Berlin . Aufnahmeplätze, Ruhezonen, Grenzsicherung. Der Sondergipfel hat sich auf einen 17-Punkte-Plan geeinigt. Der große Wurf ist er nicht.

Erstmals haben sich die Länder entlang der Balkan-Flüchtlingsroute auf ein abgestimmtes Konzept zum Vorgehen in der sich seit Monaten zuspitzenden Flüchtlingskrise geeinigt. Welche sind die wichtigsten Punkte des 17-Punkte-Plans, auf den sich zehn EU-Länder sowie Serbien, Mazedonien und Albanien geeinigt haben? Wie stehen die Chancen, dass der Plan wirklich umgesetzt wird? Die Kernpunkte des Mini-Gipfels von Brüssel im Überblick.

Humanitäre Hilfe

• Der Plan: Auf der Balkanroute sollen 100.000 Aufnahmeplätze für Flüchtlinge geschaffen werden. Griechenland, wo Zehntausende Flüchtlinge aus der Türkei kommend erstmals den Boden der EU betreten, soll bis Ende dieses Jahres 30.000 solcher Plätze schaffen. Zudem soll die Regierung in Athen gemeinsam mit dem UN-Hilfswerks UNHCR 20.000 weitere Plätze einrichten. Dazu erhalten Griechenland und das UNHCR Geld von der EU. Die anderen 50.000 Plätze sollen entlang der Balkanroute entstehen und vor allem als Ruheorte für die Flüchtlinge dienen. Wo sie entstehen sollen, wird nicht festgelegt.
• Chancen und Risiken: 100.000 Plätze werden nicht reichen, wenn der Zustrom an Flüchtlingen anhält. Trotzdem wären sie ein wichtiger erster Schritt. Athen wird den Aufbau allein nicht schultern können. Griechenland ist durch die Eurokrise geschwächt. Eine funktionierende Verwaltung, die den Aufbau koordiniert, steht nicht bereit. Die UN werden Athen massiv unterstützen müssen. Bei den 50.000 „Ruheorten“ entlang der Balkanroute ist Streit vorgezeichnet – die Bereitschaft von Staaten wie Ungarn oder Serbien, solche Flüchtlingslager im eigenen Land einzurichten, dürfte gering sein.

Geordnete Verfahren

• Der Plan: Das „Durchwinken“ der Migranten-Trecks zum nächsten Nachbarstaat soll ein Ende haben. Die Behörden der einzelnen Länder sollen die Zuzügler registrieren. Slowenien soll Hilfe von einem Soforteinsatzteam der EU erhalten.
• Chancen und Risiken: Wird dieser Punkt umgesetzt, wäre dies ein wichtiger Schritt zu einem geordneten Verteilungsverfahren. Ob Staaten wie Serbien, Kroatien oder Slowenien diese Forderung aber tatsächlich umsetzen, muss sich erst zeigen. Das kleine Slowenien etwa, wo zuletzt Zehntausende Flüchtlinge gestrandet waren, dürfte mit dieser Forderung schlicht überfordert sein. Man wird sehen, wie schnell und effektiv die Hilfe aus Brüssel dort arbeiten kann.

Mehr und schneller abschieben

• Der Plan: Flüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl sollen schneller abgeschoben werden. Zudem soll die Zusammenarbeit mit deren Herkunftsländern – vor allem Afghanistan, Pakistan und andere asiatische Staaten – verbessert werden. Dafür soll die EU-Kommission ein Rückführungsabkommen etwa mit Afghanistan abschließen.
• Chancen und Risiken: Dass der Gipfel den Fokus stärker als bisher auf Afghanistan richtet, ist richtig. Die wieder erstarkten Taliban haben mit ihrer jüngsten militärischen Offensive die Lage am Hindukusch verschärft. Das treibt schon jetzt immer mehr Menschen aus dem Land. Wie aber will man erklären, Menschen in dieses Land zurückzuschicken, während Kriegsflüchtlinge aus dem Irak oder Syrien hierbleiben dürfen. Außerdem dürfte es nicht einfach sein, mit der schwachen Regierung in Kabul ein Rückführungsabkommen zu beschließen, das sich in der Praxis umsetzen lässt.

Austausch von Informationen

• Der Plan: Binnen 24 Stunden soll ein Kontaktnetz zur Information über Migrationsbewegungen geknüpft werden.
• Chancen und Risiken: Solch ein Netz ist unverzichtbar für die grenzübergreifende Koordination der Flüchtlingshilfe – kaum nachvollziehbar, dass es auch Monate nach Ausweitung der Flüchtlingskrise bisher noch nicht existiert.

Vereinte Nationen einbinden

• Der Plan: UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, soll verstärkt eingebunden werden, um eine bessere humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge entlang der Balkanroute gewährleisten leisten zu können.
• Chancen und Risiken: Eine gute und überfällige Entscheidung. Das UNHCR hat langjährige Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingswellen. Wichtig wird sein, dass die Experten der UN-Organisation von der EU und ihren Mitgliedsstaaten ausreichend Kompetenzen erhalten und im Zweifelsfall freie Hand haben für kurzfristige Entscheidungen.

Die Macht der Schlepper brechen

• Der Plan: Europa will Polizei und Justiz im Kampf gegen die Schlepperbanden stärken. Europol und Interpol sollen dazu künftig auch auf dem Westbalkan aktiv sein.
• Chancen und Risiken: So absurd es klingt: Viele Flüchtlinge betrachten die Schleuser als ihre Rettung – auch wenn die organisierten Banden ihnen viel Geld für eine lebensgefährliche Flucht per Boot übers Mittelmeer oder über die Ägäis abknöpfen. Auch deshalb ist es nicht einfach, den Schleppern beizukommen; zumal viele der Banden in den Herkunftsländern der Flüchtlinge in Nordafrika oder im Nahen Osten sitzen und sich so dem Zugriff der europäischen Fahnder entziehen.

EU-Außengrenzen schützen

• Der Plan: Frontex, die Grenzschutzorganisation der EU, soll ihren Einsatz an der bulgarisch-türkischen Grenze ausbauen. Zudem werden neue Frontex-Einsätze an den Grenzen Griechenlands zu Mazedonien und Albanien geplant. Auch der Küstenschutz an der griechisch-türkischen Grenze soll verstärkt werden.
• Chancen und Risiken: Europa will seine Außengrenzen besser schützen. Ob dies die Flüchtlinge bremsen kann, ist fraglich. Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen bei ihrer Flucht Richtung Europa kaum ein Risiko scheuen. Im Zweifelsfall weichen sie auf die gefährlichere Route aus – und werden dann ein Fall für die Notrettung. Wichtiger dürfte es sein, mit der Türkei zu einer Einigung zu kommen. Dort leben mehr als zwei Millionen Flüchtlinge vor allem aus Syrien und dem Irak; viele von ihnen in riesigen Zeltlagern. Immer mehr machen sich von dort auf Richtung EU. Europa muss die Regierung in Ankara dazu bringen, die Zustände in den Flüchtlingslagern zu verbessern und die Weiterreise der Flüchtlinge zu stoppen. Das Problem: Die Türkei weiß, wie groß der Druck auf die Regierungen in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten ist – und treibt die Preise für ein Entgegenkommen hoch.