Washington . Barack Obama hat vielleicht ein Rezept, Guantánamo wie versprochen zu schließen. Schrumpfen bis zur Aufgabe. Der Plan kann aufgehen .

Es wird der wichtigste Schrumpfungsprozess seiner Präsidentschaft. Um im letzten Amtsjahr sein Versprechen auf Schließung des Terrorgefangenenlagers Guantánamo Bay einzulösen, setzt Barack Obama auf ein wachsendes Missverhältnis: Je weniger Gefangene auf der US-Marinebasis in Kuba einsitzen, so das Kalkül des US-Präsidenten, desto schwieriger wird es, den sündhaft teuren und weltweit als ungesetzlich kritisierten Betrieb länger zu rechtfertigen.

Grund: Islamistische Terrorverdächtige, die in Hochsicherheitsgefängnissen auf dem Festland einsitzen, kosten den US-Steuerzahler einen Bruchteil (70.000 Dollar pro Jahr) dessen, was zurzeit in Guantánamo (drei Millionen Dollar) pro Kopf fällig wird. Mit der größten Entlassungswelle seit Amtsantritt 2009 will Obama die Relationen jetzt noch drastischer verschieben.

17 Unschuldige werden überführt

In den nächsten Wochen werden 17 seit Jahren als unschuldig eingestufte Häftlinge, vor allem Jemeniten, in Drittländer überführt. In ihre terroranfällige Heimat will man sie wegen des Bürgerkriegs nicht lassen. Dadurch wird die Zahl der ursprünglich 800 Menschen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 von der Regierung Bush ab Januar 2002 in Afghanistan, Pakistan und arabischen Ländern festgenommen und nach Kuba gebracht worden waren, auf 90 sinken.

Mit heutigem Stand sind es 104. Darunter sind, wie ein Obama-Sprecher darlegte, 45 Männer, die ebenfalls seit Langem zur Entlassung anstehen, weil gegen sie nichts vorliegt. Rechnet man sie heraus, bleiben 59 Gefangene. Darunter 22 Männer, denen der Prozess gemacht werden soll und zehn Häftlinge wie Chalid Scheich Mohammed, Drahtzieher der Anschläge vom 11. September, die sich seit Jahren ohne Ergebnis vor dem Militärtribunal in Guantánamo verantworten müssen.

27 Gefangene sollen nie freikommen

Bleibt der heikle Rest: 27 Gefangene, die aus Sicht der US-Regierung immer noch als zu gefährlich gelten, um jemals freizukommen. Die aber auch nicht vor Gericht gestellt werden können, weil, wie Anwälte der Betroffenen unserer Redaktion sagten, „Amerika dann Folter und andere hässliche Dinge zugeben müsste“. Auf der anderen Seite der Gleichung steht in Guantánamo eine Wach- und Sicherheitsmannschaft, die aus 2000 Soldaten besteht. Gesamtkosten im Jahr laut Pentagon: fast 500 Millionen Dollar.

Was ist die Alternative? Obama hat Gefängniskomplexe in Fort Leavenworth (Kansas), Charleston (South Carolina) und Florence (Colorado) in Augenschein nehmen lassen. Colorado wird in Regierungskreisen favorisiert. Dort steht ein Gefängnis mit 1000 Zellen leer, das den Steuerzahler jährlich 20 Millionen Dollar Unterhalt kostet. Dorthin könnten die „For-ever-Prisoner“ (Ewigkeitshäftlinge) verlegt werden. Örtliche Abgeordnete drohen mit Klagen.

Obama will Thema noch abhaken

Nachdem der republikanisch beherrschte Kongress kürzlich per Gesetz den regulären Weg zur Aufgabe Guantánamos komplett verbaut hat, bleibt Obama nur die präsidiale Sonderverordnung. Clifford Sloan, ein Obama-Vertrauter sagt: „Niemand sollte sich täuschen. Obama ist fest entschlossen Guantánamo zu schließen, bevor er aus dem Amt scheidet. Er will das Thema nicht dem nächsten Präsidenten überlassen“, sagte der Anwalt der Berliner Morgenpost. Sloan hatte bis Ende 2014 als Sonderbeauftragter der Regierung den Transfer von Guantánamo-Häftlingen organisiert; unter anderem nach Europa.

Auch Sloan sieht den Hebel in der Statistik. „Wenn die Zahl der Gefangenen in den nächsten Wochen nennenswert gesenkt werden kann, wäre das sehr hilfreich, um die Dynamik in der Diskussion zwischen Präsident und Kongress zu verändern.“ Die Argumente für die Schließung seien überzeugender denn je: „Guantánamo inspiriert weltweit unsere Feinde. Es widerspricht unseren Werten, Menschen weiter gefangen zu halten, deren Freilassung bereits genehmigt wurde.“

Sloan setzt dabei auf Mithilfe von außen. „Andere Länder haben den Schlüssel zur Schließung Guantánamos in der Hand. Wenn sie bereit sind, jene Gefangenen aufzunehmen, deren Freilassung genehmigt wurde, wird das Ende von Guantánamo viel wahrscheinlicher.“ Als Anwalt sieht der ehemalige Sonderbeauftragte kein Problem darin, sollte Obama auf eigene Faust gegen den Willen des Parlaments die Schließung Guantánamos anordnen. „Es ist nicht verfassungsgemäß, wenn der Kongress versucht, dem Präsidenten vorzuschreiben, an welchem spezifischen Ort er eine spezifische Gruppe von Gefangenen festhalten muss.“