Berlin. In den Unionsparteien öffnen sich neue Gräben. Parteichef Horst Seehofer könnte 2017 als CSU-Spitzenkandidat in den Wahlkampf ziehen.

Niemand ist unersetzlich. „Auch nicht in der CDU“, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer der „Bild am Sonntag“, „auch nicht Angela Merkel“. Noch kecker als Saarlands Ministerpräsidentin ist die CSU. Für die Bundestagswahl 2017 schließt sie nicht aus, getrennt von der Kanzlerinnen-Partei zu marschieren: eigenes Programm, eigener Kandidat. Ein Motiv ist die Auseinandersetzung mit der AfD, ein anderes die fremd gewordene Kanzlerin. „Im Moment wäre es schwierig, Angela Merkel zu plakatieren“, hieß es am Sonntag im Umfeld von CSU-Chef Horst Seehofer.

Nach einer ARD-Umfrage wären 45 Prozent der Deutschen und 49 Prozent der Unionsanhänger dafür, dass die bayerische Partei sogar bundesweit antritt. Seehofer vernimmt solche Stimmen nicht selten im CSU-Basisdialog, der gerade läuft. „Da möchte ich ungeschminkt hören, wie die Basis bei uns denkt zu den verschiedenen Themen.“ Mit seinem Kabinett geht er im Sommer auf Klausur, eine „Zehn-Punkte-Offensive“ steht an. So setzt er seine Minister unter Druck. Liefern wird jedenfalls Markus Söder. Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen und niedrigerer Zinslasten für den Bund kündigte der Finanzminister ein CSU-Konzept zur steuerlichen Entlastung der Bürger an.

Entfremdung durch die Flüchtlingskrise

Weniger Zeit als in Bayern, wo 2018 gewählt wird, bleibt auf Bundesebene. Für den 24/25. Juni ist ein Treffen der Führungen von CDU und CSU geplant. Nichts ist zufällig, alles politisch aufgeladen. Selbst um den Ort wird gerungen. Die Klausur soll nicht in Berlin, auch nicht in Bayern sein, sondern auf neutralem Feld, zwischen den Fronten.

Hat eine Entfremdung zwischen CSU und CDU ausgemacht: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt.
Hat eine Entfremdung zwischen CSU und CDU ausgemacht: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. © Getty Images | Sean Gallup

Schon bei früheren Wahlkämpfen trat die CSU eigenständig auf. Neben dem eigenen Programm, CSU pur, gab es jedoch eine gemeinsame Plattform mit der CDU. Natürlich hat man auch den Spitzenkandidaten der „Schwester“ unterstützt. Das ist noch immer das Ziel, wie viele aus der Union beteuern, gegenüber unserer Redaktion sowohl CDU-Vizechef Thomas Strobl als auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Selbstverständlich ist es nicht mehr.

Die Flüchtlingskrise habe beide Parteien entfremdet und werde „lange nachwirken“, erläuterte Verkehrsminister Alexander Dobrindt im „Spiegel“. Sich offen von der CDU abzusetzen, ist das Worst-Case-Szenario. Viel hängt von der Klausur ab.

Differenzen lassen sich kaum kaschieren

Steuersenkungen wären nicht zuletzt ein Thema, um Wähler von einem Wechsel zur AfD abzuhalten. Gleiches gilt für eine Rentenreform. Da ist der langjährige Sozialpolitiker Seehofer in seinem Element. Erst 2013 profilierte sich die CSU mit der „Mütterrente“, vier Jahre später mit dem Kampf gegen die Altersarmut? Die Frage ist, ob die CDU mitgehen will und ob die Flüchtlingskrise wieder aufflammt. „Dann Gnade uns Gott“, so ein CSU-Präsidiumsmitglied. Die Differenzen lassen sich schon jetzt kaum kaschieren. Die rheinland-pfälzischen und baden-württembergischen CDU-Wahlkämpfer haben Seehofer bei ihren Analysen eine Mitschuld für ihr schlechtes Abschneiden bei den Landtagswahlen gegeben.

Umgekehrt regt sich die CSU regelmäßig über CDU-Politiker wie Ursula von der Leyen und Peter Tauber auf. Tauber hatte es gewagt, Rentenabschläge zu verteidigen. Und sie hatte nach den Urnengängen erklärt, 80 Prozent der Wähler unterstützten Merkels Flüchtlingspolitik. Da hatte sie Grüne, SPD und Linke glatt vereinnahmt – die Bestätigung der schlimmsten Befürchtungen der CSU.

