Berlin. Der Bundestag will am Freitag die Beihilfe zum Suizid neu regeln – vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe stehen zur Wahl.

Wer darf sterbewilligen Menschen beim Suizid helfen – und sollte sich der Staat hier überhaupt einmischen? Ende der Woche entscheidet der Bundestag über die Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland. Der Ausgang ist offen: Viele Abgeordnete haben sich bislang auf keinen der vier Gesetzentwürfe festgelegt – doch der Druck auf die Unentschiedenen wächst jetzt massiv: Am Dienstag bekamen sie Post von den Fraktionschefs von Union, SPD und Grünen, die gemeinsam für eine strafrechtliche Verschärfung werben. Ein ungewöhnlicher Schritt: Die Abstimmung am Freitag gilt als Gewissensentscheidung ohne Fraktionszwang – Ansagen aus der Chefriege haben da eigentlich nichts zu suchen.

Wie ist die Ausgangslage?

Kern der Debatte ist die Frage, wer sterbewilligen Menschen künftig beim Freitod helfen darf. Bei den Angehörigen sind sich die meisten einig – sie sollen helfen dürfen. Im Fall von Ärzten dagegen herrscht Streit – bis hinein in die Ärzteschaft. Bei kommerziellen Sterbehelfern wiederum wollen die meisten Abgeordneten eine Grenze ziehen. Grundsätzlich gilt dabei: Aktive Sterbehilfe („Töten auf Verlangen“) ist in Deutschland verboten und soll es auch bleiben. Passive oder indirekte Sterbehilfe bei Todkranken, etwa durch das Abstellen von Geräten oder die schmerzlindernde Sedierung sind dagegen erlaubt – auch das soll so bleiben. Die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland ebenfalls nicht strafbar – die Dienste von Sterbehelfern und Sterbehilfevereinen sind deswegen bisher nicht grundsätzlich verboten. Doch die Sorge ist groß, dass die Sterbebegleitung in einer alternden Gesellschaft zum gängigen Geschäftsmodell werden könnte.

Was unterscheidet die Entwürfe?

Rund 270 der 631 Abgeordneten unterstützen bislang den Gesetzentwurf einer fraktionsübergreifenden Gruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD): Die Beihilfe zum Suizid soll straffrei bleiben, auf Wiederholung angelegte, geschäftsmäßige Sterbehilfe aber soll bestraft werden. Gemeint sind damit nicht nur Vereine und kommerzielle Sterbehelfer, sondern auch Ärzte, die ohne Gewinnabsicht, aber regelmäßig Sterbehilfe leisten.

Eine zweite Gruppe um Peter Hintze (CDU) und die beiden SPD-Politiker Karl Lauterbach und Carola Reimann will vor allem Rechtssicherheit für Ärzte schaffen: Sterbewillige sollen sich vertrauensvoll an ihre Ärzte wenden können – umgekehrt sollen Ärzte einen rechtssicheren Raum für Suizidbeihilfe im Einzelfall erhalten. Die dritte Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) will die organisierte Sterbehilfe neu regeln: Niemand soll mit Sterbehilfe Geld verdienen, doch nicht kommerzielle Vereine sollen Sterbewillige beraten und unterstützen können. Der vierte Entwurf zur Neuregelung von Patrick Sensburg (CDU) und Thomas Dörflinger (CDU) will die Beihilfe zum Suizid generell unter Strafe stellen und droht Ärzten und Angehörigen mit Haft.

Wer hat die besten Chancen?

Lange Zeit sah es so aus, als würde die Gruppe Brand/Griese ihr Ziel der Strafrechtsverschärfung durchsetzen können. Die Kanzlerin, der Gesundheitsminister und weite Teile der Union stehen dahinter. Doch kurz vor der Entscheidung am Freitag haben die Gegner jetzt die Strategie gewechselt: Statt einzeln für ihre Gesetzentwürfe zu werben, appellierten die Gruppen um Hintze/Lauterbach und Künast/Sitte am Dienstag gemeinsam an die Abgeordneten: Im Zweifelsfall sei es besser, alles beim Alten zu lassen und gar kein neues Gesetz zu machen, als die „Kriminalisierung der Sterbehilfe“ mithilfe des Strafrechts zu beschließen und das „Damoklesschwert über die Ärzte“ zu hängen. Es sei ein Tag von „schicksalhafter Bedeutung“, erklärte CDU-Politiker Peter Hintze.

Rund 180 Abgeordnete unterstützen die beiden Gruppen, hinzu kommen ein paar Dutzend Parlamentarier, die von vornherein keine Gesetzesänderung wollten. Sollten alle am Ende mit „Nein“ stimmen, könnte es zusammen mit den Unentschiedenen zu einer Überraschung kommen: Kein neues Gesetz – alles bleibt, wie es ist. In den Augen vieler Juristen wäre das das beste Ergebnis: Viele lehnen die Strafrechtsverschärfung ab oder halten die Gesetzentwürfe für verfassungsrechtlich angreifbar.

Was tun die Unentschiedenen?

Es kommt jetzt darauf an, wie sie auf die Appelle von Dienstag reagieren: In ihrem Brief erinnern die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU), Thomas Oppermann (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) daran, dass der Bundestag bereits einen Tag vor der Sterbehilfeentscheidung per Gesetz die Hospiz- und Palliativversorgung stärken wird – um „eine würdige Begleitung beim Sterben“ zu sichern. Heißt: Wir bestrafen nicht nur die Suizidhelfer, wir tun auch was gegen den Suizidwunsch.

Der Brief kam bei vielen dennoch schlecht an: Werbung von den Fraktionschefs für ihren Lieblingsentwurf? „Ich finde das unglücklich“, sagte CDU-Politiker Patrick Sensburg dieser Zeitung. Auch Renate Künast (Grüne) ärgert sich über den Brief ihrer Fraktionschefin: „Ich habe das als Fraktionsvorsitzende nicht gemacht und ich würde das auch nicht machen.“