Berlin. Der Bundestag stimmt an diesem Freitag über eine Neuregelung der Sterbehilfe ab. Diese Fälle sorgten bislang für Aufsehen.
Darf man Menschen helfen zu sterben, wenn die es wünschen? Und wenn ja: Wer darf das, in welchen Fällen, und wie weit darf diese Hilfe gehen? Es sind schwierige Fragen, über die die Bundestagsabgeordneten an diesem Freitag abstimmen sollen. Wie viele Facetten das Thema Sterbebegleitung und Sterbehilfe hat, zeigen diese Schicksale, die für Schlagzeilen sorgten.
Brittany Maynard nahm sich mit Medikamenten das Leben
Brittany Maynard war 29 Jahre alt, als sie erfuhr, dass sie bald sterben würde. Am ersten Januar 2014 hatten die Ärzte ihr gesagt, dass sie einen Hirntumor und wahrscheinlich nicht mehr als zehn Jahre zu leben habe. Einige Monate später mussten die Ärzte die Diagnose korrigieren: Der Krebs war aggressiver als gedacht: Mit dem unheilbaren Glioblastom habe Maynard eine Lebenserwartung von höchstens sechs Monaten.
Mit ihrer Familie zog die junge Kalifornierin in den benachbarten Bundesstaat Oregon, in dem der ärztlich unterstützte Suizid erlaubt ist. Sie sprach vor ihrer Selbsttötung oft öffentlich über ihr Vorhaben, um sich für eine weitere Legalisierung der Sterbehilfe einzusetzen. Die Organisation „Compassion & Choices“ („Mitgefühl und Wahlfreiheit“), für die sie sich engagierte, produzierte ein Video, in dem Maynard ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Todeszeitpunkt erklärte. Es ist inzwischen rund zwölf Millionen Mal angesehen worden. Am 1. November 2014 nahm sich Brittany Maynard das Leben.
Im US-Bundesstaat Oregon entschieden die Bürger 1994 per Referendum, dass Ärzte Todkranken beim Sterben helfen dürfen. 1997 wurde der „Death with Dignity Act“, das Sterben-mit-Würde-Gesetz, endgültig geltendes Recht. Damit war Oregon der erste US-Staat, der den ärztlich unterstützten Suizid erlaubte. Inzwischen haben die Bundesstaaten Washington und Vermont nahezu gleiche Gesetze verabschiedet.
Damit ein Arzt einem Menschen Medikamente verschreiben darf, mit denen er sich das Leben nehmen kann, muss festgestellt werden, dass der Patient urteilsfähig ist. Er muss seinen Willen schriftlich und mündlich erklären, und zwar zweimal in einem Abstand von 14 Tagen. Zwei Ärzte müssen ihm eine Krankheit bescheinigen, die im nächsten halben Jahr zum Tod führen wird. Die Gesundheitsbehörde kontrolliert die Einhaltung dieser Bedingungen.
14-Jährige mit unheilbarer Krankheit bat Präsidentin um Erlaubnis für Sterbehilfe
Valentina Maureira litt an der Erbkrankheit Mukoviszidose. Am Ende ihres Lebens musste sie beatmet und durch eine Magensonde ernährt werden. Valentina war 14 Jahre alt, als sie auf Facebook einen Hilferuf postete: „Ich muss dringend mit der Präsidentin sprechen, weil ich nicht länger mit dieser Krankheit leben will“, sagt das Mädchen in dem Film, den es in seinem Krankenhauszimmer aufgenommen hatte; „sie könnte eine Injektion erlauben, mit der ich für immer schlafen könnte.“ Das Youtube-Video vom Februar 2015 wurde hunderttausendfach angeklickt.
Ein Sprecher der Regierung sagte, dass die Gesetze Chiles nicht nur den assistierten Suizid verbieten, sondern auch, dass die Präsidentin einem Wunsch wie dem vom Valentina nicht nachkommt. Präsidentin Michelle Bachelet, die Kinderärztin ist, besuchte die 14-Jährige im Krankenhaus. Das Mädchen fasst nach dem Treffen wieder neuen Mut, starb dann aber wenige Monate später.
Mukoviszidose ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung, durch die Körpersekrete zäher sind als üblich. Der zähe Schleim verstopft unter anderem die Bronchien und die Ausführungsgänge der inneren Organe. Folgen sind zum Beispiel Atemprobleme und Verdauungsstörungen. Wie schwer die Symptome sind, variiert stark von Patient zu Patient. Mukoviszidose, die auch zystische Fibrose genannt wird, ist nicht heilbar.
