Beirut/Genf. Nach schweren Luftangriffen des syrischen Regimes und Gegenangriffen von Rebellen stehen die Friedengespräche in Genf auf der Kippe.

Das syrische Oppositionsbündnis will vorläufig nicht mehr an den Friedensgesprächen bei den UN für das Bürgerkriegsland teilnehmen. Der Oppositionsverband HNC bringe somit seine Sorge über die sich verschlimmernde Lage in Syrien zum Ausdruck, erklärte der UN-Vermittler Staffan de Mistura am Montag in Genf.

Die Opposition protestiere gegen die zunehmende Gewalt durch das Assad-Regime rund um Aleppo und die schleppende Versorgung der Menschen in Syrien. Ihr Koordinator Riad Hidschab nannte eine Fortsetzung der Verhandlungen am Montag auf Twitter inakzeptabel, sollten die Regierung und ihre Verbündeten nicht die Belagerungen von Städten beenden und Bombenangriffe gegen zivile Ziele einstellen. Hidschab sprach von einer „Verletzung der Rechte des Volkes und des internationalen Rechts“, ohne Einzelheiten zu nennen.

Kritik an de Mistura: „Völlig parteiisch“

Allerdings wolle die Delegation der Opposition vorerst in ihrem Hotel in Genf bleiben, erklärte de Mistura. Sie bleibe für ihn erreichbar. Oppositionspolitiker hatten vorher mit der Abreise der Delegation aus Genf gedroht. De Mistura sagte, bis August sollten Opposition und Assad-Regime gemeinsam eine Übergangsregierung aufgestellt haben. Die Oppositionellen machten indes Front gegen de Mistura. In einem Brief an die Rebellen-Unterhändler schrieben mehrere Oppositionsgruppen, de Mistura sei „völlig parteiisch, was die Forderungen des Regimes und dessen Verbündeter angeht“.

Staffan de Mistura hatte vorgeschlagen, als Teil einer Übergangsregierung Präsident Baschar al-Assad symbolisch im Amt zu belassen und dafür drei Vize-Präsidenten zu ernennen. Die Opposition verwarf den Vorschlag sofort. Sie verlangt Assads Absetzung, der seinerseits die Bildung einer Übergangsregierung ablehnt.

Eskalation der Kämpfe in Syrien

Nach Angaben aus Diplomatenkreisen waren die Oppositionsvertreter uneinig, ob sie weiter an den Verhandlungen teilnehmen sollten oder nicht. „Wir sagen ihnen, dass sie nicht in die Falle der Regierung tappen sollen“, sagte ein westlicher Diplomat. Wenn die Opposition die Verhandlungen verlasse, werde sie für deren Scheitern verantwortlich gemacht. Und es sei dann schwer, schon bald wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte hatte zuvor von einer Eskalation der Kämpfe im Westen des Landes berichtet. Demnach flog die syrische Luftwaffe schwere Angriffe auf Ziele in Homs. Die Rebellen griffen ihrerseits Stellungen der Armee in der Provinz Latakia an. Mehrere Rebellengruppen riefen eine neue Schlacht gegen die Regierungstruppen aus und begründeten dies mit Verstößen der Regierung gegen die Feuerpause. Man werde „mit Gewalt“ auf Armee-Einheiten reagieren, die gegen Zivilisten vorgingen, hieß es. Wo die Schlacht stattfinden sollte, wurde nicht mitgeteilt. Beide Seiten werfen sich schon länger Verstöße gegen die im Februar ausgerufene Waffenruhe vor. In den vergangenen Tagen stand die nordsyrische Stadt Aleppo im Zentrum der Kämpfe.

Mehr als 100.000 Flüchtlinge eingeschlossen

Nach den schweren Kämpfen der vergangenen Tage um Aleppo sind laut „Ärzte ohne Grenzen“ mehr als 100.000 Flüchtlinge eingeschlossen. Die Menschen seien zwischen der Frontlinie der Terrormiliz „Islamischer Staat“, den kurdisch kontrollierten Gebieten und der türkischen Grenze gestrandet.

„Ärzte ohne Grenzen“ forderte die Europäische Union und die Türkei auf, den Schutz der Menschen zu gewährleisten. Die türkische Grenze sei seit einem Jahr geschlossen, nur schwerstkranke Syrer und einige humanitäre Mitarbeiter mit Sondergenehmigungen dürften passieren.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte die Konfliktparteien auf, trotz der jüngsten Kämpfe am Verhandlungstisch zu bleiben. Die Gespräche in Genf befänden sich in einer schwierigen Phase, sagte er. „Wir sind bemüht, auf alle Seiten einzuwirken, um die Chance, die in diesem Verhandlungsprozess steckt, zu nutzen.“