Finanzminister Wolfgang Schäuble musste ins Krankenhaus. Innenminister Thomas de Maizière eilte nach Brüssel, um ihn zu vertreten.

Berlin. Mitten in einem brisanten Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Sonntag in ein Brüsseler Krankenhaus gebracht worden. Der 67-Jährige hatte offensichtlich ein Arzneimittel nicht vertragen. Er war bei Bewusstsein, sollte aber die Nacht in der Klinik Saint-Luc verbringen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière traf am Abend im Brüsseler EU-Ministerratsgebäude ein, um die deutsche Delegation zu leiten. „Herrn Schäuble geht es so gut, dass er mir seine Verhandlungslinie vorgetragen hat, wir sind in allerengstem Einvernehmen“, sagte de Maizière. Schäuble sitzt seit einem Attentat im Jahr 1990 im Rollstuhl.

Nach Angaben von Augenzeugen war Schäuble am Nachmittag pünktlich für das Ministertreffen im EU-Ratsgebäude im Europaviertel eingetroffen. Anders als seine europäischen Amtskollegen nutzte er jedoch nicht die Vorfahrt im Hinterhof des Gebäudes, sondern gelangte weitgehend unbeobachtet über eine Tiefgarage in den Mammutbau. „Er befindet sich derzeit zur Beobachtung in einem Brüsseler Krankenhaus“, sagte sein Sprecher. „Es besteht der Verdacht, dass er auf ein Medikament, welches er gestern zum ersten Mal eingenommen hat, unverträglich reagierte.“ Das Krankenhaus Saint-Luc bestätigte auf Anfrage Schäubles Aufenthalt.

Über den Gesundheitszustand Schäubles war in den vergangenen Wochen immer wieder spekuliert worden. Eine Wunde, die nach einer Operation schlecht verheilt war, hatte dem CDU-Politiker längere Zeit Probleme bereitet. Bis Mitte April war er längere Zeit im Krankenhaus. Mit Schäuble fällt bei dem Krisentreffen einer der wichtigsten Minister aus. Die Runde will sich auf einen Notfallmechanismus einigen, um bis zur Öffnung der internationalen Finanzmärkte in der Nacht zum Montag ein Zeichen der Geschlossenheit und Stärke des Euro-Raums zu senden. Während der Verhandlungen hatte zunächst Staatssekretär Jörg Asmussen Schäuble vertreten.

Die Euro-Länder rüsten sich - getrieben von den internationalen Finanzmärkten - zur Verteidigung der europäischen Währung. Mit radikalen Reformen im Eilverfahren und einem raschen Auffangnetz für hoch verschuldete Mitgliedstaaten soll der Euro vor spekulativen Attacken geschützt werden. Die Finanzminister der 27 EU-Staaten wollten am Sonntagnachmittag in Brüssel einen entsprechenden Hilfsmechanismus beschließen. Dieser sollte zuvor von der EU-Kommission auf einer Sondersitzung ausgearbeitet werden. Das neue Abwehrsystem soll pünktlich zur Öffnung der Finanzmärkte am Montagmorgen stehen.

Die EU-Kommission wird demnach den EU-Finanzministern offenbar vorschlagen, zur Rettung der Gemeinschaftswährung bis zu 600 Milliarden Euro verfügbar zu machen. Dazu solle das System der bestehenden Zahlungsbilanzhilfen der EU auch auf die Euro-Länder ausgeweitet werden, verlautete am Sonntag aus EU-Kreisen. Das bislang maximal 50 Milliarden Euro umfassende Programm solle um 60 Milliarden Euro Garantiekapital aufgestockt werden. Das würde es der Kommission erlauben, Gelder bis zum Zehnfachen dieser Summe aufzunehmen und den Ländern zur Verfügung zu stellen.

Auf das neue Rettungssystem hatten sich die Staats- und Regierungschefs der 16 Euro-Länder in der Nacht zu Sonnabend in Brüssel verständigt. Auf Schuldensünder warten zudem härtere Sanktionen. Auch Finanz-Spekulanten geraten ins Visier. In den vergangenen Tagen waren nach Griechenland auch andere hoch verschuldete Euro-Länder wie Spanien und Portugal an den Märkten stark unter Druck geraten. „Wir werden den Euro verteidigen, was immer es kosten mag“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach dem Euro-Gipfel. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, die Stabilität des Euro als Ganzes werde entschlossen durch gemeinschaftliche Maßnahmen gesichert werden. Merkel sprach von einer ernsten Situation. Die Lage auf den Finanzmärkten sei äußerst kritisch. „Wir stehen gemeinsam als Euro-Länder für die Stabilität des Euro“, sagte sie.

Für den deutschen Anteil an den Griechenland-Hilfen hatte das Bundesverfassungsgericht am Wochenende den Weg frei gemacht. Das oberste deutsche Gericht lehnte einen Eilantrag gegen die Not-Kredite von 22,4 Milliarden Euro an das vom Staatsbankrott bedrohte Land ab. Begründung: Der Allgemeinheit drohten sonst schwere Nachteile. Die Euro-Länder hatten ebenfalls grünes Licht für das Hilfspaket von bis zu 110 Milliarden Euro für Griechenland gegeben, von dem der Internationale Währungsfonds (IWF) 30 Milliarden Euro übernimmt.

