Europa steht nach dem Brexit-Votum jetzt am Scheideweg
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Von Walter Bau
Berlin. Die Briten verlassen die EU. Was nun, Europa? Die Union steht vor dem Umbruch. Ein Neustart ist jetzt unausweichlich. Ein Kommentar.
Das war’s also mit den Briten und der EU. Aus dem Schreckgespenst Brexit ist Realität geworden – und in Rest-Europa blickt man in betroffene Gesichter. Letztlich hatten die meisten wohl doch damit gerechnet, dass die Mehrheit der Briten, wenn sie auch keine glühenden Europa-Freunde sind, in der Wahlkabine letztlich für die Vernunft und damit für den Verbleib in der EU stimmen würden. Doch es kam anders.
Die EU steht nach dem Austrittsvotum der Briten jetzt am Scheideweg. Großbritannien war ein Schwergewicht in der Union; es muss sich erst noch erweisen, ob die EU das Ausscheiden überhaupt verkraften kann. Wirtschaftlich dürfte das vielleicht noch gehen – aber politisch?
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Da sind Zweifel angebracht. Es besteht stattdessen die große Gefahr, dass die Fliehkräfte in der Union weiter zunehmen. In Frankreich und Italien etwa dürften die EU-Gegner weiteren Auftrieb erhalten. In einigen osteuropäischen Staaten ist die Bereitschaft zu einem gedeihlichen Miteinander in der EU ohnehin nicht besonders ausgeprägt – das hat der Streit in der Flüchtlingspolitik auf dramatische Weise deutlich gemacht.
Die EU braucht mehr Transparenz und Bürgernähe
Klar ist: Europa braucht einen Neuanfang. Ein „Weiter so“ wäre verhängnisvoll und ohne die Briten sowieso nicht zu bewerkstelligen. Diesen Neustart hat die Union dringend nötig. In den Köpfen haben die meisten der mehr als 500 Millionen EU-Bürger das „Projekt Europa“ zwar akzeptiert – eine Herzensangelegenheit ist es jedoch nur für eine Minderheit. Stattdessen steht Brüssel für aufgeblähte Bürokratie, undurchsichtige Kungelrunden und faule Kompromisse. Dabei bräuchte die EU dringend mehr Transparenz und Bürgernähe. Aber es ist fraglich, ob die Rest-EU überhaupt einen Plan hat für die Zeit nach dem Abgang der Briten.
Die Mehrheit der Briten hat der EU den Rücken gekehrt. Europa muss nun reagieren. Viel Zeit zum Umsteuern bleibt den Merkels und Hollandes, den Junckers und Tusks freilich nicht. Denn drängende Probleme rücken nun, da das Briten-Votum gelaufen ist, wieder in den Vordergrund.
Die nächsten Krisen warten schon
Die Flüchtlingskrise etwa ist mitnichten überwunden. Aus Nordafrika droht Europa ein neuer Andrang von Bootsflüchtlingen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex rechnet in diesem Jahr mit 300.000 Menschen, die die gefährliche Reise übers Mittelmeer antreten werden. Zudem weiß keiner, wie lange der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hält – der unberechenbare türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan könnte jederzeit die Schleusen wieder öffnen. Die notdürftig übertünchten Risse innerhalb der EU können jederzeit wieder aufreißen.
Auch die weit verbreitete Europaskepsis in der Bevölkerung ist nicht gebannt. In vielen Ländern der EU sind rechte und populistische Parteien auf dem Vormarsch. Bei den kommenden Wahlen in Frankreich, Italien und auch in Deutschland drohen die nächsten Zitterpartien für Europa.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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