Berlin. Nach den fremdenfeindlichen Protesten in Clausnitz wächst die Kritik am Polizeieinsatz. Auch mehrere Flüchtlinge erheben nun Vorwürfe.
Bei dem Tumult vor einer Asylbewerberunterkunft im sächsischen Clausnitz soll die Polizei nach Aussage betroffener Flüchtlinge gegen mehrere von ihnen körperlichen Zwang angewendet haben. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück.
Auf einem im Internet verbreiteten Video war bereits zu sehen, wie ein Polizist einen Jungen im Klammergriff aus dem angekommenen Bus in die Unterkunft zerrt. Flüchtlinge in der Unterkunft sagten am Samstag, ein Polizist habe auch einer Frau die Arme auf den Rücken gedreht und sie zwangsweise aus dem Bus geholt.
In dem kleinen Ort im Erzgebirge hatten am Donnerstagabend rund 100 aufgebrachte Demonstranten versucht, die Ankunft eines Busses mit den ersten Bewohnern einer neuen Flüchtlingseinrichtung zu verhindern. Sie skandierten unter anderem „Wir sind das Volk!“. Augenscheinlich hatten die Flüchtlinge aus Angst vor den Protesten und der chaotischen Situation den Bus dann nicht verlassen wollen.
Die Polizei verteidigte am Samstag ihren Einsatz in Clausnitz. Der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann sagte, bei drei Flüchtlingen sei der Einsatz von „einfachem unmittelbaren Zwang“ sei „absolut notwendig“ und „verhältnismäßig“ gewesen. Er betonte, Flüchtlinge hätten aus dem Bus heraus provozierende Gesten gemacht. So habe ein Junge den Mittelfinger gezeigt. Die Beamten hätten befürchtet, dass sich die Situation dadurch aufschaukele und in Gewalt entlade.
Mehr als 50 Anzeigen gegen Polizei-Einsatz
„Aus meiner Sicht gibt es für das Vorgehen der Polizei keinerlei Konsequenzen“, so der Polizeipräsident weiter. Er räumte aber zugleich ein, dass die Polizei personell nicht in der Lage gewesen sei, die Versammlung von rund 100 aufgebrachten Protestierern aufzulösen. Derzeit geht die Polizei 14 Anzeigen etwa wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht oder Nötigung nach. Reißmann rechnete damit, dass die Zahl in den nächsten Tagen noch steigen wird. Außerdem seien mehr als 50 Online-Anzeigen wegen des Polizeieinsatzes eingegangen.
Die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) reagierte „fassungslos“ auf den Bericht des Leiters der Polizeidirektion Chemnitz. Es gebe keine Konsequenzen für den „verfehlten Polizeieinsatz“, kritisierte sie. Nagel kündigte an, sich im Landtag dafür einzusetzen, dass die Ereignisse in Clausnitz nicht folgenlos blieben. Die Vize-Vorsitzende der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Nadia Khalaf, sieht in dem gewaltsamen Vorgehen des Polizisten einen Vorstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. „Staatliche Gewalt gegen traumatisierte Kinder ist nicht hinnehmbar“, sagte sie.
„Das sind keine Bilder, die wir hier sehen wollen“
„Das sind keine Bilder, die wir hier in Deutschland sehen wollen. Das, was am Donnerstagabend passiert ist, darf nie normal werden“, kritisierte am Samstag der sächsische Grünen-Vorsitzende Jürgen Kasek. Für den Samstagabend war in Clausnitz eine Solidaritätskundgebung geplant. Damit solle ein friedliches Zeichen gegen Gewalt und Rassismus in Sachsen gesetzt und gegen das Vorgehen der Polizei protestiert werden, erklärte Kasek.
Die grüne Bundesspitze machte CSU-Chef Horst Seehofer mitverantwortlich für die Ereignisse. „Das Schlimme ist, dass dieser Mob sich bei jeder Äußerung von Horst Seehofer und Co. ermuntert fühlen darf. Die unverantwortliche Angstmache von einzelnen Unionspolitikern schafft die Zustände mit, vor denen sie dann warnen“, sagte Göring-Eckardt am Samstag in Berlin.
Leiter der Flüchtlingsunterkunft soll AfD-Mitglied sein
Nach Angaben des ZDF ist der Leiter der Flüchtlingsunterkunft in Clausnitz Mitglied der rechtspopulistischen AfD. Der Mann gehöre zu denen, die von der Ankunft des Busses mit den Flüchtlingen gewusst habe. Der sächsische Linksfraktionsvorsitzende Rico Gebhardt erklärte, dies lege den Schluss nahe, „dass der Bus keineswegs zufällig vom Mob in Empfang genommen worden ist“. Es müsse sorgfältiger geprüft werden, mit wem die staatliche Verwaltung bei der Flüchtlingsunterbringung zusammenarbeitet. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck forderte in diesem Punkt Aufklärung.
Der von einem Bundespolizisten zwangsweise aus dem Bus geholte Junge ist nach eigenen Angaben 14 Jahre alt und stammt aus Tripoli im Libanon. Er ist mit seinem Bruder und seinem Vater seit drei Monaten in Deutschland und war zunächst in Dresden untergebracht, wie er sagte. Der Bruder ist auf dem Internet-Video zu sehen, wie er freiwillig, aber weinend den Bus verlässt. Die Mutter und ein weiterer Bruder leben demnach noch im Libanon.
Die befragten Flüchtlinge wirkten verängstigt und konnten sich das Vorgehen der Polizei nicht richtig erklären. Der Gruppe gehören nach ihren Angaben Flüchtlinge aus dem Iran, aus Syrien und dem Libanon an. Sie waren demnach zunächst in Dresden und Chemnitz untergebracht – und wollen gern wieder weg aus Clausnitz. Eine Familie ist nach ihren Angaben bereits am Freitag mit einem Taxi nach Dresden gefahren. (dpa/epd)