Berlin. Griechenland kann in der Flüchtlingskrise durchpusten – wohl aber nicht lange. Die EU will sich mit stärkerer Umverteilung wappnen.

Sind das die ersten Anzeichen für eine Entspannung der Flüchtlingskrise in der Ägäis? Zwei Tage nach der Rückführung von 202 Migranten aus Griechenland in die Türkei blieb es am Mittwoch ruhig. Der nächste Transport werde vermutlich erst am Freitag stattfinden, hieß es in der griechischen Küstenwache. Grund hierfür ist, dass fast alle Migranten auf den griechischen Inseln Asylanträge gestellt hätten, teilten Ämter in Athen mit. Auch sind deutlich weniger Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland gekommen.

Doch die Ruhe in der Ägäis ist trügerisch. Zwar rechnen Behördenkreise in Deutschland damit, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Zusagen einer strengen Grenzkontrolle einhalte. Das große Ziel der Regierung in Ankara sei die allgemeine Visafreiheit für Türken, die in die EU reisen wollen. Das verschaffe Erdogan einen dringend benötigten Popularitätsschub.

Hunderttausende warten in Libyen auf Weiterreise

Doch das wird den Flüchtlingsdruck kaum vermindern. Deutsche Behörden schätzen, dass in Kürze die Schlauchboote und Holzkähne von der nordafrikanischen Küste wieder Kurs nach Norden nehmen. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres sind bereits 19.350 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien gekommen – 90 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Wenn sich die Wetterbedingungen bald bessern, dürfte die Zahl steil nach oben gehen. Nach Angaben der Regierung in Rom warten derzeit mindestens 240.000 Menschen in Libyen auf eine Schlepper-Passage nach Europa. Deutsche Ministerien haben weitere mögliche Ausweichrouten ausgemacht. Eine führt von der Türkei über das Schwarze Meer ins EU-Land Bulgarien. Eine andere geht durch Russland bis nach Finnland oder Norwegen.

Um gegen neue Flüchtlingsströme besser gewappnet zu sein, drängt die EU auf eine stärkere Umverteilung. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sowie EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos stellten am Mittwoch ein Papier zur Neuregelung der Dublin-Regeln vor.

EU will sich mit neuen Regeln wappnen

Diese legen fest, dass das Land für Asylverfahren zuständig ist, in dem Migranten zum ersten Mal den Boden der EU betreten haben. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste Option sieht eine weitgehende Beibehaltung der Dublin-Regeln vor. Bei einem starken Andrang von Flüchtlingen soll ein „Fairness-Mechanismus“ zur Umverteilung in die EU-Staaten greifen. Als zweite Möglichkeit schlägt die EU-Kommission vor, dass Asylbewerber nach einem Schlüssel dauerhaft auf die EU-Staaten verteilt werden. Ferner will Brüssel beim Asylrecht mehr Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagern.

Ob das funktioniert, ist umstritten. So räumt der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach dem EU-Vorstoß keine großen Chancen ein. „Wir haben eine riesige Diskrepanz zwischen europäischer Rhetorik und Realität“, sagte Bosbach dieser Zeitung. Auch habe er nicht den Eindruck, dass sich die 28 EU-Mitglieder zu einem Verteilungsschlüssel verpflichten lassen würden. „Völlig offen“ sei, wo die Verfahren einer Asylagentur durchgeführt werden sollten, an den EU-Außengrenzen oder in den Mitgliedstaaten. Zudem fragte Bosbach, wie die EU sicherstellen will, „dass es bei einer zwangsweisen Zuführung in ein bestimmtes Land nicht zu Wanderungsbewegungen kommt?“. Es sei unklar, wie die EU verhindern wolle, dass Asylbewerber, die gegen ihren Willen nach Bulgarien oder Lettland geschickt werden, nicht nach Deutschland oder Schweden weiter wandern.