Berlin/Paris. Die IS-Terroristen befinden sich auf dem Rückzug. Das liegt jedoch nicht nur an den neuen Fahndungserfolgen der Polizei in Europa.

Der „Islamische Staat“ (IS) gerät massiv unter Druck. In Europa nahm die Polizei über Ostern mehrere Verdächtige fest. Offenbar in letzter Minute wurde ein befürchteter IS-Anschlag in Paris vereitelt. In ihrem „Kalifat“ müssen die Terroristen derweil schon seit Wochen Geländeverluste hinnehmen. Gerade wurden sie aus der historischen Wüstenstadt Palmyra vertrieben. Seit Ende 2014 hat der IS gut 20 Prozent seines Gebiets verloren. Das trifft die Organisation hart. Anders als das Terrornetzwerk al-Qaida steht und fällt der IS mit dem Projekt „Kalifat“.

Wenn sich auf offenem Feld Niederlagen häufen, droht erst recht ein asymmetrischer Krieg: Nadelstiche, Terror. Die Anschlagsgefahr dürfte „zunächst sogar weiter steigen“, warnte zuletzt die „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“ in Berlin. Wie zum Beweis haben die französischen Behörden nach eigenen Angaben „im allerletzten Moment“ ein Blutbad verhindert. „Die Lunte brannte schon“, sagte ein Pariser Ermittler. Die Polizei ist überzeugt, dass es am Osterwochenende nur deswegen keine Terrorattacke im Großraum Paris gab, weil sie den Islamisten Reda Kriket im Vorort Argenteuil bereits am Donnerstag festnahm. Doch erst jetzt wurden die Details zum Zugriff bekannt.

In der Wohnung des 34-jährigen Franzosen waren neben fünf Kalaschnikow-Sturmgewehren, sieben Revolvern, einem Maschinengewehr und viel Munition auch mehrere Hundert Gramm Sprengstoff sichergestellt worden. Offenbar wurde der Mann seit Wochen überwacht. Die Ermittler hatten den Zugriff hinausgeschoben in der Hoffnung, an Komplizen heranzukommen. Aber nach den Anschlägen in Brüssel überwog die Sorge, dass Krikets Zelle zuschlagen könne – deshalb der Zugriff.

Verbindung zum Brüsseler Anschlag wird untersucht

Seit Tagen strahlten die französischen Ermittlungen auf mehrere EU-Staaten aus. Auf Drängen der Franzosen kam es in Belgien zu weiteren Razzien, vor allem in Brüssel. Im holländischen Rotterdam griffen Fahnder am Sonntag zu und nahmen vier Männer fest. Unter ihnen befindet sich ein 32-jähriger Franzose, der im Kontakt zu Kriket gestanden haben soll. Kriket kannte auch einen mutmaßlichen Drahtzieher der Pariser Anschläge vom 13. November 2015 – beide Männer hatten in Syrien für den IS gekämpft. Eine konkrete Verbindung zum Brüsseler Anschlag wird noch untersucht.

Die Fahndungserfolge nähern die Hoffnung, dass es nach der Attacke in Brüssel zu einem Wendepunkt im Anti-Terror-Kampf kommt: Dass die Europäer nicht nur im Affekt nach einem Angriff wie in Paris und zuletzt in Brüssel, sondern gezielt und langfristig ihre Kräfte bündeln werden. Gar einen „europäischen Sicherheitsrat“ hat der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, angeregt. „Ich kann keine europäische Anti-Terror-Strategie entdecken“, sagte er unserer Redaktion. Es würden immer nur Einzelmaßnahmen wie eine bessere Grenzsicherung partiell diskutiert. „Aber Europa ist in seiner Einheit bedroht“, warnte Wendt. Er frage sich, ob Europol nicht zu einer europäischen Polizei mit eigenen Eingreifbefugnissen ausgebaut werden müsse oder auch, ob die europäische Grenzschutzagentur Frontex europaweit die Grenzsicherung übernehmen sollte. Eine einheitliche Sicherheitsarchitektur für 28 EU-Staaten sei allerdings ein „riesiges Vorhaben“, räumte Wendt ein.

Vertreibung aus Palmyra trifft den IS

Mehr noch als die Fahndungserfolge in Europa trifft es den IS, wenn er in seinem Kalifat auf dem Rückzug ist – wie nach der Vertreibung aus Palmyra. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte hätten „mehrere verlässliche Quellen“ berichtet, die Dschihadisten hätten von der IS-Führung in al-Rakka den Befehl erhalten, sich zurückzuziehen. Die zentralsyrische Oasenstadt Palmyra gehört wegen ihrer Bauwerke aus den ersten Jahrhunderten nach Christus zum Unesco-Weltkulturerbe. Der IS hatte die Stadt im Mai 2015 eingenommen und einige der alten Tempel, Turmgräber und Triumphbögen zerstört. Für die Terroristen bedeutet der Verlust der Stadt einen schweren Schlag.

Umgekehrt hat das syrische Regime damit seinen bislang größten Sieg gegen die Dschihadisten errungen. Entscheidend war wohl die Hilfe der russischen Luftwaffe. Bei 40 Einsätzen hätten Kampfjets rund 120 Stützpunkte bombardiert, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Mit jedem Sieg verbessert das Regime Assad seine Verhandlungsposition gegenüber der Opposition bei den Syriengesprächen in Genf.

Palmyra ist für die Armeeführung der Ausgangspunkt für weitere Operationen – vor allem gegen die vom IS kontrollierten Städte Dair as-Saur und al-Rakka. Letztere gilt neben Mossul im Irak als inoffizielle Hauptstadt des IS. Gegen Mossul kündigte die irakische Armee eine Großoffensive an. Gleichzeitig bedrängen die Kurden in Syrien den IS und al-Rakka vom Norden aus.