Seehofer-Kandidatur wie bei Strauß und Stoiber?

Ihre Spitzenmannschaft will die CSU im Frühjahr 2017 aufstellen. Bayerns Vizeministerpräsidentin Ilse Aigner, machte im Bayerischen Rundfunk klar, dass ihre Partei auf Seehofer setzen werde. Für ihn wäre eine Spitzenkandidatur eine Form der Gesichtswahrung. Im Verlauf der Flüchtlingskrise hatte er gegen Merkel oft das Nachsehen – nun könnte er sie auf ihrem ureigenen Feld in Frage stellen. Eine Kandidatur heißt nicht zwingend, dass Seehofer ein Mandat annimmt. Er kann es auch ablehnen, wie einst Franz-Josef Strauß oder Edmund Stoiber.

Aber da Seehofer 2018 in Bayern nicht wieder als Ministerpräsident antreten will, wäre ein Wechsel plausibel. Die Alternative wäre Dobrindt, Merkels schärfster Kritiker im Kabinett. Nebenbei wird deutlich, warum CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt früh ankündigte, 2017 nicht wieder für den Bundestag zu kandidieren. Sie tat es, bevor es so aussehen könnte, als müsste sie Platz machen.

Adenauer bis Merkel: Die Kanzler der BRD

Konrad Adenauer (*5. Januar 1876, † 19. April 1976) war der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1963, galt als Vater des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Von 1951 bis 1955 war er zudem Außenminister und ließ in dieser Funktion vor allem die Beziehungen zu Frankreich und den USA wieder aufleben. Adenauer war Mitbegründer der CDU und ab 1950 für 16 Jahre Parteichef.
Konrad Adenauer (*5. Januar 1876, † 19. April 1976) war der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1963, galt als Vater des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Von 1951 bis 1955 war er zudem Außenminister und ließ in dieser Funktion vor allem die Beziehungen zu Frankreich und den USA wieder aufleben. Adenauer war Mitbegründer der CDU und ab 1950 für 16 Jahre Parteichef. © IMAGO | imago/Sven Simon
Ludwig Erhard (*4. Februar 1897, † 5. Mai 1977) war von 1963 bis 1966 Bundeskanzler. Zuvor hatte er 14 Jahre an der Spitze des Wirtschaftsministeriums gestanden und das Wirtschaftswunder maßgeblich mit angeschoben. Als Kanzler blieb er in vielen Fragen glücklos und trat schon nach etwas mehr als drei Jahren zurück. Auch den CDU-Vorsitz hatte er nur kurz inne: von März 1966 bis Mai 1967.
Ludwig Erhard (*4. Februar 1897, † 5. Mai 1977) war von 1963 bis 1966 Bundeskanzler. Zuvor hatte er 14 Jahre an der Spitze des Wirtschaftsministeriums gestanden und das Wirtschaftswunder maßgeblich mit angeschoben. Als Kanzler blieb er in vielen Fragen glücklos und trat schon nach etwas mehr als drei Jahren zurück. Auch den CDU-Vorsitz hatte er nur kurz inne: von März 1966 bis Mai 1967. © IMAGO | imago/Sven Simon
Kurt Georg Kiesinger (*6. April 1904, † 9. März 1988) wurde 1966 nach acht Jahren als baden-württembergischer Ministerpräsident ins Kanzleramt gewählt. Er war der erste Kanzler, der mit einer Großen Koalition regierte. Seine Amtszeit war die kürzeste aller bisherigen Kanzler. Bei der Bundestagswahl 1969 blieb seine CDU zwar stärkste Kraft, musste die Regierung aber an eine sozialliberale Koalition abtreten. Kiesinger ging die FDP nach deren Absage an die CDU hart an und wurde dafür harsch kritisiert. Auch seine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied wurde immer wieder kritisch beäugt.
Kurt Georg Kiesinger (*6. April 1904, † 9. März 1988) wurde 1966 nach acht Jahren als baden-württembergischer Ministerpräsident ins Kanzleramt gewählt. Er war der erste Kanzler, der mit einer Großen Koalition regierte. Seine Amtszeit war die kürzeste aller bisherigen Kanzler. Bei der Bundestagswahl 1969 blieb seine CDU zwar stärkste Kraft, musste die Regierung aber an eine sozialliberale Koalition abtreten. Kiesinger ging die FDP nach deren Absage an die CDU hart an und wurde dafür harsch kritisiert. Auch seine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied wurde immer wieder kritisch beäugt. © IMAGO | imago/Sven Simon
