Hamburg. “Willenlos“, “Dummes Mädchen“, “Unfassbar dreist“: Beate Zschäpes Aussage löst heftige Reaktionen aus. Doch es gibt neue Hinweise.

War das nun eine Entschuldigung, war es Reue oder ein taktisches Manöver, um einer Verurteilung zu einer lebenslänglichen Haftstrafe mit besonders schwerer Schuld zu entgehen? Beate Zschäpe hat mit ihrer Aussage im Münchener NSU-Prozess um die zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge, die ihr und ihren früheren Begleitern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vorgeworfenen werden, mehr für Verwirrung gesorgt, als ihren alten und neuen Anwälten lieb sein dürfte.

Hier finden Sie den Kommentar des Hamburger Abendblatts

Das Hamburger Abendblatt dokumentiert Auszüge aus Kommentaren deutscher Tageszeitungen.

Eine Verhöhnung der Ermordeten und des Gerichts

„Das Entsetzen der Angehörigen der NSU-Opfer über die Aussage von Beate Zschäpe ist mehr als verständlich. Es klingt wie eine Verhöhnung der Ermordeten und des Gerichts, wenn Verteidiger Mathias Grasel anderthalb Stunden lang die Versuche der 40-Jährigen verliest, sich aus der strafrechtlichen Verantwortung für die Taten der NSU-Bande zu winden. Dreizehn Jahre lang will Zschäpe von den Taten ihrer Mitbewohner Böhnhardt und Mundlos immer erst im Nachhinein erfahren haben. Mitglied einer Terrorgruppe sei sie nie gewesen. Statt echter Aufklärung gibt es nur eine jämmerliche Entschuldigung gegenüber den Opfern. Seit zweieinhalb Jahren treibt Beate Zschäpe das Gericht und die Öffentlichkeit vor sich her und macht eine vernünftige Führung des Prozesses nahezu unmöglich. Hinter den Wendungen und Volten der Angeklagten steht nur ein Ziel: Distanz zu den Mittätern zu schaffen, um ihre Verstrickung in die Taten zu verharmlosen und damit das Strafmaß zu drücken.“ Südwest Presse (Ulm)

Angeblich willenlos

“Im Fall Zschäpe – bezogen auf die Morde des NSU – wäre ein Komplett-Leugnen schon wegen der etlichen Beweise unmöglich gewesen, die ihre Kenntnis von Überfällen, Morden und Anschlägen belegen. Um solche galt es, in den vergangenen Monaten jene Erklärung drumherum zu stricken. Eine Erklärung, die all das, was der Prozess bisher zweifelsfrei bewiesen hat, zwar einräumt, aber allem dennoch einen unschuldigen Dreh geben soll. (...) Doch ist da ein Umstand, der Zschäpes Version vom hilflosen Opfer letzte Glaubwürdigkeit raubt: An der angeblich so willenlosen Beate Zschäpe vermisst man eines nämlich voll und ganz - jegliches Anzeichen von Mitgefühl für die Opfer.“ Freie Presse (Chemnitz)

Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt neben ihren Anwälten Hermann Borchert (l.) und Mathias Grasel
Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt neben ihren Anwälten Hermann Borchert (l.) und Mathias Grasel © dpa/picture alliance | Tobias Hase

Das kann ein Fehler von Zschäpe gewesen sein

„Schuld waren immer die anderen: Die Mutter, die Polizei, der Neonazi-Kamerad, der für den Verfassungsschutz arbeitete und natürlich, die alten Freunde aus dem Untergrund. Wie viel Substanz von dieser Erklärung am Ende übrig bleibt, wird sich in den nächsten Verhandlungstagen erweisen. Gut möglich, dass sich das Gericht auf das schriftliche Prozedere einlässt. Wenn die Antworten so erkennbar zweckorientiert und floskelhaft bleiben, wird sich der gestrige Tag für die Angeklagte noch als großer Fehler erweisen.“ Sächsische Zeitung

Die Chronologie im NSU-Fall Beate Zschäpe

4. November 2011

Nach einem missglückten Banküberfall werden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot in einem ausgebrannten Wohnwagen in Thüringen gefunden. Bei ihnen sind die Waffen zweier Polizisten, die 2007 in Heilbronn getötet beziehungsweise schwer verletzt wurden.

