Berlin. Schnellere Verfahren, verschärftes Recht, mehr Polizei: Obwohl immer mehr Flüchtlinge ankommen, werden Pläne nur zögerlich umgesetzt.

Die Koalition gerät wegen ihrer Flüchtlingspolitik wieder stärker unter Druck: Während sich Union und SPD über eine weitere Verschärfung des Asylrechts streiten, erreicht die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland im November einen neuen Rekord – seit Monatsbeginn wurden schon 180.000 Einreisende registriert. Immer deutlicher zeigt sich, dass bisherige Entscheidungen der Koalition nur bedingt wirksam sind. Schon weil die Umsetzung länger dauert als erwartet. Ob Asylverfahren, Polizisten oder Aufnahmeplätze: In vielen Fällen hat die Koalition nach Recherchen unserer Redaktion bisher mehr versprochen als gehalten.

Ein Faktencheck:

Schnellere Asylverfahren: Beim Koalitionsgipfel am 6. September schien die Sache noch klar: Die Beschleunigung der Asylverfahren einschließlich der Abschiebung abgelehnter Bewerber habe „Priorität“, so der Beschluss der Koalitionsspitzen. Doch nach fast drei Monaten ist die Bilanz eindeutig negativ. Der offizielle Asylantragsstau hat sich von 250.000 auf über 300.000 erhöht. Und diese Zahl trügt sogar noch. Flüchtlinge, die in den letzten Wochen eingereist sind, können meist erst im Frühjahr oder Frühsommer 2016 überhaupt einen Asylantrag stellen – so weit im Voraus vergibt das Bundesamt für Migration (BAMF) Termine. Real dauern Asylverfahren damit häufig über ein Jahr. „Das Bundesamt säuft ab“, räumen Koalitionsexperten intern ein. Im Oktober hat die Behörde über knapp 33.000 Fälle entschieden, eine deutliche Steigerung – aber 180.000 neue Flüchtlinge kamen hinzu. Das Amt stockt zwar sein Personal auf: Die bisher 3000 Stellen sollten nach einem Beschluss von Jahresanfang erst um 1000 erhöht werden, jetzt sollen 2000 weitere Mitarbeiter hinzukommen. Aber: Bis Jahresende werden nur 1300 eingestellt sein. Die Verfahren dauern, der Personalaufbau reicht weit ins Jahr 2016. BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise hat nach Informationen dieser Zeitung in einer internen Bund-Länder-Runde angekündigt, einen deutlichen Antragsabbau gebe es erst ab April 2016.

Fazit: Ihr vordringliches Ziel hat die Koalition bisher verfehlt.

Verschärftes Asylrecht: Um die Zahl der Westbalkan-Flüchtlinge zu begrenzen, hat die Koalition in Abstimmung mit den Ländern auch Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Das Gesetz wirkte schon vor Inkrafttreten Ende Oktober: Die Zahl der Asylbewerber vom Balkan ging im Oktober um über die Hälfte auf 4400 zurück. Aber andere Entscheidungen zur Abschreckung von chancenlosen Asylbewerbern verpuffen – die ebenfalls seit Ende Oktober mögliche Umstellung auf Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen etwa machen viele Bundesländer gar nicht mit. Der Anfang November von der Koalitionsspitze beschlossene Plan, für bestimmte Gruppen etwa aus sicheren Herkunftsstaaten beschleunigte Asylverfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen einzuführen, stockt jetzt wegen eines Koalitionsstreits.

Fazit: Nur bedingt erfolgreich.

Ausweis für Flüchtlinge: Ein einheitlicher Ausweis und eine Datenbank sollen eine sichere und rasche Identifizierung der Flüchtlinge gewährleisten, in Deutschland und europaweit. Denn bisher ist der bürokratische Aufwand enorm: Weil die Computersysteme zwischen Bundespolizei und Bundesamt für Migration nicht kompatibel sind, werden Flüchtlinge mehrfach registriert. Oder gar nicht. Doch die Umsetzung des Anfang November beschlossenen Ausweisplans dauert: Einen Gesetzentwurf wird es frühestens im Dezember geben, der Bundestag wird erst 2016 entscheiden. Danach sind technische Probleme zu klären. „Bis wir die vollständigen Ausweise haben, wird es 2017“, sagt ein Koalitionsexperte unserer Redaktion.

Fazit: Gute Idee, kommt aber viel zu spät.

Erstaufnahmeeinrichtungen: Der Bund wollte Länder und Kommunen beim Ausbau von 150.000 Plätzen zur Erstaufnahmeeinrichtung unterstützen – 40.000 wollte er selbst schaffen, so die Ankündigung im September. Die Bilanz ist ernüchternd: In Verantwortung des Bundes werden derzeit nur zwei Wartezentren in Bayern betrieben, die bis Ende Februar 2016 eine Kapazität von 10.000 Plätzen haben sollen. Hinzu kommt eine Erstaufnahmeeinrichtung in Niedersachsen mit 7200 Plätzen bis Jahresende, die der Bund unterstützt. Weitere Liegenschaften für das 40.000-Plätze-Ziel würden derzeit erst „identifiziert“, räumt die Regierung in einem Schreiben an den Bundestag ein. Immerhin stellt der Bund Ländern und Kommunen bereits über 200 Liegenschaften mietfrei zur Verfügung, Hunderte werden geprüft. Und die Baustandards für die Unterkünfte wurden abgesenkt.

Fazit: Der Bund zeigt guten Willen, lässt sich aber viel Zeit.

Bundespolizei: 3000 zusätzliche Stellen sollen geschaffen werden, das hat die Koalition im September im Flüchtlingspaket beschlossen. Allerdings: Nur tausend Beamte kommen schon nächstes Jahr, der Rest 2017 und 2018. „Die neuen Polizisten müssen wir erst ausbilden“, sagt Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Und die Polizisten dienen gar nicht nur der Bewältigung der Flüchtlingskrise, der allgemeine Stellenaufbau wird inzwischen zum Beispiel auch als Maßnahme zur Terrorabwehr angepriesen.

Fazit: Mehr Polizisten-Stellen sind eine gute Entscheidung, sie dienen aber nicht der Krisenhilfe.