Willy Brandt (*18. Dezember 1913, † 8. Oktober 1992) war der erste Bundeskanzler aus den Reihen der SPD, deren Vorsitzender er von 1964 bis 1987 war. Im Kabinett Kiesinger war er zuvor als Außenminister und Vizekanzler tätig, bis 1957 war er Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen. In seiner Zeit als Kanzler von 1969 bis 1974 sorgte Brandt vor allem für eine Annäherung an die Staaten des damaligen Ostblocks – eine erste Entspannung in Zeiten des Kalten Kriegs. Weltberühmt wurde sein „Kniefall von Warschau“ im Dezember 1970, mit dem er in der polnischen Hauptstadt um Vergebung für die NS-Verbrechen bat. Für seine Entspannungspolitik erhielt der Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Wegen der Affäre um den Kanzleramtsspion Günter Guillaume trat er im Mai 1974 zurück.
Willy Brandt (*18. Dezember 1913, † 8. Oktober 1992) war der erste Bundeskanzler aus den Reihen der SPD, deren Vorsitzender er von 1964 bis 1987 war. Im Kabinett Kiesinger war er zuvor als Außenminister und Vizekanzler tätig, bis 1957 war er Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen. In seiner Zeit als Kanzler von 1969 bis 1974 sorgte Brandt vor allem für eine Annäherung an die Staaten des damaligen Ostblocks – eine erste Entspannung in Zeiten des Kalten Kriegs. Weltberühmt wurde sein „Kniefall von Warschau“ im Dezember 1970, mit dem er in der polnischen Hauptstadt um Vergebung für die NS-Verbrechen bat. Für seine Entspannungspolitik erhielt der Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Wegen der Affäre um den Kanzleramtsspion Günter Guillaume trat er im Mai 1974 zurück. © IMAGO | imago/Sven Simon
Helmut Schmidt (*23. Dezember 1918, †10. November 2015) übernahm ab 1974 für acht Jahre den Chefposten im Kanzleramt. Zuvor war der Mann mit der Zigarette von 1969 bis 1972 Verteidigungsminister, danach für zwei Jahre Finanzminister. In seine Amtszeit fielen einige wirtschaftliche Krisen, denen er unter anderem mit der Gründung des „Weltwirtschaftsgipfels“ begegnete. Im Kampf gegen die RAF-Terroristen setzte der SPD-Politiker ab 1975 auf eine unnachgiebige Linie, die ihm vor allem Kritik der Opfer-Familien einbrachte. Sein in Schmidts eigener Partei hoch umstrittenes Engagement für den „Nato-Doppelbeschluss“, der die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland als Gegengewicht zur sowjetischen Nuklearmacht vorsah, ließ die sozialliberale Koalition schließlich zerbrechen.
Helmut Schmidt (*23. Dezember 1918, †10. November 2015) übernahm ab 1974 für acht Jahre den Chefposten im Kanzleramt. Zuvor war der Mann mit der Zigarette von 1969 bis 1972 Verteidigungsminister, danach für zwei Jahre Finanzminister. In seine Amtszeit fielen einige wirtschaftliche Krisen, denen er unter anderem mit der Gründung des „Weltwirtschaftsgipfels“ begegnete. Im Kampf gegen die RAF-Terroristen setzte der SPD-Politiker ab 1975 auf eine unnachgiebige Linie, die ihm vor allem Kritik der Opfer-Familien einbrachte. Sein in Schmidts eigener Partei hoch umstrittenes Engagement für den „Nato-Doppelbeschluss“, der die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland als Gegengewicht zur sowjetischen Nuklearmacht vorsah, ließ die sozialliberale Koalition schließlich zerbrechen. © IMAGO | imago/Sven Simon
