Washington. Trotz der Waffenruhe ist die Lage im Syrien-Konflikt unübersichtlich. Die US-Regierung arbeitet offensichtlich schon an einem Plan B.

Nach fünf Jahren Bürgerkrieg hat die zwischen Russland und den USA orchestrierte erste offizielle Feuerpause in Syrien am Samstag im Großen und Ganzen gehalten. Ob die Waffenruhe aber von Dauer sein wird, erscheint ungewiss.

Die syrische und die russische Luftwaffe verzichteten nach Angaben von US-Stellen vereinbarungsgemäß auf Bombardements in Gebieten der gegen Machthaber Assad gerichteten Opposition. Die Rebellen stellten im Gegenzug ihren Artilleriebeschuss auf Stellungen des Regimes in Damaskus weitgehend ein.

Waffenstillstand als Voraussetzung für Verhandlungen

Dagegen berichtete die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, dass in einzelnen Landesteilen weiter zwischen Regime-treuen Truppen und Rebellen gekämpft werde. In mindestens zwei Städten kam es zu Selbstmordanschlägen. Die Verantwortung wurde dem Terror-Netzwerk Islamischer Staat zugeschrieben.

Staffan de Mistura, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, setzt darauf, dass die fragile Waffenruhe mindestens bis zum 7. März Bestand hat. Falls das gelingt, könnte es dann in Genf einen erneuten Anlauf für echte Friedensgespräche geben, sagte der Diplomat.

In der Zwischenzeit sollen, unbehelligt von Bomben und Raketen, internationale Hilfsorganisationen dringend benötigte Lebensmittel in die am stärksten betroffenen Gebiete bringen. Laut UN sind in Syrien knapp 4,5 Millionen Menschen von Nahrung und Medikamenten abgeschnitten. Der Krieg hat seit 2011 über eine Viertel Million Tote gefordert. Er ist maßgeblich für die Flüchtlingskrise verantwortlich, mit der die Europäische Union kämpft.

US-Regierung blickt gespannt auf kommende Tage

Prognosen über Erfolg und Misserfolg der Feuerpause wollten alle zentral Beteiligten offiziell nicht abgeben. Obama-Sprecher Josh Earnest sagte am Freitag, dass es Versuche geben wird, die Waffenruhe zu unterlaufen. „Die nächsten Tagen werden entscheidend sein.“

Trotz der ersten positiven Signale nach Inkrafttreten der Feuerpause am Samstag um 0 Uhr Ortszeit hält sich die Zuversicht in der US-Regierung auf eine dauerhafte Befriedung des Konflikts in engen Grenzen.

Was Obama und Putin verhandelt haben, bedeutet im Kern: Mit Ausnahmen des Islamischen Staates (IS) und des Al-Kaida-Ablegers Al-Nusra werden alle anderen Teilnehmer des Bürgerkrieges von Bombardierungen am Boden und aus der Luft ausgenommen. Rund 100 Rebellengruppen und die Assad-Regierung hätten sich der Vereinbarung über eine vorläufige „Beendigung der Feindseligkeiten“ verpflichtet, heißt es aus Washington und Moskau.

Selbst Sicherheitsexperten können Gruppen kaum unterscheiden

Vertreter des US-Verteidigungsministeriums räumten indes in inoffiziellen Gesprächen ein, dass die Vereinbarung mehrere Schwachpunkte aufweist. „Zwischen Rebellen zu unterscheiden, die gegen Assad sind, und jenen Gruppen, die nach unserer Lesart als Terroristen zu gelten haben, ist schwieriger geworden.“ Experten in Washington befürchten darum, dass Russland nach erster Zurückhaltung bald wieder reguläre Oppositionsgruppen ins Visier nehmen wird, sie im Nachhinein aber Terror-Netzwerken wie Al-Nusra-Front zuschreibt.

Bei einer Anhörung des zuständigen Senats-Ausschusses erklärte Außenminister John Kerry, dass die Lage in Syrien „noch viel hässlicher“ und das Land „komplett zerstört“ werden könnte, wenn nicht alle Parteien die Waffen dauerhaft schweigen lassen.

Kerry sprach im Fall eines Scheiterns von einem „Plan B“, der laut Insidern eine weitere militärische Eskalation bedeuten würde. Ausmaß? Offen. Hintergrund: Präsident Obama schreckt seit langem vor einer tieferen militärischen Verwicklung der USA in den Bürgerkrieg zurück. Dagegen raten Verteidigungsminister Ashton Carter und CIA-Chef John Brennan, die Anti-Assad-Front militärisch weiter zu ertüchtigen, um Russlands Einfluss einzudämmen.

Nach Assad würde Aufspaltung Syriens drohen

Washington befürchtet, dass eine Feuerpause, die in einen echten Waffenstillstand einmünden könnte, de facto die Aufspaltung Syriens in verschiedene fragile Einflusszonen begünstigt, obwohl sich alle Beteiligten doch auf die territoriale Unversehrtheit des Landes verständigt hätten. „Assad könnte, gestützt von Russland und Iran, strategische Zentren wie Damaskus, Homs und Aleppo, langfristig für sich sichern“, sagen Vertreter verschiedener Denkfabriken in Washington.

Moskau nimmt hingegen massiv Anstoß daran, dass Obama an seiner Grundhaltung festhält: Assad müsse weg. „Nach Jahren des barbarischen Krieges gegen sein eigenes Volk, in dem Folter, Fassbomben und Aushungern stattfanden, ist es eindeutig, dass viele Syrer den Kampf niemals aufgeben werden, solange Assad nicht entmachtet ist“, sagte der US-Präsident in dieser Woche, „es gibt keine Alternative zu einem Übergangsprozess“, an dessen Ende Assad nicht mehr in Verantwortung steht.

Vereinte Nationen sehen in naher Zukunft keine Wahlen

Die Realität sieht derzeit anders aus. Assad, dessen Abgang bereits mehrfach vorhergesagt wurde, ist durch Moskaus Intervention vom international isolierten Diktator zum selbstbewussten Verhandlungspartner geworden. Für den 13. April sind in Syrien Parlamentswahlen geplant. Es wäre die erste Abstimmung seit 2012. Washington schüttelt darüber den Kopf: „Assad macht sich etwas vor.“ Die Vereinten Nationen erklärten, dass Syrien in naher Zukunft noch keine ordnungsgemäßen Wahlen abhalten könne.

Obamas Gegner in der republikanischen Partei werfen dem Commander-in-Chief vor, das Vorwärtsdrängen Moskaus in dem Konflikt durch Passivität verstärkt zu haben. Einzelne Zeitungen schreiben von „Amerikas Schande“. Obama sei Komplize Putins, weil er Assad de facto ungeschoren davonkommen lasse. Im republikanischen Präsidentschaftswahlkampf spielt die humanitäre Katastrophe in Syrien kaum eine Rolle. Allein die potenzielle Gefahr, die vom Islamischen Staat (IS) für Amerika ausgeht, steht dort auf der Tagesordnung.