Berlin. Nach den Terroranschlägen von Paris warnt Bundesjustizminister Maas im Interview, Flüchtlingskrise und Terrorbedrohung zu vermengen.

Es sind atemlose Tage für den Bundesjustizminister: der Terror in Paris, die Angst in Hannover – und die Frage, wie die Bevölkerung besser geschützt werden kann. Beim Redaktionsbesuch warnt Heiko Maas davor, die Flüchtlingskrise mit der islamistischen Bedrohung zu vermengen.

Herr Minister, herrscht Krieg in Europa? Oder übertreiben die Präsidenten Hollande und Gauck mit ihrer Einschätzung?

Maas: Wer die Bilder aus Paris sieht, kann nachempfinden, dass Frankreich die Anschläge als Krieg begreift. Und die Terroristen des IS führen einen Feldzug gegen unsere Werte, gegen Freiheit und Demokratie. Die barbarischen Verbrechen vom IS stellen eine neue Art der Bedrohung dar. Der Terror richtet sich gegen Konzertbesucher, Fußballfans und Restaurantgäste. Er will uns alle treffen, er will, dass wir vor Angst erstarren. Genau das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen das klare Signal aussenden: Ihr werdet uns die Art, wie wir leben, nicht kaputt machen.

Das Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Holland wurde kurz vor Anpfiff abgesagt, das Stadion in Hannover evakuiert …

Maas: Die Gefährdungslage ist unverändert hoch. Die Entscheidung, das Spiel abzusagen, war richtig, auch wenn sie niemandem leicht gefallen ist. Großveranstaltungen werden allerdings auch künftig möglich sein. Wenn wir jetzt aufhören, ins Stadion oder auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, dann haben die Terroristen eines ihrer Ziele erreicht. Diesen Triumph sollten wir ihnen nicht gönnen. Unsere Sicherheitsbehörden werden auch in Zukunft alles tun, was in ihrer Macht steht, um unsere Freiheit zu schützen.

Kanzlerin Merkel hat Frankreich „jedwede Unterstützung“ zugesagt. Was folgt daraus?

Maas: Der Terror hat in Paris zugeschlagen, aber er bedroht uns alle. Wir stehen zusammen gegen diesen Terror und werden alles tun, um unseren Freunden in Frankreich zu helfen. Das gilt zum Beispiel bei den Ermittlungen, wo wir sehr eng zusammenarbeiten. Alles Weitere werden wir zuerst mit den Franzosen und dann mit unseren europäischen Partnern besprechen.

Kann es sein, dass Deutschland mit Frankreich in einen Krieg gegen den IS zieht?

Maas: Wir sind uns einig: Bei alledem, was kommt, werden wir an der Seite Frankreichs stehen. Und wir sind auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Es ist nicht so, dass der Kampf gegen den IS erst beginnt. Luftschläge gibt es schon seit einiger Zeit. In Europa ist der Wille da, die Herausforderung arbeitsteilig anzunehmen und dem Schrecken des IS ein Ende zu setzen. Wir werden eine breit angelegte innen- und außenpolitische Gesamtstrategie brauchen, um IS zu stoppen. Dazu gehört auch, dass wir präventiv alles tun, um zu verhindern, dass sich noch mehr vor allem junge Menschen dem IS anschließen. Und: Wir haben in Afghanistan erlebt, dass die Bekämpfung terroristischer Organisation mit rein militärischen Mitteln nicht unbedingt zu nachhaltigen Lösungen führt.

Verändert sich die Sicherheitslage, wenn täglich Tausende Flüchtlinge in unser Land kommen?

Maas: Dafür gibt es keinen einzigen Beweis. Deswegen finde ich eine Vermengung dieser Themen unverantwortlich. Wir sollten eines im Blick haben: Die meisten, die Anschläge verüben, leben schon im Land und haben die heimische Staatsbürgerschaft. Auch Paris hat gezeigt: Die Terroristen sind unter uns. Und sie sind keineswegs alle als Flüchtlinge hierhergekommen. Insofern finde ich Sätze wie „Nach Paris ist alles anders“ völlig irreführend. Die Menschen, die hierherkommen, flüchten vor Leuten wie denen, die in Paris die Anschläge verübt haben. Völlig unabhängig davon gilt: Es ist ein Problem, dass viele Flüchtlinge unregistriert kommen. Dem müssen wir Abhilfe schaffen – und zwar in der gesamten EU. Wir müssen wissen, wer sich wohin in Europa bewegt.

Zentrale Regeln für die Einreise von Ausländern werden in Deutschland nicht mehr angewandt.

Maas: Dieser Zustand dauert schon viel zu lange an. In einem Rechtsstaat können wir die Probleme, die wir in überforderten Behörden haben, nicht dadurch lösen, dass wir das Recht einfach außer Kraft setzen. Es gibt Ausnahmesituationen, in denen man sich über Vorschriften hinwegsetzen muss, um Menschenleben zu retten. Aber das sollte auf einen kurzen Zeitraum begrenzt bleiben. Die Aussetzung von geltendem Recht ist keine Lösung. Daher ist es vollkommen richtig, dass Deutschland die Dublin-Regeln wieder anwendet. Andere EU-Staaten sind aufgefordert, rasch nachzuziehen.

Die Dublin-Verordnung schreibt vor, dass ein Asylantrag dort gestellt und bearbeitet werden muss, wo der Flüchtling erstmals den Boden eines EU-Mitglieds betritt. Das überfordert die Länder an den Außengrenzen …

Maas: Deswegen haben wir ja bereits unsere Unterstützung zugesagt. Es mag sein, dass die Dublin-Regeln nicht allen gefallen. Aber es gibt ja die Möglichkeit, sie zu ändern. Nur: Solange sie gelten, müssen sie angewendet werden.

Angela Merkel stößt mit ihrer Politik der offenen Herzen und offenen Grenzen auf wachsenden Widerstand in den eigenen Reihen. Bleibt die SPD an der Seite der Kanzlerin?

Maas: Ich finde diese Formulierung unfair. Die Bundeskanzlerin betreibt keine unkontrollierte Willkommenspolitik. Sie sagt, dass wir die Flüchtlingskrise nicht durch Zäune und Mauern in den Griff bekommen, sondern die internationale Dimension des Themas lösen müssen. Und ich finde, da hat sie vollkommen recht.

Union und SPD verlieren in der Wählergunst, die rechtspopulistische AfD ist nach jüngsten Umfragen zur drittstärksten Kraft aufgestiegen. Was schließen Sie daraus?

Maas: In einer Situation wie jetzt sind Umfragen die allerschlechtesten Ratgeber. Für das, was wir tun, brauchen wir immer ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz. Wir müssen uns mit den Sorgen und Nöten der Menschen auseinandersetzen und Antworten geben auch auf unbequeme Fragen. Niemand sollte allerdings mit Angst und Vorurteilen sein rechtspopulistisches Geschäft machen.

CSU-Chef Seehofer ist davon überzeugt, dass er mit seiner harten Linie in der Flüchtlingspolitik die Rechtspopulisten schwächt.

Maas: Ich habe eher den Eindruck, dass einige in der CSU zur Stärkung der AfD beigetragen haben, indem sie bestimmte Positionen hoffähig gemacht haben.

Herr Maas, Sie werden neuerdings als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gehandelt. Wie gehen Sie damit um?

Maas: Gar nicht.

Das ist doch nichts Ehrenrühriges.

Maas: Aber es ist völliger Quatsch.