Berlin. Die Bereitschaft, für Volk und Staat zu sterben, gehört zum Soldatenberuf. Wäre dies auch bei EU-Ausländern in der Bundeswehr gültig?

Der Vorstoß, die Bundeswehr für ausländische Kräfte zu öffnen, ist nicht ganz neu. Bereits 2011 hatte das Verteidigungsministerium, damals unter der Leitung von Minister Karl-Theodor zu Guttenberg, ein Maßnahmenpaket zusammengestellt. Darin hieß es: „Bestehende Regelungen sind so zu erweitern, dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können.“

Fünf Jahre später – die Wehrpflicht ist abgeschafft, die Bundeswehr bleibt mit 166.818 Berufs- und Zeitsoldaten hinter dem Soll von 170.000 zurück – setzt die Bundesregierung offenbar erneut auf eine Personalstrategie mit ausländischen Soldaten. Wie die „Welt am Sonntag“ jüngst berichtete, soll die Bundeswehr sich für Bürger aus der EU öffnen, heiße es in einem Entwurf des neuen Weißbuchs zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr.

„Nicht zuletzt böte die Öffnung der Bundeswehr für Bürgerinnen und Bürger der EU nicht nur ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit der Bundeswehr, sondern wäre auch ein starkes Signal für eine europäische Perspektive“, zitiert die „Welt“ daraus.

Schon heute dürfen ausländische Soldaten im Einzelfall zur Bundeswehr

Derzeit müssen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit die deutsche Staatsangehörigkeit haben, so steht es in Paragraf 37 des Soldatengesetzes (SG). Ausnahmen sieht das Soldatengesetz allerdings bereits jetzt vor. Paragraf 37, Absatz 2 regelt, dass das Bundesministerium der Verteidigung „in Einzelfällen“ Ausnahmen zulassen könne, „wenn dafür ein dienstliches Bedürfnis besteht“. Müssten etwa dringend Ärztestellen bei der Bundeswehr besetzt werden, aber es gäbe keine passenden deutschen Bewerber, könnten auch Bewerber aus dem Ausland berücksichtigt werden, erklärt Bodo Pieroth, Professor für Öffentliches Recht an der Wilhelms-Universität Münster.

Gründe gegen eine Öffnungsklausel für die Bundeswehr sieht der Jurist nicht. Er zieht den Vergleich zur Öffnung des öffentlichen Dienstes und des Beamtentums für EU-Bürger Ende der 1990er Jahre. „Ursprünglich durften im öffentlichen Dienst über Jahrzehnte nur deutsche Staatsangehörige als Beamte wie Lehrer, Polizisten oder Hochschullehrer arbeiten“, sagt Pieroth unserer Redaktion. Das sei mit der im EU-Recht verankerten Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit in den 90er Jahren erfolgreich aufgebrochen worden. Die EU habe damals den Druck auf die Mitgliedsstaaten erhöht, den öffentlichen Dienst zu öffnen.

„Heute können an Schulen, Hochschulen oder bei der Polizei überall ohne weiteres auch EU-Ausländer als Beamte beschäftigt sein. Warum dann nicht auch bei der Bundeswehr?“, fragt der Staatsrechtler. Wie das allgemeine Beamtenrecht Ende des 20. Jahrhunderts müsste dann auch das Soldatengesetz geändert werden. Sollte es zu einem Gesetzgebungsverfahren kommen, könnten schon in ein bis zwei Jahren EU-Bürger in der Bundeswehr dienen, vermutet Pieroth. „Wo ein politischer Wille weit verbreitet ist, kann so etwas ganz schnell gehen“, sagt er. „Ob es realistisch ist, dass eine Gesetzesänderung noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird, ist vielleicht zu bezweifeln, aber vier, fünf Jahre würde so etwas sicher nicht dauern.“

Europäische Integration auch in der Verteidigungspolitik

Insgesamt positiv sieht auch Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestages, den Vorstoß der Regierung. „Das Signal ist richtig, die Tendenz ist richtig“, sagt er unserer Redaktion. „Wir brauchen mehr europäische Integration, nicht weniger, auch in der Verteidigungspolitik.“ Die Armeen der europäischen Länder arbeiteten vernetzt, Auslandseinsätze würden immer in internationalen Verbänden durchgeführt. Zusammenarbeit sei notwendig, weil sowohl finanzielle Ressourcen als auch die Zahl der Soldaten in den einzelnen Nationen zu gering seien, um rein national zu agieren.

Dennoch warnt er vor Euphorie. „Das ist noch kein Konzept, es handelt sich lediglich um eine Idee – aber die geht in die richtige Richtung“, schränkt Bartels ein. Es blieben noch viele Fragen offen, die zunächst geklärt werden müssten. „Was ist zum Beispiel mit den Ländern, die noch die Wehrpflicht haben? Und was wäre, wenn deutsche Soldaten in ausländischen Streitkräften dienen wollen?“, fragt er. Bis die Idee zu einem Konzept reift, bis ein solches anschließend umgesetzt und mit den einzelnen Ländern entsprechende Vereinbarungen getroffen würden, könnten also noch Jahre vergehen, so seine Einschätzung.

Skepsis beim Bundeswehrverband

Der Deutsche Bundeswehrverband (DBwV) steht der Idee der Bundesregierung eher skeptisch gegenüber. „Ein mutiger und interessanter Aufschlag, auch wenn die deutsche Staatsangehörigkeit für den Soldaten aufgrund der gesetzlichen Verankerung und als Grundlage für das gegenseitige Treueverhältnis von Staat und Soldat elementar ist und bleiben muss“, so bewertet der DBwV-Vorsitzende André Wüstner den Vorstoß. „Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere und daher dürfte der rechtliche sowie wertebezogene Rahmen unserer Führungsphilosophie trotz aller Offenheit für neue Konzepte niemals verwässert werden“, warnt er.

Ein Hindernis sei etwa die Bereitschaft, im Zweifel für Volk und Staat zu sterben. Diese Bereitschaft könne nicht für jeden beliebigen Staat oder Arbeitgeber gelten. „Gerade die soldatische Identität hat eine enorme nationale Ausprägung – trotz europäischen Wertesystems“, sagt Wüstner. Das müsse der Politik immer wieder bewusst gemacht werden.

In anderen Ländern sind die Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von Söldnern offenbar geringer. So hatte etwa im Januar 2015 der russische Präsident Wladimir Putin ein Dekret erlassen, um die russische Armee für ausländische Soldaten auch offiziell zu öffnen. Vor allem Soldaten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken kämpfen für Russland. Wenige Monate später öffnete auch die Ukraine ihre Truppen für ausländische Soldaten. Im Krieg gegen prorussische Separatisten hatten sie zuvor meist in Freiwilligenverbänden gekämpft.