Helmut Kohl (*3. April 1930) absolvierte die bislang längste Amtsperiode als Bundeskanzler: von 1982 bis 1998. Zuvor, von 1969 bis 1976, hatte der CDU-Politiker als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz regiert. In den Siebzigerjahren war Kohl mitverantwortlich für einige Kursänderungen in der CDU, deren Vorsitzender er von 1973 bis 1998 war. In seine Kanzlerschaft fiel die deutsche Wiedervereinigung, er gilt bis heute als „Kanzler der Einheit“. In der Kritik stand er am Ende seiner politischen Laufbahn wegen der CDU-Spendenaffäre, die ihn letztlich auch den Ehrenvorsitz seiner Partei kostete.
Helmut Kohl (*3. April 1930) absolvierte die bislang längste Amtsperiode als Bundeskanzler: von 1982 bis 1998. Zuvor, von 1969 bis 1976, hatte der CDU-Politiker als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz regiert. In den Siebzigerjahren war Kohl mitverantwortlich für einige Kursänderungen in der CDU, deren Vorsitzender er von 1973 bis 1998 war. In seine Kanzlerschaft fiel die deutsche Wiedervereinigung, er gilt bis heute als „Kanzler der Einheit“. In der Kritik stand er am Ende seiner politischen Laufbahn wegen der CDU-Spendenaffäre, die ihn letztlich auch den Ehrenvorsitz seiner Partei kostete. © IMAGO | imago/Sven Simon
Gerhard Schröder (*7. April 1944) wurde 1998 nach acht Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident zum Bundeskanzler gewählt. Der Sozialdemokrat blieb bis 2005 im Amt und an der Spitze der ersten rot-grünen Bundesregierung. Seine Regierung schickte erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in einen bewaffneten Konflikt – zur Befriedung des Kosovo. Seine zweite Amtszeit „verdiente“ sich Schröder vor allem mit dem Krisenmanagement beim Elbe-Hochwasser 2002. Aus seiner Kanzlerschaft ging die Agenda 2010 hervor, aus der vor allem die „Hartz-Reformen“ bekannt sind. Die Agenda war seiner Zeit so umstritten und brachte ihm so viel Widerstände ein, dass er für 2005 eine vorgezogene Bundestagswahl ansetzte, die Rot-Grün verlor.
Gerhard Schröder (*7. April 1944) wurde 1998 nach acht Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident zum Bundeskanzler gewählt. Der Sozialdemokrat blieb bis 2005 im Amt und an der Spitze der ersten rot-grünen Bundesregierung. Seine Regierung schickte erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in einen bewaffneten Konflikt – zur Befriedung des Kosovo. Seine zweite Amtszeit „verdiente“ sich Schröder vor allem mit dem Krisenmanagement beim Elbe-Hochwasser 2002. Aus seiner Kanzlerschaft ging die Agenda 2010 hervor, aus der vor allem die „Hartz-Reformen“ bekannt sind. Die Agenda war seiner Zeit so umstritten und brachte ihm so viel Widerstände ein, dass er für 2005 eine vorgezogene Bundestagswahl ansetzte, die Rot-Grün verlor. © IMAGO | imago/Jürgen Eis
Mit Angela Merkel (*17. Juli 1954) kam 2005 die erste Frau an die Spitze der Bundesregierung. Zunächst regierte die Christdemokratin von 2005 bis 2009 in einer Großen Koalition mit der SPD, nach der Wahl 2009 mit einem Bündnis aus CDU und FDP – und seit 2013 wieder mit der SPD. Zuvor hatte sie als Ministerin für Frauen und Jugend (1991 bis 1994) sowie als Umweltministerin (1994 bis 1998) gearbeitet. Seit April 2000 ist Merkel Bundesvorsitzende der CDU.
Mit Angela Merkel (*17. Juli 1954) kam 2005 die erste Frau an die Spitze der Bundesregierung. Zunächst regierte die Christdemokratin von 2005 bis 2009 in einer Großen Koalition mit der SPD, nach der Wahl 2009 mit einem Bündnis aus CDU und FDP – und seit 2013 wieder mit der SPD. Zuvor hatte sie als Ministerin für Frauen und Jugend (1991 bis 1994) sowie als Umweltministerin (1994 bis 1998) gearbeitet. Seit April 2000 ist Merkel Bundesvorsitzende der CDU. © REUTERS | REUTERS / POOL New
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