8. November

Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena.

11. November

Zum Polizistenmord von Heilbronn übernimmt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen. Es gibt offenbar Verbindungen zu den anderen Morden.

13. November

Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Zschäpe.

14. November

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert Aufklärung vom Verfassungsschutz. In mehreren Bundesländern kommen Pannen bei der Fahndung nach der Terrorgruppe ans Licht.

27. Januar 2012

Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages nimmt in Berlin seine Arbeit auf.

28. Juni

Es wird bekannt, dass beim Verfassungsschutz Akten vernichtet wurden, nachdem die Terrorgruppe aufgeflogen war.

2. Juli

Nach den schweren Ermittlungspannen räumt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, seinen Posten.

8. November

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

6. Mai 2013

In München beginnt der Prozess gegen die Terrorgruppe NSU. Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe.

22. August

Der Untersuchungsausschuss des Bundestages legt seinen Abschlussbericht vor. Er wirft den Sicherheitsbehörden schwere Versäumnisse bei den Ermittlungen gegen die Terrorzelle vor.

16. Juli 2014

Beate Zschäpe gibt an, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger. Doch wenige Tage später schmettert das Gericht ihren Antrag auf neue Anwälte ab.

20. Juli 2015

Zschäpes Verteidiger beantragen, von ihren Pflichtmandaten entbunden zu werden.

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Die Pistolen hat sie weggeräumt

„Beate Zschäpe als Frau mit schwieriger Kindheit, die sich die falschen Männer ausgesucht hat, die fassungslos und geschockt war, als sie von deren Bluttaten erfuhr. Sich aber in einem "emotionalen Dilemma" befand: Wäre sie zur Polizei gegangen, hätten ihr selbst mehrere Jahre Haft gedroht. Und ihre zwei Männer, ihre "Familie", hätten sich umgebracht. Deswegen konnte sie sich nicht stellen, deswegen konnte sie das Morden nicht stoppen. Das ist das Bild, das die neue Verteidigung von Beate Zschäpe zeichnen will. Die Pistolen hat sie weggeräumt, weil sie sie nicht sehen wollte, die Zeitungen hat sie gelesen, weil sie sich nicht nur auf die Erzählungen der beiden Uwes verlassen wollte. Die Existenz organisierter Strukturen, einer Terrorzelle oder gar einer terroristischen Vereinigung bestreitet sie ausdrücklich. Mittelbayerische Zeitung

Die Geschichte wirkt konstruiert

„Zschäpe will vom Vorwurf der Mittäterschaft weg. Übrig bliebe Beihilfe. Hätte sie damit Erfolg, drohten ihr nicht mehr mindestens 20 Jahre Gefängnis, sondern deutlich weniger. Dass sie Erfolg haben wird, darf bezweifelt werden. Zu konstruiert klingt ihre Version der Geschichte. (...) Zschäpe bietet in ihrer Aussage wenig Beweisbares an. Es ist viel von Liebe die Rede und praktisch nichts von überprüfbaren Fakten. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Richter ihr folgen - und das ist auch gut so." Badische Zeitung (Freiburg)

Die Zschäpe-Show hat Hintergründe verschleiert

„Jeder noch so abscheuliche Verbrecher hat Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Es spielt keine Rolle, ob der Täter Reue zeigt oder mit den Gefühlen der Opfer oder ihrer Angehörigen spielt. Das Gericht muss deshalb herausfinden, inwieweit die Hauptangeklagte Beate Zschäpe an den mörderischen Taten ihrer Komplizen Böhnhardt und Mundlos beteiligt war. Dazu sind Akribie, Fairness und Klugheit gefragt. Mit ihrer Erklärung hat die Hauptangeklagte allerdings wenig zur Aufhellung der Taten der rechtsextremistischen Terroristen beigetragen. Es war die große Zschäpe-Show, von Reue und echter Einsicht keine Spur.“ Rheinische Post (Düsseldorf)


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Zschäpes Auftritt war eine Posse

