Berlin. Jahrelang wurden die Bürger animiert, mit der Riester-Rente vorzusorgen. Doch Kritiker warnen jetzt – sie verhindere keine Altersarmut.

Für Horst Seehofer ist die Sache klar: „Die Riester-Rente ist gescheitert!“ So unmissverständlich wie der CSU-Chef dies jüngst feststellte, hatte dies vorher noch kein Politiker ausgesprochen, jedenfalls kein Vertreter der Unions-Parteien. Grüne und Linke äußerten schon mehrfach Zweifel an der privaten Zusatzvorsorge, auch Gewerkschaften sehen private Alterssicherung skeptisch. Verbraucherschützer zeigten sich oft unzufrieden mit der Rendite von Riester-Finanzprodukten.

Doch so grundsätzlich in Frage gestellt wie von Seehofer wurde die private Altersrente bisher nicht. Gründe dafür nannte Seehofer auch nicht. Die Riester-Rente sei Symbol für die „Neoliberalisierung“ der vergangenen Jahre, sagte er nur. Und das, obwohl Namensgeber Walter Riester einst Gewerkschafter und ehemaliger Sozialminister der SPD war.

Andrea Nahles (SPD), die aktuelle Sozialministerin, hat Seehofers Urteil bisher nicht kommentiert. Die neuesten Zahlen aus ihrem Ministerium lassen jedoch kaum erwarten, dass sie ihm zustimmen wird: Danach gab es im Jahr 2015 rund 16,5 Millionen Riester-Verträge. Das waren noch einmal 200.000 mehr waren als ein Jahr zuvor. zum Vergleich: Im Jahr der Riester-Einführung gab es gerade 1,4 Millionen Verträge.

Zahl der Riester-Verträge stagniert

Die meisten beziehen sich noch immer auf Versicherungen, aber die Zahl stagniert bei elf Millionen. Zugenommen haben zuletzt andere Formen der Riester-Verträge: Investmentfonds, der Wohn-Riester oder Banksparverträge.

Allerdings: Die Zahlen sagen nichts darüber, wie beliebt Riester tatsächlich ist. Viele Verträge ruhen, das heißt, die Sparer zahlen kein Geld mehr ein. Angeblich ist das bei jedem fünften Vertrag der Fall. Die Gründe sind unklar. Möglich ist, dass Sparer einen alten, unattraktiv gewordenen Vertrag ruhen lassen und einen neuen, besseren abschließen.

Einen Vertrag nicht mehr zu bedienen, bedeute nicht automatisch, dass sich Riester nicht mehr lohnt, heißt es aus Nahles’ Ministerium. Jeder könne entscheiden, ob und wie er spart. Möglicherweise sei auch eine gewisse Sättigung eingetreten: Wer Riester-Verträge abschließen könne und wolle, der habe es vermutlich getan, heißt es. Die Versicherungswirtschaft macht die seit Jahren eingefrorenen staatlichen Zulagen für das mehr oder weniger stagnierende Riester-Geschäft verantwortlich.

Modernisierung ist bisher nicht geplant

Sparer müssten immer mehr Geld aus eigener Tasche zahlen, um den vollen Zuschuss zu erhalten, so die Kritik. „Die Riester-Förderung muss an die gestiegenen Einkommen und damit den höheren Vorsorgebedarf angepasst werden“, sagt Peter Schwark, Geschäftsführer des Versicherungsverbands GDV. Auch Menschen mit geringem Einkommen bräuchten einen Anreiz zum Sparen, weshalb Riester-Renten nicht mit der Grundsicherung verrechnet werden dürften. Es müsse einen Freibetrag geben.

Das ist auch die Hauptkritik an der Riester-Rente: Sie verhindert keine Altersarmut. Für Geringverdiener sei sie zu teuer und zu kompliziert, sagen Rentenexperten. Viele von ihnen machten sich schlicht keine Gedanken über private Altersvorsorge. Eine Pflicht dazu gilt politisch aber als nicht durchsetzbar. Das gewerkschaftsnahe Forschungsinstitut IMK kam schon vor einigen Jahren zu dem Ergebnis, dass nicht einmal 50 Prozent derjenigen, die einen Riester-Zuschuss bekommen könnten, einen Vorsorgevertrag abgeschlossen hätten. Und selbst unter Riester-Sparern lege nur ein Teil wirklich zusätzliches Geld fürs Alter zurück. Normal- und Geringverdienern würden ihre Anlagen stattdessen oft nur umschichten, um staatliche Zulagen zu kassieren. Auch eine Untersuchung des Instituts DIW und der FU Berlin ergab, dass ein großer Teil der absoluten Fördersumme bei nur wenigen Gutverdienern landet. Experten der Deutschen Rentenversicherung kamen jüngst immerhin zu dem Schluss, dass die Mehrheit der Empfänger staatlicher Zulagen ein unterdurchschnittliches Einkommen hat. Unklar sei allerdings, warum sie die Zulagen oft nicht voll ausschöpfen würden.

Eine Modernisierung der Riester-Rente steht bisher nicht auf der Agenda von Sozialministerin Nahles, sie wäre bis zur Bundestagswahl auch nicht mehr umsetzbar. Sollte sich Seehofer durchsetzen und die Riester-Rente wirklich vor dem Aus stehen, erwarten Fachleute einen Boom: Dann würden viele Sparer schnell die letzten Zulagen mitnehmen.