Meseberg. In der Zukunft sollen Autos ohne Fahrer unterwegs sein. Die Regierung will bei dieser Entwicklung vorne mitfahren. Wie sieht das aus?

Die Kanzlerin spricht von einer „tiefgreifenden Revolution“ des Autoverkehrs, ihr Verkehrsminister sieht die „größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Autos“ voraus: Die Bundesregierung will Deutschland zum Vorreiter beim automatisierten Fahren mit computergesteuerten Autos machen. Zum Auftakt einer Kabinettsklausur in Meseberg beriet die Regierung am Dienstag über die notwendigen Rahmenbedingungen, damit Deutschland als erstes Land den Regelbetrieb für das Auto mit Autopilot einleitet, wie es Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) formuliert. „Die Entwicklung als Innovationsführer zu gestalten, entscheidet für ein Autoland darüber, ob es Innovationsnation bleibt oder Stagnationsregion wird“, sagt Dobrindt.

Noch wird es wohl ein Jahrzehnt dauern, bis völlig autonom fahrende Autos auf die Straßen kommen. Aber schon in den nächsten drei, vier Jahren dürften Fahrzeuge unterwegs sein, die allein einen Platz im Parkhaus suchen, während der Fahrer schon in der Fußgängerzone spazieren geht. Schon jetzt sind Roboterautos längst keine Utopie mehr – erste Hersteller wie Mercedes bieten halb automatisiertes Fahren an, bei dem ein elektronischer Assistent das Steuer beim Stop-and-Go im Stau übernimmt.

Deutschland soll Leitanbieter und Leitmarkt werden

Die Zeit läuft, und die Regierung will ihren Beitrag leisten, damit die deutsche Autoindustrie Leitanbieter und Leitmarkt für automatisierte und vernetzte Fahrzeuge wird. Dobrindt will dazu „das innovationsfreundlichste Straßenverkehrsrecht der Welt“ schaffen, wie er in der Ministerrunde ankündigte. Mit einer Gesetzesänderung soll festgeschrieben werden, dass automatisierte Systeme mit voller Kontrolle über ein Fahrzeug dem Fahrer rechtlich gleichgestellt werden. Klargestellt werden soll auch, dass die ordnungsgemäße Nutzung automatisierter und vernetzter Fahrzeuge keine Sorgfaltsverletzung des Fahrers darstellt – so sollen Haftungsrisiken für den Autofahrer ausgeschlossen.

Schon im April hatte das Kabinett die rechtlichen Weichen für das teilautomatisierte Fahren gestellt: Computer dürfen selbstständig zusätzliche Aufgaben im Auto übernehmen, solange der Fahrer sie übersteuern oder abschalten kann. Noch in diesem Jahr sollen zudem die Praxistests ausgeweitet werden: Ein „Digitales Testfeld“ ist auf der Autobahn A 9 in Bayern bereits eingerichtet, jetzt wird ein Test auch im Stadtgebiet folgen: Autobauer, Digitalwirtschaft und Wissenschaftler sollen im Realbetrieb zum Beispiel die Kommunikation von automatisierten Systemen mit Fußgängern und Radfahrern erproben, eine Steuerung des Verkehrsflusses oder die Vernetzung mit intelligenten Ampeln. Schließlich hat Dobrindt für die Kabinettsklausur den Plan für eine Ethik-Kommission entwickelt: Politik, Wissenschaft, Autoindustrie und andere Beteiligte sollen Leitlinien festlegen, wie Fahrzeuge in Risikosituationen reagieren sollen.

Heikle Fragen

Dabei geht es nicht nur um juristische, sondern auch um moralische Fragen. Welche Entscheidung soll ein Selbstfahrsystem treffen, wenn es die Wahl hat, mit einem Passanten zusammenzustoßen oder mit einem Chemielaster, dessen Ladung explodieren kann? Zwei Grundsätze will die Regierung schon klargestellt wissen: „Ein Sachschaden ist einem Personenschaden immer vorzuziehen. Eine Qualifizierung des Faktors Mensch ist unzulässig.“ Ethische Fragen sind zu diskutieren, auch wenn alle Experten davon ausgehen, dass die Zahl der Unfälle mit der Automatisierung der Fahrzeuge drastisch zurückgeht. Die Versicherungswirtschaft rechnet vor, dass derzeit etwa 90 Prozent aller Verkehrsunfälle durch menschliches Fehlverhalten bestimmt sind, nur zehn Prozent durch technische Fehler.

Auch Internet-Konzerne wollen mitspielen

Die deutsche Autoindustrie ist bei der Technologie gut aufgestellt, auch die Zulieferer spielen weltweit in der Spitzenliga mit. Das Problem ist die langsame Digitalisierung des Standorts Deutschland. Doch die Regierung verspricht Abhilfe. Zum Auftakt der Kabinettsklausur beriet die Ministerrunde, wie sich die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft schneller voranbringen lässt. „Wir erleben einen neuen Wettbewerb der Staaten und können unsere Erfolgsgeschichte nur digital fortschreiben“, erklärte Dobrindt. Neben dem grundlegenden Ausbau der Netze gehe es auch um den Wandel wichtiger Branchen.

Noch offen ist, welche Rolle künftig die Internetkonzerne spielen, die womöglich selbst zum Autobauer werden: Google etwa hat nicht nur eine Technologie für selbstfahrende Autos entwickelt, sondern auch eine Flotte kleiner elektronischer Zweisitzer selbst auf die Straße gebracht.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) versichert, die Politik werde die Herausforderung gemeinsam mit der Industrie angehen: Beim automatisierten und vernetzten Fahren müssen die deutschen Autobauer ihre führende Position behaupten – und Deutschland zum führenden Testfeld werden.