Berlin. Der Bundestag will eine Resolution verabschieden, die das Verbrechen an den Armeniern Völkermord nennt. Protest aus Ankara ist gewiss.

Das Wort, mit dem die angespannte Diplomatie zwischen Deutschland und der Türkei auf die nächste Stufe der Eskalation schreitet, steht gleich in der Überschrift: Völkermord. Es ist kein Antrag einer Menschenrechts-AG oder der Blogeintrag eines Oppositionspolitikers. Die Überschrift gehört zu einem Antrag des gesamten Bundestags.

Auch die Kanzlerin wird ihn am 2. Juni verabschieden, auch der Außenminister, die Koalitionäre. „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten“, so heißt der Entwurf, der bisher nur „zur internen Verwendung“ unter den Abgeordneten kursiert, aber dieser Redaktion vorliegt. Es ist eine Resolution zu einem Verbrechen aus der Vergangenheit. 101 Jahre her. Und doch ist sie politisch heikel.

Resolution fällt in aufgewühlte Zeiten

Denn lange nicht war das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei so angespannt. Und selten brauchte die Bundesregierung den türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan so sehr wie in der Fluchtkrise. Und genau in dieser Zeit nennt der Bundestag in der Resolution das Verbrechen der damaligen türkischen Regimes erstmals einen Völkermord.

1915 begannen Deportationen und Massenmorde an christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich. Mehr als eine Million Armenier starben. Unter Historikern ist der geplante Genozid unumstritten. Doch die türkische Regierung verharmlost das Verbrechen bis heute, nennt die „Zwischenfälle tragisch“, will aber von Völkermord nichts wissen. Und nun mischt sich der Bundestag ein.

Ein Beispiel für die Geschichte der Massenvernichtung

Der Bundestag verneige sich vor den „Opfern der Vertreibung und Massaker an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten des Osmanischen Reiches“, heißt es in dem Entwurf. Ihr Schicksal stehe „beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen“. Mehr als vier Seiten ist die Resolution lang, sie fordert auf zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern, will Forschung und Kulturaustausch fördern. Auch Mühe bei der Aufarbeitung auf beiden Seiten hebt der Antrag hervor. Gleichzeitig bedauere der Bundestag die „unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches“, im Ersten Weltkrieg Hauptverbündeter der Osmanen, dessen Mächtige von den Morden wussten – und doch nichts dagegen getan hatten.

Am Ende bleibt die Resolution vor allem eines: wuchtige Worte in Richtung Ankara. Und in der Bundesregierung rechnen sie gut zwei Wochen vor der Abstimmung im Parlament mit Protest und provokanten Reaktionen aus der Türkei. Mal wieder könnte der deutsche Botschafter einberufen werden, prognostizieren mehrere Abgeordnete. Es geht nicht mehr nur um die Ehre eines Präsidenten, wie in dem Schmähgedicht des Moderators Jan Böhmermann, sondern um den Angriff auf die türkische Staatsräson. Die Resolution könnte zum Politikum werden, sagt ein Politiker. Vor allem dann, wenn die Türkei von der EU nicht die gewünschte Erleichterungen bei der Visavergabe bekomme – ein Geschenk an das Land, das nun Hunderttausende Geflüchtete aus Syrien und Irak versorgen soll. Und damit die EU entlastet.

Bundesregierung machte schon Rückzieher

Wie heikel der Antrag ist, zeigt auch seine Vorgeschichte: Schon vor einem Jahr sollte die Resolution verabschiedet werden. Die Koalition von Union und SPD brachte einen bereits formulierten Entwurf aber nicht zur Abstimmung, vor allem aus Rücksicht zur Türkei. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte damals versucht, die Aufnahme des Wortes „Völkermord“ zu verhindern. Auch Regierungssprecher vermieden das Wort bisher. Sie erklärten, die Aufarbeitung der Geschichte sei Sache von Historikern und den betroffenen Staaten – und nicht Aufgabe der Bundesregierung.

Abgeordnete berichten gegenüber unserer Redaktion, dass seit Jahren Druck auf Mitglieder des Bundestags ausgeübt werden, von türkischer und armenischer Seite. Ähnliches passiert auch, wird ein neues Arzneimittelgesetz verabschiedet oder ein Antrag zur Rüstungspolitik. Aber immer wieder rührt auch die Geschichte kräftig im Kessel der Tagespolitik. Auf einer Ausschussreise nach Ankara sollen deutsche Abgeordnete Feuer von Seiten der türkischen Kollegen bekommen haben. Immer wieder schaltet sich die türkische Botschaft ein. Die ständige Vertretung der Türkei bei der EU soll den Stopp der Hilfe für ein Projekt der Dresdner Sinfoniker gefordert haben, das sich kritisch mit dem Genozid befasste.

Türkische Diplomaten üben Kritik

Und schon jetzt bringen sich türkische Diplomaten in Stellung: Den Vorwurf des Völkermords zu verbreiten, ohne dafür Beweise vorzulegen, komme einer politischen Ausbeutung des Themas gleich, sagte Ibrahim Kalin, Erdogans Sprecher.

Doch dass durch die Resolution der Flüchtlings-Deal zwischen EU und Türkei platzt, glaubt derzeit kein Abgeordneter. Stattdessen setzen Politiker auf Diplomatie und Dialog. Von einem „wichtigen Signal für Völkerverständigung“ spricht der CDU-Außenpolitiker Jürgen Klimke. „Gerade aus Deutschland vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit.“ Die Debatte über den Genozid solle weder von der Türkei noch von Armenien oder Deutschland „für tagespolitische Streitereien missbraucht werden“, sagt SPD-Politiker Niels Annen. Die Resolution sei kein „Akt gegen die Türkei“, hebt Grünen-Politiker Manuel Sarrazin hervor. Der Antrag sei dagegen ein Akt der Versöhnung.

Sie alle werden am 2. Juni im Bundestag dafür stimmen. Es ist auch ein Signal: Das Parlament macht sich nicht abhängig von Flüchtlingskrise und Regierungslinie. Die Abstimmung ist nicht namentlich, nicht jeder muss anwesend sein. So bleibt offen, wer an diesem Tag im Plenum auf der Regierungsbank sitzt. Vielleicht haben Kanzlerin und Außenminister ja wichtige Termine.