Köln. Zwei junge Erwachsene sollen abgeschoben werden. Einer verletzt sich beim Fluchtversuch. Doch hätte es überhaupt soweit kommen müssen?

Dass sich eine Abschiebung derart zuspitzt, ist nicht ungewöhnlich. „Wir hatten schon Fälle, in denen Ausreisepflichtige auf dem Weg zum Flughafen im Stau versucht haben, die Autoscheiben einzuschlagen, um zu flüchten“, sagte der Pressesprecher des Hochsauerlandkreises, Martin Reuther. Im aktuellen Fall war der 18-jährige junge Mann aus Bestwig in Nordrhein-Westfalen in Begleitung zweier Bundespolizisten im Raucherbereich des Flughafens Köln/Bonn. Von dort aus sei er weggerannt. Beendet war die Flucht, als er von einer Mauer sprang, sieben Meter in die Tiefe stürzte und sich dabei den Oberschenkel brach.

„Dabei hätte es gar nicht sein müssen, dass die Situation in Köln derart eskaliert“, betont Reuther bei allem Verständnis für diese psychische Ausnahmesituation. Für ihn sei nach wie vor nicht nachvollziehbar, warum sich die armenische Familie nicht rechtzeitig im Kreishaus gemeldet hat. Abschiebungen seien keine Nacht-und-Nebel-Aktionen, wie es manchmal gern dargestellt werde, stellt der Kreis-Pressesprecher klar.

Behörde bat zum Gesprächstermin

Bereits im Januar sei der Anwalt der Familie schriftlich darüber informiert worden, dass eine vollziehbare Ausreisepflicht bestehe. „Wenn sich die Familie daraufhin bei der Ausländerbehörde gemeldet hätte, wäre sie in einem Gespräch darüber informiert worden, welche Vorteile eine freiwillige Ausreise für sie gehabt hätte“, sagt Reuther. Zu einem solchen Gespräch sei es aber nie gekommen – obwohl die Behörde nach eigenen Angaben zuletzt vor drei Wochen zum Gesprächstermin gebeten hatte.

„Dabei hätte die Familie erfahren, dass es bei einer freiwilligen Ausreise in der Regel finanzielle Unterstützung in einem vierstelligen Bereich gibt“, so der Pressesprecher. Zudem hätte später die Möglichkeit bestanden, bei der Deutschen Botschaft in Armenien ein Visum zu beantragen, um nach Deutschland zurückzukehren. Wie groß in diesem konkreten Fall die Chance auf die Erteilung eines Visums gewesen wäre, kann Reuther nicht einschätzen. Ungewöhnlich sei eine solche Erteilung nicht.

Erklären kann sich die Ausländerbehörde ebenfalls nicht, warum sie nach eigenen Angaben erst am Dienstag auf indirektem Weg davon erfahren hat, dass ein Härtefallantrag vorlag. „Er war Thema in dem Eilantrag, zu dem der Kreis gestern kurz vor der Abschiebung noch Stellung nehmen musste“, sagt Reuther. Man habe zwar gewusst, dass es beabsichtigt gewesen sei, einen Härtefallantrag zu stellen. Darüber, dass es einen solchen Antrag gibt, sei die Ausländerbehörde aber nie offiziell informiert worden. „Üblicherweise gehen Härtefallanträge ans Land und die Härtefallkommission bittet den Kreis um Stellungnahme“, erklärt Reuther. Das sei aber nicht erfolgt. Oftmals würden solche Anträge auch direkt in Kopie an den Kreis geschickt. Das sei ebenfalls nicht geschehen.

18-Jähriger wird in Kölner Krankenhaus behandelt

Der 18-Jährige wird derzeit in einem Kölner Krankenhaus behandelt und soll nach Angaben seiner Eltern in der kommenden Woche nach Meschede im nördlichen Sauerland verlegt werden. Auf die Abschiebung seiner 20 Jahre alten Schwester hatte der Fluchtversuch keine Auswirkungen. Sie musste am Dienstag um 18.15 Uhr zurück nach Armenien.

Die Eltern der beiden sind wütend und traurig. Auch sie sind ausreisepflichtig, dürfen allerdings vorerst in Deutschland bleiben, weil für ihr Neugeborenes noch ein Asylverfahren läuft. Ihre erwachsenen Kinder seien das perfekte Beispiel für gelungene Integration. Für die beiden sei es ein Schock gewesen, von jetzt auf gleich aus dem Alltag gerissen zu werden und all ihre Ziele aufgeben zu müssen. Der junge Mann stand kurz vor seinem Realschulabschluss und hatte bereits einen Ausbildungsplatz sicher.

Nachdem die Ausländerbehörde am Dienstag um sechs Uhr bei der Familie geklingelt hatte, um den 18-Jährigen und seine Schwester abzuholen, hatte sich auch der Vater auf den Weg zum Flughafen gemacht, um seinen Kindern beizustehen. Vom Fluchtversuch seines Sohnes erfuhr er erst, als der Krankenwagen vorfuhr.