Müssen erwachsene Kinder notfalls für die Heimkosten ihrer Eltern aufkommen, selbst wenn diese den Kontakt schon vor langer Zeit abgebrochen haben? Über diese Frage muss jetzt der BGH entscheiden.

Karlsruhe. Vier Jahrzehnte lang hatte sich ein Friseur aus Bremen kaum um seinen Sohn geschert. Er hatte nach der Scheidung den Kontakt abgebrochen, ab und zu noch eine Postkarte geschrieben und ihn später so gut wie enterbt. Jetzt soll der erwachsene Sohn für die Kosten des Pflegeheims aufkommen, das sich der vor zwei Jahren gestorbene Vater nicht mehr leisten konnte. Ist das gerecht? Über diese Frage muss nun der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entscheiden (AZ: XII ZB 607/12). Es geht um rund 9000 Euro, die die Stadt Bremen von dem Sohn zurückhaben will – einem Beamten, der selbst schon im Pensionsalter ist.

Das Amtsgericht Delmenhorst sah es als rechtens an, dass die Stadt bei dem Sohn die Kosten eintreiben will. Der wiederum bekam vom Oberlandesgericht Recht, worauf die Stadt Bremen die höchsten Zivilrichter anrief. Wann das Urteil fällt, ist noch unklar.

Der für Familienrecht zuständige XII. BGH-Zivilsenat muss klären, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf Elternunterhalt erlischt. Laut Gesetz wäre dies etwa dann der Fall, wenn sich der Vater mit dem Kontaktabbruch einer „schweren Verfehlung“ schuldig gemacht hätte.

Davon könne keine Rede sein, betonte der Anwalt der Stadt am Mittwoch bei der mündlichen Verhandlung vor dem BGH. Der Vater habe immer korrekt Unterhalt gezahlt. Es handle sich vielmehr um einen „möglicherweise tragischen, aber klassischen“ Fall nach altem Scheidungsrecht. Als die Eltern des Mannes sich 1971 getrennt hatten, hätten Väter es schwer gehabt, die Beziehung mit den bei der Mutter lebenden Kindern fortzuführen. „In fast der Hälfte der Fälle konnte in den 70er Jahren der Kontakt nicht aufrechterhalten werden“, zeigte sich der Bremer Anwalt vor Gericht überzeugt.

Die Anwältin des Sohnes sah das ganz anders: Das Desinteresse des Vaters nach dem Abitur des damals 19-Jährigen sei eine „tiefe Kränkung und Zurückweisung“ für ihren Mandanten gewesen. Postkarten seien nur kurz nach der Scheidung gekommen. „Dann war Schluss.“ Aus ihrer Sicht würde es dem Gerechtigkeitsempfinden „in unerträglicher Weise widersprechen“, wenn der Sohn nun zahlen müsse. Dass der Vater seine Bekannte zur Erbin eingesetzt hatte und der Sohn nur den „strengsten Pflichtteil“ erhalten sollte, sei Ausdruck von einem großen Mangel an elterlicher Verantwortung.

Nach Feststellung des Vorsitzenden Richters Hans-Joachim Dose hat der Vater die Beziehung zum Sohn „gemieden“ und „Desinteresse“ gezeigt. „Er hat die familiären Bande geleugnet.“ Doch reicht das, um den Sohn deshalb von seinen Verpflichtungen zu entbinden?

Der BGH hat in der Vergangenheit je nach Fall entschieden: So musste ein Mann 2010 der Stadt Gelsenkirchen 40 000 Euro für die Unterbringung seiner Mutter im Pflegeheim zahlen, obwohl die psychisch kranke Frau ihn als Kind nie gut behandelt hatte. Eltern haben auch dann Anspruch auf Unterhalt ihrer Kinder, wenn sie diese wegen einer schweren Krankheit nicht vernünftig versorgen konnten, entschied derselbe BGH-Senat damals (Az.: XII ZR 148/09).

Je nach Grundsatz- oder Einzelfallentscheidung könnte das Urteil auch bundesweit Auswirkungen für Städte und Gemeinden haben. Der Betrag der über die Sozialhilfe überwiegend von den Kommunen übernommenen Heim- und Pflegekosten summierte sich nach Angaben des Deutschen Städtetags im Jahr 2012 auf 3,7 Milliarden Euro.