Berlin. Sie sind bis zu 90 Minuten in der Luft, aber entscheidend sind wenige Augenblicke: Wie ein Aufklärungseinsatz im Tornado abläuft.

Die Bundeswehr steht vor dem Einsatz über Syrien. Doch wie läuft das ab? Der Vorsitzende des Verbands der Kampfjet-Besatzungen skizziert, wie ein Aufklärungseinsatz eines Tornados für den Piloten und den Waffensystemoffizier ablaufen könnte. Hier ist das Szenario, wie es von Januar an aussehen könnte:

Die Ausgangslage: Pilot und Waffensystemoffizier, nennen wir sie Peter Michel und Nick Brettschauer, sind erst ein paar Tage in Incirlik der Türkei. Sie kommen vom Aufklärungsgeschwader 51 in Jagel und gehören zu den rund zwei Dutzend Mitgliedern von Tornadobesatzungen, welche die Bundeswehr in den Einsatz geschickt hat. „Das ist eine realistische Zahl“, erklärt Thomas Wassmann, Bundesvorsitzender des Verbands der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Deutschen Bundeswehr e.V. „Darunter ist es nicht möglich, rund um die Uhr einsatzbereit zu sein.“

Weil Michel und Brettschauer erst seit kurzem hier sind, verbringen sie ihren Dienst vor allem damit, von Fachleuten vor Ort ausführliche Einweisungen in die Gegebenheiten zu bekommen: Welche Waffensysteme finden sich in der Region? Wie sind die Wetterbedingungen allgemein? Wassmann: „Wenn sie schon einige Wochen da sind, werden sie sicher auch Büroarbeit erledigen.“ Da kommt Nachricht vom Einsatzstabsoffizier: Der Kommandostand hat Befehl vom Headquarter bekommen, in drei Stunden Aufklärung über einer vom sogenannten IS kontrollierten Region zu fliegen. „Solche Anforderungen können kurzfristig oder auch schon einen Tag vorher kommen“, so Wassmann. Ein Einsatz für Michel und Brettschauer.

Aufklärungs-Tornado der Bundeswehr: Zeichnung und technische Daten, Nr. 22376; Querformat: 90 x 75 mm, Grafik: R. Mühlenbruch, Redaktion: S. Tanke
Aufklärungs-Tornado der Bundeswehr: Zeichnung und technische Daten, Nr. 22376; Querformat: 90 x 75 mm, Grafik: R. Mühlenbruch, Redaktion: S. Tanke © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH

Die Vorbereitungen mit Karten: Michel und Brettschauer haben den Befehl erhalten, aus welcher Gegend sie Bilder liefern sollen. Sie zoomen sich jetzt Kartenmaterial heran. Gröber aufgelöst die zunächst ungefähre Route, hoch aufgelöst das Zielgebiet. Ein Offizier vom Stabsbereich 2 berichtet ihnen, was auf der Strecke zu beachten ist. In dem für Aufklärung und Geoinformationen zuständigen Bereich laufen alle Informationen zur Bedrohungslage ein: Gibt es Stellungen, Radarstationen? Michel und Brettschauer sollten vielleicht nicht den direkten Weg fliegen. Bleiben sie über 10.000 Fuß, scheinen sie aber unterwegs sicher zu sein: Höher können die bekannten Waffen an der Flugabwehrstellung nicht schießen. Sie planen jetzt die detaillierte Route, legen schon fest, von welchem Winkel aus sie das Zielgebiet aufnehmen wollen, von welcher Richtung sie es anfliegen. Pilot und sein Waffenmann stimmen sich ab, Brettschauer geht noch einmal los und besorgt zusätzliche Informationen.

Ein eingespieltes Team sind sie nicht, feste Pärchen gehören nicht zur Philosophie der Bundeswehr. Anders als bei der US-Luftwaffe: Da hat die immer gleiche Besatzung auch ihr festes Flugzeug. Wassmann: „Bei der Bundeswehr wechseln Crews, flexibles Reagieren steht da höher im Kurs.“ Brettschauer hat jetzt auch ermittelt, wie hoch der höchste Berg ist. Sollte die Besatzung desorientiert sein und Technik wie das Geländefolgeradar ausfallen, ist das die Höhe, über der sie bleiben muss. Beim Flug wird Brettschauer für die Navigation zuständig sein. „30 bis 90 Minuten dauert es, die Route zu planen, abhängig von der Komplexität“, sagt Wassmann. Der 51-jährige Major a.D. war selbst Waffensystemoffizier in einer Phantom.

Ein Einwinker dirigiert einen Tornado der Bundeswehr.
Ein Einwinker dirigiert einen Tornado der Bundeswehr. © imago stock&people | imago stock&people

Die letzten Vorbereitungen: Die Besatzung geht mit der fertigen Route noch einmal zum Sicherheitsmann. Gibt es neuere Infos zu möglichen Gefahren, haben IS-Einheiten Standorte verlegt? Der Wetterberater brieft Michel und Brettschauer. Fliegerkombi und -stiefel tragen sie bereits, jetzt holen sie Handschuhe, Helm und Überlebensweste mit Signalpistole, Funk und weiteres technisches Gerät. An dem Tornado erwartet sie eine Mechaniker, der Wart. Die letzte Besatzung hat von einem Geräusch berichtet, sagt er. Finden konnten die Techniker nichts. Michel geht routinemäßig einmal um die Maschine, Brettschauer prüft den Aufklärungsbehälter unterm Rumpf mit der Technik, die im Mittelpunkt des Einsatzes stehen wird: Recce Lite von dem israelischen Rüstungsunternehmen Rafael.