„Die erste Einlassung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe hat den Münchener NSU-Prozess um eine Posse, aber nicht um Erkenntnisse ergänzt. Leider steht damit fest: Die Faktenbasis bleibt schmal, auf der das Gericht wird entscheiden müssen. Umso bedeutender wird damit die Arbeit der parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschüsse - nicht zuletzt in Baden-Württemberg. Es wäre erschütternd für die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats, sollten statt Antworten nur Leerstellen bleiben.“ Stuttgarter Nachrichten


Sie spielte das dumme Mädchen

„Beate Zschäpe spielte gestern das dumme Mäuschen an der Seite von zwei Serienmördern. Das war eine miese Show! Doch sie hatte auch ihr Gutes. Denn sie hat uns mit aller Wucht noch einmal auf die NSU-Verbrechen und das Versagen der Sicherheitsbehörden gestoßen. Als die NSU-Verbrecher töteten, ließen die Sicherheitsbehörden alle Hinweise auf die Täter in Aktenschränken vermodern. Heute werfen braune Kriminelle Brandsätze in Flüchtlingsheime. Und die Polizei bekommt die Täter nur selten zu fassen. Das weckt böse Erinnerungen! Polizei und Verfassungsschutz müssen beweisen, dass sie aus den Pannen von damals gelernt haben.“ Bild-Zeitung


Entschuldigung an Zynismus nicht zu überbieten

„Ja, Beate Zschäpe darf ihre Rolle bei den Verbrechen der Terrortruppe kleinreden. Sie muss sich vor Gericht nicht selbst belasten. Das hat mit geltendem Recht sehr viel, mit Gerechtigkeit jedoch nichts zu tun. Wer so blauäugig war und Erhellendes über die Mordserie und Zschäpes Rolle dabei erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht. Das Kalkül hinter ihren Einlassungen - das geringstmögliche Strafmaß - war überdeutlich. Zschäpe gab nur zu, was ohnehin nicht zu widerlegen ist; alles andere bestritt sie. Und wenn sie nach zweieinhalbjährigem Schweigen die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung bittet, dann ist das am Ende einer solchen Aussage an Zynismus nicht zu überbieten.“ Weser-Kurier (Bremen)

Ein Opfer der lieblosen Mutter und der Liebe zu den Uwes?

„Zschäpe erklärt sich zum Opfer. Erst war sie das Opfer ihrer lieb- und mittellosen Mutter. Dann wurde sie das Opfer ihrer Liebe zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Sie habe die mordenden Männer nicht aufhalten können - die Gefühle! Zschäpes Aussage ist unglaubwürdig, auch zynisch. Aber die Hauptangeklagte tut, was Angeklagte vor Gericht nun mal tun: Sie verteidigt sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaats. Die Enttäuschung, der Ärger über ihre Ausführungen sind verständlich. Sie sind aber auch Ausdruck der zu hohen Erwartungen an diesen Gerichtsprozess.“ Hannoversche Allgemeine Zeitung

Etliche dürften zufrieden mit Zschäpe sein

„Die Strukturen und Netzwerke um den NSU bleiben indes weiter ungeklärt. Nach Zschäpes Aussage muss man den Eindruck gewinnen, dass es sich nur um verblendete Einzelkämpfer handelte. Doch da war auch der „Thüringer Heimatschutz“, in dem der NSU seine ideologische Basis fand. Eine Rolle spielte auch der Thüringer Verfassungsschutz, der Böhnhardt und Mundlos als potenzielle V-Leute betrachtete - wobei der NSU trotzdem mehr als zehn Jahre lang ungestört ein Verbrechen nach dem anderen begehen konnte. Dazu kein Wort von Zschäpe. Etliche Leute außerhalb des Gerichtssaals dürften deshalb gestern ganz zufrieden mit ihr gewesen sein.“ Lausitzer Rundschau

Unfassbar dumm oder unfassbar dreist

„Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: Zschäpe ist entweder unfassbar dumm oder unfassbar dreist. Sehr viel spricht für Letzteres. Leider. Ihre Aussage - sie gipfelt in einer Entschuldigung für etwas, das sie nicht getan haben will - passt gut in die Reihe der Absonderlichkeiten, die die NSU-Aufarbeitung begleiten. Eben erst hat der Bundestag einen zweiten Untersuchungsausschuss eingesetzt, weil noch immer unklar ist, ob der NSU nicht doch aus einem größeren Netzwerk bestand. Der Staat, das wird mit Zschäpes Aussage erneut offensichtlich, darf sich nicht an der Nase herumführen lassen.“ Münchner Merkur

