München. Kurz vor der angekündigten Aussage Beate Zschäpes gerät der NSU-Prozess ins Stocken. Der Fahrplan des Gerichts ist nun in Gefahr.

Das Gericht im NSU-Prozess sah sich an diesem Dienstag, dem 243. Verhandlungstag, mit zwei gravierenden Anträgen der Verteidigung konfrontiert. Dadurch kann sogar die für Mittwoch angekündigte Aussage der Angeklagten Beate Zschäpe in Gefahr geraten.

Die drei ursprünglichen Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten wollen ihr Mandat niederlegen. Das beantragten sie zu Verhandlungsbeginn am Dienstag. Aus Sicht von Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer ist ihre Verteidigung Zschäpes nur noch „Fassade“.

Wohlleben-Anwalt will Gericht ablehnen

Damit nicht genug. Rechtsanwalt Olaf Klemke fordert zudem für seinen Mandanten, den Mitangeklagten Ralf Wohlleben, drei Stunden Unterbrechung, um einen Ablehnungsantrag gegen das Gericht vorbereiten zu können.

Dadurch könnte der Ablauf des Prozesses ausgerechnet zu dem Zeitpunkt ins Stocken geraten, da die Hauptangeklagte Zschäpe angekündigt hat, ihr Schweigen zu brechen. Mathias Grasel, der vierte Rechtsanwalt Zschäpes hatte angekündigt, am Mittwoch eine umfassende Erklärung für seine Mandantin verlesen zu wollen. Auf Nachfrage betont er nun vor Gericht, dass seine Mandantin Fragen des Senats beantworten werde, nicht aber die der Nebenklage.

„Zschäpe kann ihre Verteidigung anders gestalten“

Diese Ankündigung Grasels ist für seine drei Verteidiger-Kollegen offenbar Anlass für ihren Entpflichtungsantrag. Wolfgang Heer erklärte auch im Namen seiner beiden Kollegen, der Wille von Beate Zschäpe, „ihre Verteidigung anders zu gestalten, ist zu berücksichtigen“. Sie dürfe ein rechtsstaatliches Verfahren erwarten: „Unsere Bestellungen sind daher aufzuheben. Und die Folgen für das Verfahren hinzunehmen.“ Die drei Altverteidiger von Zschäpe hatten von Anbeginn des Prozesses ihrer Mandantin zum Schweigen geraten.

Die drei Anwälte begründen ihrer Forderung nach Aufhebung des Mandats unter anderem mit einem Gespräch von Ende Oktober am Rande des Prozesses zwischen Mathias Grasel und Mitgliedern des Gerichts. Die drei Verteidiger wollen in einem Schreiben das Gericht darum gebeten haben, sie über den Inhalt dieses Gespräch zu informieren. Nach Angaben Heers hat der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Anwälte aber auf den Mitverteidiger Grasel verwiesen.

Zschäpe-Verteidiger mahnen Fürsorgepflicht des Gerichts an

Götzl teilte gestern den Prozessbeteiligten mit, Ende August vom Münchner Rechtsanwalt Hermann Borchert über die Absicht informiert worden zu sein, dass Beate Zschäpe eine Erklärung abgeben wolle – die Vorbereitung dazu könne allerdings einige Wochen dauern. Borchert unterstützt seit einiger Zeit Zschäpe-Verteidiger Grasel. Am 27. Oktober sei ihm dann mitgeteilt worden, dass am 11. oder 12. November die Aussage der Hauptangeklagten möglich wäre, so Götzl weiter. Für die Absicht des Gerichts, auch die übrigen Prozessbeteiligten darüber zu informieren, soll Grasel keine Notwendigkeit gesehen.

Laut Götzl wurde ihm an diesem Montag per Telefon gesagt, dass am 11. November eine Einlassung von Beate Zschäpe verlesen werden solle. Grasel habe zudem mitgeteilt, dass nun auch die anderen drei Pflichtverteidiger informiert worden seien und es keine Bedenken gegen eine Mitteilung an die übrigen Prozessbeteiligten gebe.

Keine Einigkeit unter den Anwälten

Heer, Sturm und Stahl kritisieren massiv, dass sie vom Gericht keine Informationen über die Gespräche mit Mathias Grasel erhalten haben. Aus ihrer Sicht hätte das zur „Fürsorgeplicht“ des Senats gehört.

Sie werfen dem Gericht nach der Erklärung von Götzl zudem vor, „offenbar ein gesondertes Verfahren bezüglich der Verteidigungsstrategie geführt“ zu haben. So soll Rechtsanwalt Borchert gar kein Mandant von Beate Zschäpe besessen haben. Trotzdem seien die Verfahrensbeteiligten über das Gespräch mit ihm vom August nicht informiert worden. Aus Sicht der Altverteidiger habe der Senat unter anderem gegen die Bestimmungen der Aktenklarheit und Aktenvollständigkeit verstoßen.

Zehn Morde werden dem NSU angelastet

Ob die für Mittwoch angekündigte Aussage der Hauptangeklagten erfolgen wird, ist derzeit fraglich. Bereits Mitte Oktober hatten die Wohlleben-Verteidiger einen Befangenheitsantrag gestellt, weil aus ihrer Sicht die Hauptangeklagte nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt werde. Der Antrag war von einem weiteren Senat am Oberlandesgericht zurück gewiesen worden.

Die Anklage wirft Beate Zschäpe unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Mittäterschaft bei den Verbrechen des NSU vor. Die mutmaßliche Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) wird für zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle verantwortlich gemacht. Der Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht in München verhandelt seit Mai 2013 gegen insgesamt fünf Angeklagte.