Laut Medienbericht meldete der ehemalige SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy seinen dienstlichen Laptop dem Bundestag vergangene Woche als gestohlen. Partei setzt Mitgliedschaft aus.

Hannover/Berlin/Hamburg. Der Fall des unter Kinderporno-Verdacht stehenden Politikers Sebastian Edathy weitet sich zu einer veritablen Regierungskrise aus. Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrem Vize Sigmar Gabriel (SPD) das Vertrauen aussprach, ist das Klima in der Großen Koalition vergiftet. Merkel sagte, sie sehe Klärungsbedarf. Es sei zu prüfen, ob in dem Fall jemand falsch gehandelt habe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erwartet dringend Antworten auf ungeklärte Fragen.

SPD-Chef Gabriel verteidigte das Vorgehen seiner Partei und wies den Ruf aus der Union nach personellen Konsequenzen zurück. Die Verantwortungsträger der SPD hätten sich „nach bestem Wissen und Gewissen verhalten“. Die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD wollen sich an diesem Dienstag in Berlin zu dritt zusammensetzen. Den ursprünglich geplanten ersten Koalitionsausschuss in größerer Runde sagten die Bündnispartner ab.

Nachfolger des zurückgetretenen Bundesagrarministers Hans-Peter Friedrich (CSU) ist der bisherige Entwicklungsstaatssekretär Christian Schmidt. Friedrich hatte sein Amt am Freitag wegen der Edathy-Affäre niedergelegt. Er hatte Gabriel im Oktober – damals noch als Bundesinnenminister – darüber informiert, dass Edathys Name bei Ermittlungen im Ausland aufgetaucht sei. Das hatte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am vorigen Donnerstag öffentlich gemacht. Friedrich wird nun Geheimnisverrat vorgeworfen. Staatsanwälte prüfen, ob sie Ermittlungen gegen ihn einleiten.

CSU fordert Rücktritt von Oppermann

Im Zentrum der Kritik steht Oppermann, der die Vorgänge öffentlich gemacht und zudem versucht hatte, vom Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, Informationen dazu zu bekommen.

Die CSU hat Oppermann bereits den Rücktritt nahegelegt. Ihr Generalsekretär Andreas Scheuer sagte, Oppermann trage aus Sicht seiner Partei die politische Verantwortung. CSU-Chef Seehofer verlangte bis Ende dieser Woche Aufklärung von Oppermann über dessen Rolle in der Affäre. Eine Rücktrittsforderung an die Adresse des SPD-Politikers vermied Seehofer bislang. Ob in den kommenden Tagen „ein anderer Schalter“ bedient werden müsse, werde sich zeigen.

Für den Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneten Dirk Fischer ist das Klima in der Großen Koalition erheblich belastet. „Die Münchner haben einen dicken Hals", sagte Fischer dem Abendblatt. Das könne er auch nachvollziehen. „Wenn man auf so einer Ebene einen Hinweis gibt, dann ist das ein Akt der Diskretion."

SPD-Fraktionschef Oppermann habe den früheren Innenminister Friedrich mit einer "forschen Pressemitteilung" in Bedrängnis gebracht. Dabei sei Diskretion wichtig für eine gute Zusammenarbeit. "Wenn man da alles auf die Goldwaage legen würde, hätten viele Bundeskanzler zurücktreten müssen", so Fischer.

Der CDU-Politiker warnt gleichwohl davor, nun auf einen Rücktritt Oppermanns zu bestehen. "Wir sollten nicht mit scharfen Schwertern operieren, sonst haben wir irgendwann auch Gabriel vor der Blende", so der 70-Jährige.

FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki kündigte beim Sender n-tv an, Strafanzeige gegen Oppermann zu stellen, damit die Staatsanwaltschaft dessen Vorgehen untersuchen könne. Auch bei Ziercke wird geprüft, ob er unbefugt Dienstgeheimnisse weitergegeben hat. Im Raum steht der Vorwurf, jemand könnte Edathy wegen drohender Ermittlungen vorgewarnt haben. Das Misstrauen richtet sich vor allem gegen die SPD.

