Athen/Brüssel. Mehrere Diplomaten warnen vor Risiken eines „Grexit“. In Athen bekommt die linke Regierung Druck aus dem eigenen Land.

Auf den ersten Blick kann der griechische Regierungschef Alexis Tsipras zufrieden sein. Heute bekommt er in Brüssel seinen langersehnten „Griechenland-Gipfel“ mit den übrigen Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone. Nun wird auf Spitzenebene über Reformen, Milliardenkredite und letztlich den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone debattiert. Es ist eine erneute Zuspitzung im Schuldendrama, die Stunde der „Chefs“, ein Versuch der EU-Topverantwortlichen, noch einen Kompromiss zu finden, nachdem Experten und Finanzminister monatelang keinen Ausweg aus der Sackgasse fanden.

Die Lage ist brenzlig, denn Griechenlands Hilfsprogramm läuft auf europäischer Seite Ende des Monats aus. Wenn bis dahin keine Einigung über die Auszahlung von Hilfsgeldern in Höhe von 7,2 Milliarden Euro erzielt wird, droht dem Land die Staatspleite, zumal Athen bis Ende Juni 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlen muss.

Tsipras trifft heute seine Dauer-Gesprächspartner Angela Merkel, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und den französischen Staatspräsidenten François Hollande. Von griechischer Seite wird versucht, im Poker um weitere Zugeständnisse Kanzlerin Merkel besonders in die Pflicht zu nehmen. Die CDU-Vorsitzende könne für eine „ehrenvolle Einigung“ eintreten, schrieb Finanzminister Giannis Varoufakis in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Streitpunkt ist seit Monaten, welche Einsparungen und Reformen Athen umsetzen muss. Denn die Geldgeber wollen nur dann weitere Finanzmittel freigeben, wenn Griechenland Zusagen macht, die für sie akzeptabel sind. Dabei geht es um Ausgabenkürzungen im Rentensystem, höhere Mehrwertsteuern und einen Haushalt mit einem Mindest-Primärüberschuss, also vor Zinszahlungen und Tilgungen.

Kritiker der EU-Politik und die linke Regierung in Athen weisen darauf hin, dass Griechenland vor allem Investitionen benötige, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Die von der EU geforderten Reformen würden vor allem die ärmeren Menschen treffen und die soziale Spaltung in dem Land verschärfen. Die Tsipras-Regierung zerschlug bereits reichlich Porzellan in Brüssel. „Ich mag nicht die griechische Regierung, ich mag das griechische Volk“, bekennt EU-Veteran Juncker ganz undiplomatisch.

In Europas Hauptstadt fragen sich Diplomaten, wie lange Tsipras seinen „Allein-gegen-alle-Kurs“ noch fortsetzen kann. Druck kommt von vielen Seiten. Da sind nicht nur die Europäer und IWF, die darauf dringen, in letzter Minute Sparschritte und Reformen zu akzeptieren, um eine Staatspleite abzuwenden. Da sind auch die Hardliner in seiner Partei Syriza, die einen Bruch mit den europäischen Partnern und einen Euro-Austritt in Kauf nehmen. Es gibt zudem Bestrebungen der Konservativen, der Sozialisten und anderer pro-europäischer Parteien in Griechenland, eine „Front für den Euro“ zu bilden und damit gegen das Bündnis der radikalen Linken von Tsipras im Falle von Neuwahlen anzutreten.

Am Wochenende lief bereits zwischen den europäischen Hauptstädten eine intensive Krisendiplomatie am Telefon. Tsipras telefonierte mit Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande sowie mit Juncker. Unterschiedliche Angaben gab es zu den Inhalten der Telefonate. Ein griechischer Regierungssprecher sagte, Tsipras habe seinen Gesprächspartnern Vorschläge Athens zu den von den Gläubigern geforderten Sparmaßnahmen präsentiert. Nähere Details wurden jedoch nicht bekannt. Tsipras kann laut europäischen Diplomaten nicht mehr ignorieren, dass verunsicherte Verbraucher und Unternehmen im großen Umfang Geld von ihren Konten abheben, es wird von mehreren Milliarden Euro allein in der zurückliegenden Woche gesprochen.

EU-Finanzminister arbeiten offenbar an Notfallszenarien für den „Grexit“

Die Europäische Zentralbank (EZB) musste unmittelbar vor dem Wochenende den Rahmen für sogenannte Ela-Notkredite erneut erhöhen, die von der griechischen Zentralbank den heimischen Kreditinstituten eingeräumt werden. „Es wurde Zeit gekauft, aber nur für ein paar Tage“, warnt ein EU-Diplomat. Auch die angespannte Lage bei den Banken zeige, wie nahe in Brüssel und Athen „am Abgrund“ verhandelt werde.

Kurz vor den „Chefs“ werden auch noch einmal die 19 Euro-Finanzminister zusammenkommen. Dabei dürften auch Notfallszenarien wie Kontrollen des freien Kapitalverkehrs oder eine Staatspleite zur Sprache kommen, meinen Diplomaten. Der französische Ressortchef Michel Sapin warnt davor, sich mit einem „Grexit“ oder einer Pleite abzufinden. „Das ist ein unbekanntes Gebiet“, sagte er dem französischen „Journal du Dimanche“. Die Risiken seien unbekannten Ausmaßes. „Dieses Szenario muss also vermieden werden.“

Die Diplomaten in Brüssel und Athen stellen sich auf eine Dauerverhandlung in der kommenden Woche ein, um – wie Juncker häufig sagt – „die Kuh vom Eis zu bekommen“. Am Donnerstag und Freitag werden die Staats- und Regierungschefs zu ihrem regulären Sommer-Gipfel zusammenkommen. Das Thema Griechenland dürfte bis dahin nicht erledigt sein, lautet die Erwartung.