Großbritannien will sich allerdings nicht an dem geplanten Notfallfonds für Euro-Länder beteiligen. Das erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag von einem britischen EU-Diplomaten in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten hatten sich in der Nacht zum Sonnabend grundsätzlich auf die Einrichtung des Fonds geeinigt. In den vergangenen Tagen waren Spanien, Portugal und Italien an den Finanzmärkten stark unter Druck geraten. Für den Notfallfonds könnte die EU-Kommission zinsgünstige Kredite an den Finanzmärkten aufnehmen. Diplomaten sprachen von bis zu 70 Milliarden Euro. Die Europäer erhoffen sich davon ein starkes Signal gegen Spekulanten, bevor am Montag die Märkte öffnen.

Nach der Zusage der Milliardenhilfen strebt die Regierung in Athen weitere Sparmaßnahmen an. Wie griechische Medien am Wochenende berichteten, geht es diesmal um Einschnitte bei Renten und Pensionen. Die Gewerkschaften wollen dagegen mit neuen Streiks mobil machen. Auch Krankenkassen sollen saniert werden. Nach den Ausschreitungen am vergangenen Mittwoch mit drei Toten verstärkte die Athener Polizei am Wochenende ihre Präsenz.

Das geplante Euro-Rettungssystem ist die bedeutendste Reform der Währungsunion seit Einführung der Gemeinschaftswährung vor gut elf Jahren. Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass die Kommission Kredite an den Finanzmärkten aufnimmt und diese weiter verleiht. Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker warnte: „Es geht hier um eine weltweit organisierte Attacke gegen den Euro.“ Zudem wollen die Euro-Länder die hohen Defizite möglichst rasch abbauen sowie die Regulierung der Finanzmärkte vorantreiben. Merkel versuchte, den Eindruck von Panik zu vermeiden: „Es ist wichtig, dass wir entschlossen, aber auch in großer Ruhe an die Sache herangehen.“

Die Euro-Länder wollen sich in ihrer Haushaltsplanung stärker in die Karten blicken lassen. „Wir haben beschlossen, die Eurozone mit einer wahrhaften Wirtschaftsregierung auszustatten“, sagte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Er kündigte ein hartes Durchgreifen bei der Regulierung der Finanzmärkte an. „Wir werden die Rating-Agenturen moralisieren.“ Der Euro sei Europa. „Wir können ihn nicht den Spekulanten überlassen.“

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) empfiehlt anderen Staaten der Euro-Zone die deutsche Schuldenbremse als Vorbild. „Zur Verhinderung künftiger Krisen im Euroraum brauchen wir effektive Regeln, die eine solide Haushaltspolitik in allen Mitgliedstaaten nachhaltig sichern“, sagte Schäuble dem „Hamburger Abendblatt“ (Montag). Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hatte die deutsche Schuldenbremse als diskussionswürdiges Instrument für die anderen Länder der Währungsunion bezeichnet.

Angesichts der Euro-Krise warnte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) vor den Folgen einer Inflation. Die Bundesregierung müsse eine Geldentwertung unbedingt verhindern, sagte Brüderle der „Bild am Sonntag“. Wirtschaftsexperten rechnen in Folge der Griechenland-Krise und wegen der angeschlagenen Staatshaushalte weiterer Euro-Länder mit einem weiteren Verfall der Währung. Brüderle bezeichnete in der „Bild am Sonntag“ Inflation als „die größte soziale Ungerechtigkeit“, denn unter ihr litten vor allem Rentner und Menschen mit geringem Verdienst. Auch angesichts der anhaltenden Währungskrise müsse aber kein Sparer Angst um sein Geld haben, hob Brüderle hervor.

Führende Wirtschaftsexperten warnten am Wochenende vor einem weiteren Verfall des Euro. Solange die Unsicherheit über Griechenland und andere Mitglieder der Währungsunion andauere, bleibe der Euro unter Druck, sagte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, der „Bild am Sonntag“. „Ich denke, wir werden bald 1,20 gegenüber dem Dollar sehen, und ein weiterer Rückgang in Richtung Parität zum Dollar ist durchaus möglich.“ In Brüssel berieten am Sonntagabend die EU-Finanzminister auf einem Sondergipfel über die Währungskrise.

Wie „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf eine Emnid-Umfrage berichtete, haben 52 Prozent der Bundesbürger Angst vor einer Inflation. Besonders groß sei die Sorge bei den Rentnern, 63 Prozent der Menschen über 65 erwarteten einen Anstieg der Preise. Auf die Frage, ob Deutschland eine Rückkehr zur D-Mark prüfen sollte, antworteten dem Bericht zufolge 59 Prozent der Befragten Bundesbürger mit Ja. Jeder dritte Deutsche glaubt der Umfrage zufolge, dass es den Euro in zehn Jahren nicht mehr geben wird. Für die Erhebung befragte Emnid am vergangenen Donnerstag 502 Bürger.

Die Furcht vor einer Geldentwertung lässt nach einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ die Immobilienpreise in Deutschland anziehen. Nach Daten des Internet-Vermittlers Immobilienscout 24 von Ende April mussten Käufer für Neubauwohnungen 4,8 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor, wie das Blatt in seiner neuen Ausgabe berichtet.