Ein Hinweis war neu

„Zschäpes Aussage war nicht nur unplausibel, sie verweigert auch die Antwort auf einige der wichtigsten Fragen dieses Prozesses. Eine lautet: Da es unmöglich ist, über Jahre hinweg ohne Hilfe von außen im Untergrund zu leben und die längste terroristische Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik vorzubereiten und auszuführen - wer waren die Unterstützer? Die zweite lautet: Welche Rolle spielten die Sicherheitsbehörden? Hier hat Zschäpe einen interessanten Hinweis gegeben. Tino Brandt war in den 90ern nicht nur Kopf des Neonazi-Netzwerks „Thüringer Heimatschutz“, er war auch V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, mit dessen Geld - angeblich rund 100 000 Euro - er das Netzwerk finanzierte. Über seinen Beitrag zu den Morden des NSU ließ Zschäpe verlesen: „Man kann sagen, ohne Tino Brandt wären alle diese Unternehmungen nicht möglich gewesen.“ Mitteldeutsche Zeitung (Halle/Saale)

Sie lebte mit den Tätern und liebte sie

„Aber unabhängig davon, wie ernst sie es mit ihrer „moralischen Schuld“ meint: Frau Zschäpe hat das Tatsachengerüst der Anklage im wesentlichen bestätigt. Sie konnte es aufgrund der zahlreichen Indizien auch kaum zum Einsturz bringen. Sie lebte mit den Tätern, liebte sie, brauchte sie, wie sie jetzt sagte, und sie zerstörte nach deren Selbstmord das Haus, in dem sie lebten. Sie will aber immer erst im Nachhinein von den Morden erfahren und versucht haben, ihre Freunde davon abzubringen. Selbst wenn man das zugrunde legt: Wer mit diesen Tätern mit diesem ideologischen Hintergrund lebt und weiß, wie sie gezielt ausländische und deutsche Mitbürger umgebracht haben - ist der nicht eingeweiht? Er durfte jedenfalls nicht den bürgerlichen Schein dieses Trio infernale weiter aufrechterhalten.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

Vielleicht um Kopf und Kragen geredet

„Anwälte nennen ein solches Geständnis ein taktisches Geständnis. Es drückt keine echte Reue aus, folgt nicht dem Wunsch nach einer ehrlichen, schonungslosen Aussage, sondern soll eine erwartbar hohe Strafe abmildern. Bei Zschäpe geht es um lebenslänglich im Wortsinn. Oder um Freiheit nach einem guten Dutzend Jahren. Es mag sein, dass ihre neuen Anwälte glauben, sie könnten das Gericht mit der Aussage dorthin bewegen. Doch dafür wirkt das Geständnis nicht nur zu konstruiert. Es wirft vor allem die Frage auf, warum die mutmaßliche NSU-Terroristin nicht viel früher das Wort ergriffen, warum sie sich vier Jahre hat in Untersuchungshaft nehmen lassen, wenn die Vorwürfe gegen sie falsch sind. Vielleicht hat sie sich um Kopf und Kragen geredet.“ Nürnberger Nachrichten

Nicht in die Hand der Angeklagten begeben!

„Ihre Aussage schreit danach, hinterfragt zu werden. Das ist allen klar. Doch Zschäpe will nur auf schriftliche Fragen antworten - gut vorbereitet durch ihren Anwalt. Das ist rechtlich nicht ausgeschlossen, aber es zeigt dem Gericht auch, dass diese Aussage eben nur ein Konstrukt ist. Bei der leisesten spontanen Nachfrage droht es zusammenzustürzen. Das Gericht hat zum einen die Pflicht zur Aufklärung, es muss alles möglich machen, um so viele Erkenntnisse wie möglich zu gewinnen. Es muss sich dabei aber zum anderen nicht selbst in die Hand der Angeklagten begeben. Zschäpe hat eigentlich schon alles gesagt: Ihre Aussage ist eine Ausflucht, in sich unlogisch, unglaubwürdig und mit dem Schnörkel, noch schnell Mitleid mit den Opfern zu zeigen, auch jämmerlich.“ Süddeutsche Zeitung