Berlin. Wird die Brexit-Entscheidung der Briten zum Dominoeffekt führen? Forderungen nach weiteren Referenden gibt es aus mehreren EU-Ländern.

Die Volksabstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der Europäische Union ist kaum entschieden, da fordern bereits rechtspopulistische Politiker weiterer EU-Ländern die nächsten Referenden. Ist das schon der von vielen befürchtete Dominoeffekt des Brexit?

Wo könnte ein Votum für einen „Nexit“, den nächste Exit, stattfinden? Und für welche weiteren Themen kommen Referenden sonst noch in Frage? Ein Überblick über die Forderungen und Hintergründe:

• Marine Le Pen will Referendum nicht nur für Frankreich

Die Chefin von Frankreichs rechtsextremem Front National, Marine Le Pen, hat nach dem Brexit-Votum in Großbritannien weitere Abstimmungen in den EU-Mitgliedsstaaten gefordert. „Sieg der Freiheit!“, schrieb Le Pen am Freitagmorgen auf Twitter. „Wie ich es seit Jahren fordere, brauchen wir jetzt dasselbe Referendum in Frankreich und in den Ländern der EU.“ Zuvor hatte bereits ihre Nichte Marion Le Pen, Abgeordnete der Nationalversammlung, von einem „Franxit“ gesprochen. „Es ist jetzt an der Zeit, die Demokratie in unser Land zu importieren“, schrieb sie.

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Marine Le Pen erneuert regelmäßig ihre Forderung nach einem Referendum über einen Austritt Frankreichs aus der EU. Eine Volksabstimmung ist allerdings nur mit Zustimmung des Staatspräsidenten möglich. Die EU-Abgeordnete und erbitterte Europa-Gegnerin Le Pen machte ihre Partei bei der Europawahl zur stärksten Kraft in Frankreich. Bruno Le Maire, ein potenzieller Kandidat der bürgerlichen Rechten für die Präsidentschaftswahl 2017, fordert auch ein Referendum – allerdings um die EU-Verträge zu ändern und die Union damit zu stärken.

• Geert Wilders: „Niederlande werden die nächsten sein“

In den Niederlanden fordert der Chef der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit, Geert Wilders, nach der britischen Volksabstimmung ein EU-Referendum auch in seinem Land. „Bye bye Brüssel“, jubelte er angesichts des Vorsprungs für das Brexit-Lager in Großbritannien bereits am Freitag auf Twitter. „Jetzt ist es Zeit für ein niederländisches Referendum!“

Dabei ist eine Volksabstimmung nach aktueller Gesetzeslage unmöglich, auch wenn die Mehrheit der Niederländer einer Umfrage zufolge für eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft wäre. Gesetzlich verankert ist lediglich das Instrument eines „ratgebenden“ Referendums, Volksabstimmungen dürfen nur über noch nicht-ratifizierte Verträge gehalten werden.

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Am Donnerstag hatte Wilders im Fernsehsender Phoenix gesagt: „Man kann den Geist nicht mehr in die Flasche bekommen. Das Ende der EU hat schon begonnen, unabhängig davon, wie sich die Briten entscheiden.“

• EU-Austritt könnte Wahlkampfthema in Tschechien werden

Das Brexit-Referendum hat die Debatte über einen möglichen „Czexit“ entfacht. Ein Ja der Briten zum Austritt werde eine „Welle des Nationalismus und Separatismus“ in ganz Europa auslösen, warnte der sozialdemokratische Regierungschef Bohuslav Sobotka. Beobachter befürchten, dass das Thema dann den tschechischen Parlamentswahlkampf 2017 dominieren könnte.

Als schärfster EU-Kritiker gilt Ex-Präsident Vaclav Klaus, der zuletzt beim AfD-Parteitag in Stuttgart auftrat. Anfang Mai scheiterte indes ein Antrag der rechtspopulistischen Morgenröte (Usvit), über ein Austrittsreferendum im Abgeordnetenhaus in Prag zu beraten.