SPD setzt Mitgliedschaft Edathys aus

Gabriel wies das ausdrücklich zurück und sprach von abwegigen Unterstellungen. Weder er noch Oppermann oder Außenminister Frank-Walter Steinmeier hätten an Edathy oder dessen Umfeld Informationen weitergegeben. Möglicherweise seien aus Sicherheitskreisen Informationen nach außen gedrungen, mutmaßte der SPD-Vorsitzende. Er nahm Oppermann ausdrücklich in Schutz und sagte, dieser habe sich „absolut korrekt“ verhalten.

Deutlich distanzierte sich die SPD-Spitze von ihrem Parteikollegen Edathy. Präsidium und Vorstand seien „entsetzt und fassungslos“ über dessen Verhalten, sagte Gabriel. Edathy soll über Jahre mehrfach Nacktfotos von Jungen bei einer kanadischen Firma bestellt haben. Unklar ist aber, ob strafbares Handeln vorliegt.

Gabriel sagte: „Unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz sind Präsidium und SPD-Parteivorstand entsetzt und fassungslos über diese Handlungen und das Verhalten Sebastian Edathys. Sein Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag war daher mehr als gerechtfertigt. Sein Handeln ist unvereinbar mit der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag und passt nicht zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.“

„Es gab heute einen Vorstandsbeschluss: Dabei wurde das Ruhen aller Mitgliedsrechte von Sebastian Edathy angeordnet“, sagte eine SPD-Sprecherin der Nachrichtenagentur dpa. Laut „Spiegel Online“ strebt SPD-Chef Sigmar Gabriel ein Parteiordnungsverfahren an, das in einen Parteiausschluss münden könne.

Edathy meldete Laptop als gestohlen

Wie das Magazin „stern“ am Montag berichtet, seien im Fall Edathy unterdessen mögliche Beweismittel verschwunden. Nach Recherchen des Magazins hatte Edathy seinen dienstlichen Laptop dem Bundestag vergangene Woche als gestohlen gemeldet.

Der Sprecher des Bundestages, Ernst Hebeker, bestätigte am Montag, dass Edathy das Gerät am 12. Februar 2014 als gestohlen gemeldet habe. Durch wen Edathy diese Information an die Bundestagsverwaltung gegeben habe, sei „nicht verifizierbar“, sagte Hebeker.

Die ermittelnden Staatsanwälte in Hannover seien über den Diebstahl nicht informiert worden. „Das war uns bisher nicht bekannt“, sagte die Sprecherin der Ermittlungsbehörde, Kathrin Söfker, dem „stern“. Man nehme das „mit Verwunderung“ auf.

Edathy legt Dienstaufsichtsbeschwerde ein

Edathy selbst kritisiert das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Hannover gegen ihn scharf und hat nun beim niedersächsischen Justizministerium Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Behörde eingelegt. Für neue Fragen sorgt die Tatsache, dass das offizielle Schreiben der Staatsanwaltschaft über die Ermittlungen gegen Edathy unverschlossen im Büro von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) einging, wie ein Bundestagssprecher nun bestätigte.

Das Schreiben von Edathys Anwalt Christian Noll liegt dem Hamburger Abendblatt vor. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte am Montag den Eingang des Schreibens. Darin heißt es unter anderem, die Staatsanwaltschaft habe „bewusst unrichtig“ über das Verfahren gegen Edathy im Zusammenhang mit Kinderpornografie informiert.

So sei nicht erwähnt worden, dass das BKA und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt vor Beginn des Verfahrens in Hannover erklärt hätten, die von Edathy bestellten Bilder seien strafrechtlich nicht relevant. „Die Dienstaufsichtsbeschwerde gründet sich darauf, dass Herr Dr. Fröhlich die Öffentlichkeit im Rahmen seiner Pressekonferenz vom vergangenen Freitag bewusst unrichtig über das gegen meinen Mandanten geführte Ermittlungsverfahren unterrichtet hat. Er hat dabei zudem in mehreren Punkten zu erkennen gegeben, dass er nicht in der Lage ist, das Verfahren sachlich und unvoreingenommen zu führen“, heißt es in dem Brief.