Incirlik. Überraschungsbesuch: Verteidigungsministerin von der Leyen trifft Tornado-Piloten auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik.

Ursula von der Leyen (CDU) steht in einem offenen Hangar des türkischen Luftwaffenstützpunktes Incirlik und hat trotz einer Temperatur von etwa fünf Grad Celsius ihren Mantel nicht angezogen. Doch eine mögliche Unterkühlung geht der Verteidigungsministerin jetzt wohl kaum durch den Kopf.

Hier geht es um den Kampf gegen die brutale Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), 150 Kilometer entfernt beginnt Syrien, für die Tornados auf dem kürzesten Weg in gut zehn Minuten zu erreichen. Seit knapp zwei Wochen fliegen die sechs Tornados, liefern Aufklärungsbilder aus Syrien und dem Irak. Es geht darum, Stellungen des IS auszukundschaften. Die Kampfeinsätze übernehmen dann unter anderem die Amerikaner oder die Franzosen. Michael Krah, Kommodore des Einsatzgeschwaders, lobt die Soldaten für die ausgezeichnete Arbeit. Die Bündnispartner seien hochzufrieden mit den Aufklärungsbildern. Bisher gab es 34 Tornado-Flüge. So weit, so gut.

Gemeinsam Fluchtursachen bekämpfen

Doch Ursula von der Leyen hat auf ihrem Überraschungsbesuch bei der Truppe auch drei Probleme im Gepäck: Die Tornados, mit denen sich Deutschland an der Anti-Terror-Allianz beteiligt, können aus Sicherheitsgründen nachts nicht fliegen. Zudem gibt es Kritik an der Sinnhaftigkeit der Aufklärungsflüge. Und auch das schwierige Verhältnis zur Türkei macht diese Reise nicht einfacher.

Ein Problem steht direkt neben ihr. Der türkische Verteidigungsminister Ismet Yilmaz lobt Deutschland als wichtigen Partner und Verbündeten. Von der Leyen sagt das auch so ähnlich. Deutschland braucht die Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan soll den Flüchtlingsstrom nach Europa begrenzen. „Wir sind hier gemeinsam, weil wir die Fluchtursachen bekämpfen wollen“, sagt von der Leyen. Auch beim Aufklären des Terroranschlags in Istanbul, bei dem zehn deutsche Urlauber ums Leben kamen, müssen Berlin und Ankara eng zusammenarbeiten.

Die Lage in Syrien ist kompliziert und unübersichtlich

Andererseits sorgt sich Deutschland um die Kurden, Erdogan bekämpft die PKK mit Härte. Doch das ist kein Gesprächsthema, das auf so einem Besuch öffentlich angesprochen wird. Zudem wird Erdogan ein widersprüchliches Verhältnis zum sogenannten Islamischen Staat nachgesagt. Ohnehin ist die Lage in Syrien kompliziert und unübersichtlich. Da gibt es den Machthaber Assad, den IS und etwa 800 bis 1000 verschiedene Rebellengruppen. Russland will Assad stützen. Die westlichen Alliierten um die USA wollen vor allem den IS besiegen – und Assad loswerden. Ein Deutscher drückt es so aus: „Alle kämpfen gegen alle – und die Türkei kocht ihr eigenes Süppchen.“ Es gibt viel zu besprechen: Am heutigen Freitag treffen sich das deutsche und das türkische Kabinett in Berlin zu einer Regierungskonsultation.

Das führt zum zweiten Problem: Ist der deutsche Tornado-Einsatz in dieser unübersichtlichen Lage überhaupt sinnvoll? Kritiker bemängeln, dass Deutschland lange nichts von einem Syrien-Einsatz wissen wollte: Erst Ende vergangenen Jahres habe sich die Bundesregierung aus Solidarität zu Frankreich nach den Terroranschlägen von Paris, bei dem 130 Menschen getötet worden waren, eilig zu einem symbolischen Einsatz hinreißen lassen. Deutschland hilft der internationalen Koalition gegen den IS, der sich zu den Anschlägen von Paris bekannte, mit einem Tankflugzeug und sechs Tornados. Die Jets liefern hochaufgelöste und präzise Aufklärungsfotos. Die Arbeit am Boden sollen einheimische Truppen erledigen. Im Westen will bisher niemand etwas von westlichen Bodentruppen wissen.

An der Lösung des Nachtsichtproblems wird gearbeitet

Das dritte Problem hat mit dem Material zu tun. Kurz vor von der Leyens Besuch in Incirlik wurde bekannt: Die Tornados können aus Sicherheitsgründen nachts nicht fliegen. Piloten, die in der Dunkelheit eine Nachtsichtbrille tragen, werden von der Cockpitbeleuchtung zu stark geblendet. „Entscheidend ist, was gebraucht wird“, sagt von der Leyen später. Damit meint sie: Bisher wurden nur Aufklärungsflüge am Tag angefordert. Ohnehin sind die Bilder, die am Tag gemacht wurden, viel detaillierter als Infrarotaufnahmen in der Nacht.

Ein Angehöriger des deutschen Kontingents in Incirlik sagt: „Dass wir bisher noch nicht nachts fliegen sollten, ist reiner Zufall, wir gehen aber davon aus, dass das in naher Zukunft passieren wird.“ Von der Leyen betont, an der Lösung des Nachtsichtproblems werde „mit Hochdruck“ gearbeitet. Der mitgereiste Rüstungsexperte der Grünen, Tobias Lindner, sagt: „Man will jetzt die Lösung beschleunigen. Ich bin gespannt, ob das gelingt.“

IS-Kämpfer verbrannten jordanischen Piloten bei lebendigem Leib

Wie wichtig größtmögliche Sicherheit für die Piloten ist, zeigt das Schicksal des jordanischen Kampfpiloten Moaz al-Kasasbeh. Der stürzte 2014 über Syrien ab. IS-Kämpfer nahmen ihn gefangen, sperrten ihn in einen Eisenkäfig und verbrannten ihn – bei lebendigem Leib.

Von der Leyen spricht von einem Einsatz in einem „gefährlichen Gebiet“. Und Michael Krah, der Kommodore des Einsatzgeschwaders, sagt, dass deutsche Flugzeuge bisher nicht beschossen wurden. Krah spricht trotzdem von „einem mulmigen Gefühl“, das die Piloten auf ihren Flügen hätten.