Genf. Noch vor dem Beginn der Syrien-Friedensgespräche untergräbt der Boykott der Opposition die ersten Verhandlungsbemühungen seit Jahren.

Nach fünf Jahren Bürgerkrieg in Syrien mit mehr als 250.000 Toten und Millionen Vertriebenen gibt es einen neuen Anlauf für Frieden: Unter UN-Vermittlungen sollen am Freitag in Genf lange erwartete Gespräche zwischen Vertretern von Präsident Baschar al-Assad und oppositioneller Gruppen beginnen.

Allerdings könnte eine wichtige Partei in dem Konflikte zum Auftakt fehlen: Während Syrische Regierungsvertreter im Tagesverlauf in Genf erwartet werden, erklärte das Oppositionsbündnis am Donnerstagabend, am Freitag nicht dabei zu sein.

Der Koordinator des in Riad ansässigen Oppositionskomitees, Riad Hidschab, sagte dem arabischen Nachrichtenkanal Al-Arabija, die Regimegegner könnten bisher keine Erfolgsaussichten der Verhandlungen erkennen. Sie würden den Friedensgesprächen fernbleiben, solange ihre humanitären Forderungen nicht erfüllt seien. „Wir sind bereit, nach Genf zu fahren, wenn die humanitären Anliegen erreicht sind.“

Opposition verlangt Ende der Blockade syrischer Städte

Die Opposition verlangt vor dem Beginn der Verhandlungen ein Ende der Blockade syrischer Städte durch die Armee, sofortige Hilfslieferungen und einen Stopp russischer und syrischer Luftangriffe. Sie beruft sich dabei auf eine im Dezember verabschiedete Resolution des UN-Sicherheitsrates. Diese fordert unter anderem humanitäre Hilfe für Notleidende sowie ein sofortiges Ende aller Angriffe auf Zivilisten.

Hidschab warf dem Regime vor, es wolle die Gespräche, um seine Ziele zu erreichen, und nicht, um den Konflikt zu beenden. Die Gewalt in Syrien werde weitergehen, solange Assad an der Macht sei. Den UN-Sondervermittler Staffan de Mistura beschuldigte er, die Agenda der Assad-Verbündeten Russland und Iran angenommen zu haben.

Wer die syrische Opposition vertritt, ist umstritten

Vor der Entscheidung des Bündnisses hatte eine UN-Sprecherin am Donnerstag bekräftigt, dass die Gespräche unter Vermittlung der Vereinten Nationen wie geplant am Freitag beginnen sollen. Ursprünglich sollten sie bereits am vergangenen Montag starten. Allerdings wurde auch eine neuerliche Verschiebung nicht ausgeschlossen.

Seit Tagen gibt es Streit darüber, wer die syrische Opposition vertritt. Das von mehreren Gruppen der zersplitterten Regimegegner gegründete Komitee in der saudischen Hauptstadt Riad will allein entscheiden, wer die Opposition in Genf vertritt. Russland fordert hingegen als enger Verbündeter des Regimes die Teilnahme weiterer Oppositioneller.

Die Verhandlungen sollen den Weg zu einer friedlichen Lösung und einer Übergangsregierung in Syrien bahnen. Innerhalb von 18 Monaten soll es einem Plan der internationalen Gemeinschaft zufolge freie Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen geben.

Vereinbarung eines Waffenstillstandes hat Priorität

Regime und Opposition sollen in Genf zunächst nicht direkt miteinander reden. De Mistura will am Anfang in „Annäherungsgesprächen“ zwischen ihnen vermitteln und beiden als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Die Vereinbarung eines umfassenden Waffenstillstands soll ebenso Priorität haben wie humanitäre Hilfen.

Eine Sprecher des Weißen Hauses in Washington erklärte, die USA hätten die Hoffnung, dass es bei den Gesprächen Fortschritte gebe. „Aber niemand unterschätzt, wie schwierig diese Herausforderung ist.“ De Mistura hatte zuvor in einer Videobotschaft an die Syrer appelliert, die Gelegenheit in Genf nicht zu vergeben.

Russland schraubte die Erwartungen bereits am Donnerstag herunter. Der Kreml erklärte, er halte Verhandlungen über eine Waffenruhe im syrischen Bürgerkrieg für verfrüht. Zunächst müsse abschließend bestimmt werden, welche Gruppen auf eine Terrorliste gesetzt und welche der moderaten Opposition zugerechnet würden. Russland besteht seit Monaten darauf, solche Listen zu entwerfen.

Seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 sind mehr als 250 000 Menschen umgekommen. 4,6 Millionen Syrer sind nach UN-Angaben vor der Gewalt ins Ausland geflohen, weitere 6,6 Millionen Menschen im Land selbst vertrieben. 13,5 Millionen Syrer brauchen humanitäre Hilfe. (dpa)