und Tätigkeit.“ Mitte der 1990er-Jahre habe sie den Versuch unternommen, auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachzuholen „und so zumindest einen Teil ihrer biografischen Falschangaben zu heilen“. Aus zeitlichen Gründen habe sie dies aber aufgegeben. Frau Hinz sei auch „zu keinem Zeitpunkt rechtsberatend tätig“ gewesen. Auch dies hatte sie in ihrer offiziellen Biografie behauptet.

Die Abgeordnete bittet ihre Familie um Verzeihung

Das Schreiben des Rechtsanwalts schließt mit folgenden Worten:

„Das politische Engagement von Frau Hinz war und ist von Aufrichtigkeit und Integrität geprägt. Sie ist daher sehr bestürzt, nicht die Courage aufgebracht zu haben, für ihr Fehlverhalten geradezustehen. Sie bittet ihre Wegbegleiter, ihre Mitarbeiter, ihre Freunde und Familie, all die Menschen, die ihr vertraut haben, und auch die allgemeine Öffentlichkeit von ganzem Herzen um Entschuldigung.“

Die 54-Jährige war seit dem Jahr 2005 für die SPD Essen im Bundestag. 2013 hatte sie sich bei der letzten Wahl ihrem CDU-Gegenkandidaten Matthias Hauer nach einem bundesweit beachteten Wahlkrimi knapp geschlagen geben müssen, war dann aber über die Landesliste in den Bundestag eingezogen.

Essens SPD-Chef Kutschaty fordert Mandatsverzicht

Am Montag (18. Juli) hatte sie mitgeteilt, 2017 nicht mehr anzutreten und trat auch vom Amt der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden in Essen zurück. Thomas Kutschaty, NRW-Justizminister und Vorsitzender der Essener SPD, ging das nicht weit genug. Er forderte am Mittwoch, dass sich Hinz sofort aus dem Bundestag zurückziehen und ihr Mandat zurückgeben soll. „Wir alle sind schockiert, dass Petra Hinz uns 30 Jahre lang eine falsche Biografie aufgetischt hat“, so Kutschaty in einer Mitteilung.

Zwar seien die Sozialdemokraten stolz darauf, dass in ihrer Partei gerade kein Abitur und kein Hochschulstudium erwartet werden, um ein Mandat auszuüben, dennoch erwarte die SPD von ihren Mandatsträgern Glaubwürdigkeit und Integrität. „Dieses Vertrauen hat Petra Hinz gegenüber unseren Mitgliedern sowie den Bürgerinnen und Bürgern verspielt. Sie hat damit sich selbst, aber auch der SPD großen Schaden zugefügt“, schrieb Kutschaty. „Vor diesem Hintergrund halte ich die Fortführung des Mandats bis zur nächsten Wahl für nicht mehr möglich. Ich habe Petra Hinz daher nahegelegt ihr Mandat als Bundestagsabgeordnete sofort niederzulegen und erwarte, dass sie dieser Aufforderung unverzüglich nachkommt.“ Die Reaktion von Hinz folgte am Mittwochnachmittag.

Mitarbeiter klagten über Schikanen

Zuvor hatten sich bereits ehemalige Mitarbeiter ihres Bundestagsbüros in anonymer Form an die Öffentlichkeit gewandt und von einem unerträglichen Arbeitsklima gesprochen. Berichtet wurde von „irrsinnigen Schikanen“ und „persönlichen Erniedrigungen“, die von Hinz ausgegangen seien. Dies habe zu einer enorm hohen Fluktuation mit physischen und psychischen Folgeschäden von Mitarbeitern geführt. „Einige waren völlig am Ende.“

Petra Hinz selbst wies die Vorwürfe in ihrer Erklärung vom Montag erneut zurück: „Es geht allein um die verleumderische Diffamierung einer sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten.“