Ankara. Die Türkei erwägt die Wiedereinführung der Todesstrafe. Damit riskiert das Land einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der EU.

Die in der Türkei angestellten Überlegungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe stoßen in der Europäischen Union auf deutliche Kritik. „Kein Land kann EU-Mitglied werden, wenn es die Todesstrafe wieder einführt“, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in Brüssel. In Berlin erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, eine solche Gesetzesänderung würde „das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten“. Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn unterstrich, eine Rückkehr zur Todesstrafe bedeute, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei „abgewürgt“ würden. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz warnte die Türkei ebenfalls vor einer Wiedereinführung der Todesstrafe.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will rasch Beratungen mit der Opposition über eine Wiedereinführung der Todesstrafe aufnehmen. Dazu wäre eine Verfassungsänderung nötig. Demonstranten hatten nach dem gescheiterten Umsturz mit Sprechchören wie „Hängt sie auf“ die Hinrichtung der Putschisten gefordert. Auch Regierungschef Binali Yildirim sprach sich dafür aus, die Wiedereinführung zu prüfen. Yildirim warnte zwar vor „voreiligen Entscheidungen“, meinte aber: „Wir können diese Forderung unserer Bürger nicht ignorieren“. Der Premier denkt offenbar an eine Volksabstimmung: Man werde sich bei der Entscheidung über eine entsprechende Verfassungsänderung „an der Meinung des Volkes orientieren“. Von den Oppositionsparteien hat sich bisher nur die pro-kurdische HDP klar positioniert: Sie werde keinerlei Vorschläge zur Wiedereinführung der Todesstrafe unterstützen, erklärte die HDP.

Letzte Hinrichtung 1984

Mit einer solchen würde die Türkei gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen und einen Ausschluss aus dem Europarat riskieren. Die Todesstrafe wurde in der Türkei zuletzt Ende 1984 vollstreckt, ein Jahr nach dem Ende der Militärdiktatur. Unter der dreijährigen Herrschaft der Generäle zwischen 1980 und 1983 wurden 517 Todesurteile verhängt und 50 davon vollstreckt. Seit 1985 billigte das Parlament, das über jede Hinrichtung einzeln entscheiden musste, keine Vollstreckungen mehr. Prominentester Todeskandidat war der 1999 wegen Hochverrats verurteilte PKK-Führer Abdullah Öcalan. Vor allem auf europäischen Druck wurde das Todesurteil aber nicht vollstreckt. Nachdem das türkische Parlament im Sommer 2002 die Todesstrafe in Friedenszeiten ganz abschaffte und damit eine wichtige Reformforderung der EU erfüllte, wurden alle bereits verhängten Todesurteile, darunter auch das gegen Öcalan, in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Unter der Regierung Erdogan wurde die Todesstrafe dann 2004 auch in Kriegszeiten abgeschafft. Damit machte Erdogan den Weg frei für Beitrittsverhandlungen mit der EU.

Weltkarte mit Ländern, die die Todesstrafe anwenden.
Weltkarte mit Ländern, die die Todesstrafe anwenden. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH

Auch am dritten Tag nach der Niederschlagung des offenbar ziemlich dilettantischen Putschversuchs ist die Regierung auf der Hut. Offenbar ist man sich noch nicht sicher, ob alle Aufständischen kapituliert haben. „Der Coup wurde zwar verhindert, aber die Gefahr ist noch nicht gebannt“, sagte Verteidigungsminister Fikri Isik am Montag zu Demonstranten, die sich an der Istanbuler Wohnung von Staatspräsident Erdogan zu einer Solidaritätskundgebung versammelt hatten. Wie Erdogan und Premierminister Yildirim appellierte auch der Verteidigungsminister an die Bevölkerung, sich am Montagabend wieder zu „Demokratie-Wachen“ auf den Straßen und Plätzen zu versammeln.

Regierungsmaschine angeblich von Kampfjets gejagt

Erdogan ordnete Luftpatrouillen von F-16-Kampfjets über dem ganzen Land an. Die Sicherheitskräfte wurden angewiesen, nicht identifizierte Hubschrauber abzuschießen. Während des Putschversuchs hatten Aufständische in der Nacht zum Samstag mehrere Kampfflugzeuge in ihre Gewalt gebracht. Mindestens zwei gekaperte F-16 hätten die Regierungsmaschine gejagt, mit der Erdogan in der Nacht von seinem Urlaubsort Marmaris nach Istanbul geflogen sei, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Militär- und Regierungskreise. Zwei andere F-16 hätten die Präsidentenmaschine geschützt und zur sicheren Landung in Istanbul geleitet. Wie groß die Gefahr für Erdogan wirklich war, ist unklar.

Nach Angaben von Ministerpräsident Yildirim wurden in den Wirren des Putschversuchs drei Soldaten, 60 Polizisten und 145 Zivilisten getötet. Verwirrung gab es um die Zahl der getöteten Putschisten. Während die Regierung bisher von 100 Toten sprach, nannte Yildirim am Montag die Zahl von 24.

Polizei-Großeinsatz in Ankara

Unterdessen wurden am Montag die „Säuberungen“ fortgesetzt. Nach Angaben des Innenministeriums wurden bisher fast 8800 Staatsbedienstete ihrer Posten enthoben, darunter 7900 Polizisten. Auch 30 Provinzgouverneure wurden abberufen, weil sie in die Putschpläne verwickelt sein sollen. In Istanbul veranstalteten die Sicherheitskräfte am Montag eine Razzia in der Luftwaffenakademie. In Ankara sorgte am Montag ein Mann, der vor einem Gerichtsgebäude aus einem Auto um sich zu schießen begann, für einen Großeinsatz der Polizei. Er wurde von der Polizei erschossen, zwei weitere Personen wurden festgenommen. Ob es einen Zusammenhang zu dem Putschversuch gibt, war zunächst unklar.

Nachdem die Regierung den türkischen Luftraum am Sonntag wieder für Militärflüge geöffnet hatte, haben noch am gleichen Tag die USA ihre Luftoperationen gegen die IS-Terrormiliz vom südtürkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik wieder aufgenommen. Der Betrieb war am Freitagabend wegen des Putschversuchs eingestellt worden. Seit Montag fliegt auch die Bundeswehr wieder von Incirlik. Sie beteiligt sich mit sechs Tornado-Aufklärern und einem Airbus-Tanker am Anti-IS-Einsatz.