• Dänische Rechtspopulisten wollen „Selbstbestimmung zurückgewinnen“

Dänische Rechtspopulisten hatten für den Fall eines Brexits ein Referendum über einen EU-Austritt im eigenen Land gefordert. „Dann will ich eine Volksabstimmung haben, um zu klären, ob Dänemark sich so eine Lösung wünscht“, sagte der Chef der Dansk Folkeparti, Kristian Thulesen Dahl, jüngst der Zeitung „Jyllands-Posten“. „Es geht darum, mehr Selbstbestimmung zurückzugewinnen.“

Die liberale Regierungspartei Venstre wehrt sich jedoch genau wie die übrigen Oppositionsparteien gegen diesen Vorschlag. Was die Zusammenarbeit in der EU angeht, sei man nicht skeptisch, sagte Venstre-Sprecher Jakob Ellemann-Jensen. „Es gibt Dinge, in die sich die EU einmischen soll, und Dinge, in die sich die EU nicht einmischen soll.“

• Ungarn will Referendum über EU-Flüchtlingsquoten

Ungarn geht es nicht um einen EU-Austritt, dennoch sind die Menschen dort mit der Politik der EU unzufrieden. Weit fortgeschritten sind deshalb die Pläne der rechts-konservativen Regierung von Premier Viktor Orban für ein Referendum zu den EU-Flüchtlingsquoten. Dabei geht es um künftige, nicht um die schon beschlossenen Quoten. Gegen letztere klagt Budapest vor dem Europäischen Gerichtshof.

Die Abstimmung ist im Herbst geplant, der Termin noch offen. Das Verfassungsgericht wird noch prüfen, ob es verfassungskonform ist und nicht etwa gegen internationale Verträge verstößt. Die demokratische Opposition kündigte bereits einen Boykott des Referendums an. Damit es gültig ist, müssen daran mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen.

• Auch Polen will Referendum zur Flüchtlingsfrage

Auch in Polen sind von Regierungsseite derzeit keine Referendums-Initiativen geplant. Die nationalistische Bewegung, als Teil der Partei Kukiz15 auch im Parlament vertreten, sammelt allerdings Unterschriften für eine Volksabstimmung, bei der die Bürger über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheiden sollen. Ob das Referendum durchgeführt wird, ist offen. Sollten die Wähler in der Flüchtlingsfrage das letzte Wort haben, dürfte Polen als Zufluchtsland wegfallen – in Umfragen waren zuletzt mehr als 70 Prozent gegen die Ansiedlung von Flüchtlingen.

• Regierungen im Baltikum lassen bislang keine Referenden zu

In Estland, Lettland und Litauen findet sich mehr Begeisterung für die EU als in vielen älteren westlichen Mitgliedstaaten. Verschiedene Krisen geben EU-Skeptikern und Rechtspopulisten aber Auftrieb. Einzelne Oppositionsparteien und Einwanderungsgegner fordern etwa Referenden über die Flüchtlingspolitik und die Aufnahme von Migranten. Die Regierungen in Tallinn, Riga und Vilnius beugen sich dem aber bislang nicht.

• Spekulationen über Unabhängigkeit Schottlands und Nordirlands

Schottland und Nordirland hatten beim Brexit-Referendum mehrheitlich für den Verbleib in der EU votiert. Nun wird darüber spekuliert, ob sich die beiden Länder nach der Brexit-Entscheidung der Briten für eine Loslösung von der Londoner Zentralregierung stark machen und eine Unabhängigkeit anstreben werden, um in der Europäischen Union zu bleiben.

In Schottland hatte der britische Premierminister David Cameron bereits im September 2014 ein Unabhängigkeits-Referendum zugelassen. Damals war es gescheitert, weil eine knappe Mehrheit von rund 55 Prozent die Unabhängigkeit ablehnte. Nur mit Mühe gelang es Cameron, die Schotten im Königreich zu halten. „So knapp hätte es nicht werden dürfen“, sagte er später. (jkali/dpa)