Das Herzstück der Aufklärungsflüge: Recce Lite unter dem Tornado mit Kamera- und Sensortechnik.
Das Herzstück der Aufklärungsflüge: Recce Lite unter dem Tornado mit Kamera- und Sensortechnik. © Rafael | Rafael

Der Start: Die Turbo-Union-Triebwerke dröhnen. Michel und Brettschauer sind eingestiegen und haben die Maschine angelassen. Nach Plan führen sie einige Checks durch. Der Jet rollt an und bremst wieder – auch das ist Pflicht. Jetzt geben sie dem Tower das Signal: „rollfertig“. Beim „Last Chance Check“ schaut sich ein Techniker das Flugzeug noch einmal an. Er macht auch die elektronischen Abwehrmassnahmen „scharf“, das sind Störsender und Täuschkörper, die hinten abgeschossen werden können. Der Tornado ist okay. Der Tower gibt die Freigabe für die Runway und dann auch den Start frei.

Thomas Wassmann steht an der Spitze des Verbandes der Kampfjet-Besatzungen.
Thomas Wassmann steht an der Spitze des Verbandes der Kampfjet-Besatzungen. © privat | privat

In der Luft: Die Besatzung meldet sich jetzt beim Awacs-Luftaufklärer. Von dort gibt es Informationen über mögliche andere Maschinen im Luftraum. Wenn keine Awacs-Maschine in der Luft ist, bleiben sie in Verbindung mit einer Bodenstation. Dann kann es sein, dass die Besatzung auf Teilen der Route keine Informationen erhält. Es wird aber auch wenig kommuniziert. „Die Reccis wollen so wenig auffallen wie möglich“, sagt Wassmann. Er schränkt ein: „Auch wenn das Gefahrenpotenzial bei dem Einsatz sicher nicht sonderlich hoch ist, wenn die Maschinen in relativ großen Höhen fliegen.“ Der IS verfügt über tragbare Flugabwehrsysteme. Die Bordkanone ist bei den Tornados mit Aufklärungsmission in der Regel deaktiviert. Brettschauer prüft an bestimmten Punkten den Spritverbrauch. Ständig läuft die Suche nach Radaremissionen – gibt es Radarstationen an der Erde?

Das Zielgebiet: „90 Prozent der Arbeit passieren in drei Prozent der Flugzeit.“ Jetzt muss die komplette Aufklärungstechnik zeigen, was sie kann. Vieles läuft automatisch. Verbaut ist eine Zeiss-Digitalkamera mit einer Brennweite von 42 bis 500 Millimetern Brennweite. Schon 1995 bis 2001 und 2007 bis 2010 lieferten deutsche Aufklärungstornados gestochen scharfe Bilder aus Ex-Jugoslawien und Afghanistan, damals aber noch auf Filmen, die entwickelt werden mussten. Ein Infrarotsensor zeichnet Wärmestrahlung auf und liefert auch bei Dunkelheit und schlechter Sicht Informationen. Brettschauer hat vor sich ein Display und kann die Bilder der Kamera oder des Infrarot-Sensors sofort sehen. Der Waffensystemoffizier muss entscheiden, wann er auch Bilder und Daten der Sensoren direkt sendet. „Die Zeit in der sie live senden, sind sie gut aufspürbar“, so Wassmann. Nach den Live-Bildern kann ein Befehl kommen, das Gebiet noch einmal aus anderer Richtung anzufliegen, einen bestimmten Punkt anzupeilen. Der zweite Überflug kann viel gefährlicher sein, auch wenn der Tornado über Radar-Täuschkörper und Hitzefackeln verfügt, die die Suchköpfe gegnerischer Lenkwaffen von ihrem Ziel ablenken sollen.

Ein Tornado des Aufklärungsgeschwaders 51 setzt in Jagel zur Landung an. Die Tornados aus Jagel haben die Ausrüstung für spezielle Aufklärungsmissionen.
Ein Tornado des Aufklärungsgeschwaders 51 setzt in Jagel zur Landung an. Die Tornados aus Jagel haben die Ausrüstung für spezielle Aufklärungsmissionen. © dpa | Carsten Rehder

Die Rückkehr: Rund 60 Minuten nach dem Take-off hat die Maschine wieder aufgesetzt, 90 Minuten kann ein solcher Einsatz auch schon mal dauern. Der Tornado ist den Techniker übergeben – ohne besondere Anmerkungen, Michel und Brettschauer ist an der Maschine nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Ihre Arbeit ist aber noch nicht getan. Der S2-Offizier wartet. Waren seine Informationen richtig? Ist ihnen sonst noch etwas aufgefallen? „Das Gespräch kann ganz schnell gehen oder Stunden dauern“, erläutert Wassmann. Aber das meiste erzählen die Bilder, die sie mitgebracht haben. „Sie sind wie ein Fotograf. Hinkommen, Bilder machen, und wieder weg. Und weil sie Paparazzi sind, passen sie noch auf, dass sie nicht gesehen werden.“