Kairo. Syrische Regierungstruppen haben Aleppo umzingelt. Sollte die Stadt fallen, wäre das wohl der entscheidende Schlag gegen die Rebellen.

Im Präsidentenpalast von Damaskus reibt man sich die Hände. Das Täuschungsmanöver ist geglückt, das lang ersehnte strategische Ziel zum Greifen nahe. Erstmals seit Jahren konnten die Regimetruppen dieser Tage Aleppo, die zweite Metropole Syriens, komplett umzingeln. Der Westteil wird von Machthaber Bashar al-Assad kontrolliert, den Ostteil haben seit 2012 die Rebellen in ihrer Hand.

Inmitten der Trümmer leben 300.000 Menschen, deren letzte Nachschubroute in die Türkei nun gekappt ist. Dabei hatte das Regime zum Ende des Ramadans eigentlich einen 72-stündigen Waffenstillstand verkündet. In Wirklichkeit jedoch nutzten Assads Soldaten die Feuerpause zum entscheidenden Angriff – auf die Castello Straße, die letzte Lebensader des oppositionellen Aleppos. Seitdem liegt die Asphalttrasse im Schussfeld ihrer Gewehre.

Humanitäre Katastrophe befürchtet

Versuche der Rebellen, die Belagerer zurückzuschlagen, sind bisher gescheitert. „Es sieht sehr schlecht aus, die Luftangriffe sind sehr heftig“, erklärten die Kommandeure. Hunderte Menschen, die zum Zuckerfest ihre Verwandten im Ostteil besuchten, sitzen in der Falle. „Niemand kann raus und niemand kann rein in die Stadt“, berichtete der in Aleppo lebende Journalist Tamer Osman im arabischen TV-Sender „Al Jazeera“.

Die vor Ort tätige Hilfsorganisation Mercy Corps schätzt, dass die Lebensmittel höchstens für vier Wochen reichen. Krankenhäuser und Medikamentenlager hatten das Regime und die russische Luftwaffe bereits in den letzten Monaten in Schutt und Asche gelegt. „Das Ganze läuft auf eine humanitäre Katastrophe zu“, zitierte Reuters einen US-Geheimdienstler.

Moderaten Rebellen droht „Bruch des Rückgrats“

Mit der Blockade der Castello-Straße sind Damaskus und seine Waffenhelfer ihrem militärischen Hauptziel ein gutes Stück näher gekommen. Sollte Aleppo fallen, wäre den moderaten Rebellen das Rückgrat gebrochen. Politische Kompromisse in Genf, wo die UN-Verhandlungen seit Mai unterbrochen sind, hätten sich für Assad erledigt. Und Damaskus könnte sich den beiden Großmächten Russland und USA fortan als unersetzlicher Partner im Bodenkrieg gegen den „Islamischen Staat“ andienen.

Erst letzte Woche telefonierte Wladimir Putin mit seinem amerikanischen Amtskollegen Barack Obama und vereinbarte eine engere militärische Kooperation im Kampf gegen das „Islamische Kalifat“. Im Gegenzug will Russland seine Luftangriffe auf Rebellen stoppen, die vom Westen und den Golfstaaten bewaffnet und unterstützt werden. Aleppo dagegen wurde bei dem Gespräch de facto ausgeklammert, weil dort aus russischer Sicht vor allem die Al-Kaida nahe Al-Nusra-Front operiert, eine Behauptung, die das Weiße Haus und die örtlichen Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ vehement bestreiten.

Russland verfolgt in Syrien strategische Interessen

Die Al-Nusra-Brigaden sind genauso wie die Dschihadisten des „Islamische Staates“ von der international vereinbarten Feuerpause ausgeschlossen, die nur noch auf dem Papier existiert. Sie operieren oft in direkter Nachbarschaft zu moderaten Rebellen, für den Kreml eine willkommene Rechtfertigung, diese Gegner Assads gleich mit zu bombardieren.

Moskau verfolgt in Syrien zwei strategische Hauptanliegen. Zum einen möchte der Kreml die inzwischen auf 2500 geschätzten IS-Kämpfer, die aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion stammen, möglichst vor Ort bekämpfen. Einen Vorgeschmack auf deren Gefährlichkeit lieferten letzten Woche die drei Attentäter aus Russland und Zentralasien, die auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul 45 Menschen ermordeten.

Zum anderen möchte Russland sicher sein, dass das syrische Staatssystem nicht kollabiert, und das Land den Extremisten in die Hände fällt. Dabei versichern Kreml-Insider immer mal wieder, man hänge nicht an der Person von Bashar al-Assad. Eines Tages werde es einen Deal geben müssen, erklärte Fyodor Lukyanov, außenpolitischer Experte und Herausgeber der Zeitschrift „Global Affairs“. Momentan aber sehe die russische Führung keinen Grund zur Eile. Sie wolle erst einmal abwarten, wer der nächste US-Präsident werde. Und dann brauche es noch eine Menge Zeit, bis eine plausible Alternative zu Assad gefunden sei.