Querschnittgelähmter Ramón Sampedro kämpfte für aktive Sterbehilfe
Er wolle nicht länger „ein denkender Kopf auf einem Toten Körper sein“, sagte der Spanier Ramón Sampedro Jahre vor seinem Tod: Lange kämpfte der Querschnittgelähmte, der seit einem Badeunfall 1969 Arme und Beine nicht mehr bewegen konnte, um aktive Sterbehilfe. 1997 entschied ein Gericht in letzter Instanz, dass Sampedro einen Formfehler begangen hatte: Der frühere Seemann, der 29 Jahre ans Bett gefesselt war, hätte den Rechtsstreit von vorn beginnen müssen.
Ramón Sampedro nahm sich am 12. Januar 1998 das Leben, indem er mit einem Strohhalm eine Zyankali-Lösung trank. Eine Freundin hatte ihm das Glas mit dem Gift neben sein Bett gestellt. Solche Beihilfe zum Suizid ist in Spanien bis heute strafbar; die Frau bekannte sich erst nach der Verjährungsfrist zu der Tat.
Der Filmemacher Aljandro Amenábar verfilmte Sampedros Geschichte, „Das Meer in mir“ gewann 2005 einen Oscar.
Eltern verlangten Recht auf „würdigen Tod“ bei zwölfjähriger Tochter
Der Fall der zwölfjährigen Andrea hat die Debatte um Sterbehilfe in Spanien gerade wieder angefacht. Obwohl selbst die Ethikkommission des staatlichen Krankenhauses in Santiago de Compostela sich dafür ausgesprochen hatte, dem Wunsch der Eltern nachzukommen und die lebenserhaltenden Geräte abzuschalten, weigerten sich die Ärzte lange. Andreas Eltern hatten öffentlich für ihre Tochter das Recht auf einen „würdigen Tod“ verlangt: „Andrea leidet unter starken Schmerzen, ihr Körper hält es einfach nicht mehr aus“, sagte ihre Mutter.
Andrea litt seit ihrer Geburt an einer seltenen, unheilbaren Krankheit, die nach und nach alle Bewegungsfunktionen und Organe lahmlegt. Wochenlang rang das Mädchen mit dem Tod, konnte zuletzt nicht mehr sprechen. Doch erst, als die Eltern vor Gericht zogen, gaben die Ärzte nach und stellten die künstliche Ernährung und andere lebensverlängernden Maßnahmen ein. Drei Tage später, am 9. Oktober, starb das Kind.
Literaturkritiker Fritz J. Raddatz wählte den begleiteten Suizid im Alter von 83 Jahren
Der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz reiste im Frühjahr 2015 in die Schweiz, um Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. In einem „Sterbehaus“ der Sterbehilfeorganisation Dignitas sei der 83-Jährige in den „begleiteten Freitod“ gegangen, bestätigte der Staatsanwalt damals dem „Focus“. Raddatz, der fast ein Jahrzehnt das Feuilleton der „Zeit“ geleitet hatte, war bekannt als Anhänger des sogenannten „begleiteten Suizids“.
Terri Schiavo starb nach 15 Jahren im Koma
Terri Schiavo war 26 Jahre alt, als sie am 25. Februar 1990 im Flur ihrer Wohnung in Florida mit einem Herzstillstand zusammenbrach. Die Ärzte konnten sie wiederbeleben, doch Schiavos Gehirn war zu lange nicht mit Sauerstoff versorgt worden, die junge Frau lag im Koma. Die Mediziner sagten, sie könne weder denken noch fühlen – aber sie atmete.
Acht Jahre später wollte Terri Schiavos Mann Michael, dass die Ärzte die Sonde, durch die die inzwischen 34-Jährige ernährt wurde, entfernen. Er sagte, seine Frau hätte ein solches Dasein nicht gewollt. Ein Gericht gab Michael Schiavo Recht, doch Terris Eltern legten Berufung ein. Sieben Jahre stritten Ehemann und Eltern der Frau vor den Gerichten, selbst der damalige US-Präsident George W. Bush schaltete sich ein. 2005 fiel die Entscheidung: Drei von fünf Ärzten – zwei hatte Terri Schiavos Mann bestimmt, zwei ihre Eltern – sagten, der Hirnschaden sei irreversibel, die inzwischen 41-Jährige werde nie aus dem Koma erwachen. Am 18. März 2005 entfernten die Ärzte die Ernährungssonde, knapp zwei Wochen später starb Schiavo. Eine Autopsie ergab, dass die Schädigung ihres Gehirns tatsächlich irreversibel war.