Silvio Berlusconi soll in Haft. Keine öffentlichen Ämter für fünf Jahre. Berlusconis Partei heult auf, und seine Anwälte geißeln das Urteil als „absolut unglaublich“.

Rom. Wieder einmal hat der skandalumwitterte Silvio Berlusconi die Schlinge um den Hals. Doch auch diesmal würde es kaum verwundern, wenn der in Justizsachen abgehärtete Milliardär und Medienzar einmal mehr davonkäme. Zu drastischen vier Jahren Haft hat das Mailänder Gericht den 76-jährigen am Freitag verurteilt. Drei Jahre davon zogen ihm die Richter gleich wieder ab – unter Berufung auf ein Gesetz zum Strafnachlass von 2006. Dennoch wiegt das Urteil schwer.

Dass die Richter in dem Prozess um Steuerbetrug sogar noch über die Forderungen hinausgingen, die der Staatsanwalt gefordert hatte, das machte den eigentlichen Paukenschlag aus. Seit langem ist Berlusconi mit Richtern und Staatsanwälten auf dem Kriegsfuß. Bislang haben diese es nicht geschafft, den langjährigen früheren Regierungschef hinter Gitter zu bringen.

Berlusconis Mediaset-Unternehmen habe mit einem System „massivsten Steuerbetrugs“ die Kosten für Fernsehrechte um Hunderte von Millionen Euro aufgebläht, hielten die Richter in ihrer Urteilsbegründung fest. Um zu diesem Schluss zu kommen, brauchten sie sechs Jahre. Berlusconi war es gelungen, als Regierungschef mehrere Gesetze im Parlament in Rom durchzudrücken, die ihn – nicht nur im Mediaset-Verfahren – einer Verjährung näher brachten. Ob es ihm mit seinen gewieften Anwälten auch diesmal gelingen wird, zu einer Verjährung zu kommen, bleibt abzuwarten. Das, wofür er angeklagt war, geht auf die 1990er Jahre zurück.

Dennoch: Berlusconi befürchte, verurteilt zu werden, meinten italienische Journalisten schon vor dem Verdikt von Mailand. Ganz passend hatte der „Cavaliere“ am Mittwoch offiziell gemacht, dass er nach seinem Rücktritt Mitte November 2011 nicht erneut in das Rennen um den Posten des Regierungschefs gehen wird. Denn noch in diesem Jahr droht ihm auch im sogenannten Ruby-Prozess um Sex mit minderjährigen Prostituierten und Amtsmissbrauch eine Verurteilung in erster Instanz. All dies wäre keine gute Ausgangsbasis, seine unter stärkstem Wählerschwund leidende Partei PdL (Volk der Freiheit) im Wahlkampf zu führen. Ist es also doch das Ende der Ära Berlusconi?

Dies könnte wohl sein. Doch dass er ins Gefängnis gehen muss, ist unwahrscheinlich. Zwar haben die Mailänder Richter ihm am Freitag auch das Verbot auferlegt, öffentliche Ämter zu bekleiden. Aber auch dies wird, wie die Haftstrafe, zunächst nicht rechtskräftig. Anwälte erklären, dieses Verbot könnte für Berlusconi nur dann gelten, sollte er in dritter Instanz definitiv verurteilt werden. Zunächst bleibt auch unklar, wann die Straftaten verjährt sein würden.

Wie in anderen Prozessen auch haben Berlusconis Verteidiger einige Erfahrung sammeln können, wie man einen Mandanten gut über die Runden bringen kann. „Wir sind sicher, dass die nächsten Instanzen Berlusconi Recht verschaffen werden“, meinte sein Parteichef Angelino Alfano zu dem Urteil. Er soll wahrscheinlich die Partei, die doch ganz auf Berlusconi zugeschnitten ist, im Frühjahr im Kampf um das Parlament in Rom anführen. Die PdL spricht von „versuchtem politischen Mord“.

Dieses unerwartete und unverständliche Urteil sei der „x-te Beweis für eine verbissene Justiz, immer wenn es um Berlusconi geht“, sagt Parteichef Alfano. Und Berlusconis Anwälte geißelten den Richterspruch als „absolut unglaubliches Urteil“ – eines, das sie so sicherlich nicht stehen lassen werden.

Berlusconi zwischen Politik und Gerichtssaal

Schon in der Vergangenheit musste sich Berlusconi wegen verschiedener Delikte vor Gericht verantworten. Vor allem feuchtfröhliche „Bunga-Bunga“-Nächte und der „Ruby-Prozess“ beschäftigen seit Monaten die Medien:

3. Mai 2009: Veronica Lario gibt bekannt, dass sie sich nach 20 Ehejahren von Berlusconi scheiden lässt. Grund sei seine Vorliebe für junge Mädchen.

27. Mai 2010: In Mailand wird die 17-jährige Marokkanerin Ruby – mit richtigem Namen Karima El Mahroug – wegen mutmaßlichen Diebstahls festgenommen. Berlusconi meldet sich persönlich bei der Polizei und erwirkt ihre Freilassung. Später bestätigt er das.

14. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft ermittelt im „Fall Ruby“ gegen Berlusconi wegen Amtsmissbrauchs und Umgangs mit minderjährigen Prostituierten.

15. Februar: Eine Ermittlungsrichterin entscheidet: Berlusconi muss sich wegen Ruby in einem Schnellverfahren vor Gericht verantworten. 5. April: Das Abgeordnetenhaus folgt einem Antrag aus Berlusconis Mitte-Rechts-Lager und erklärt die Mailänder Justiz im „Ruby-Verfahren“ für nicht zuständig. Das Votum hat zunächst keine Auswirkung auf das anstehende Verfahren. 6. April: Der „Ruby-Prozess“ beginnt in Mailand und wird bereits nach fünf Minuten vertagt. Weder Berlusconi noch Ruby sind anwesend.

18. Oktober: In der Vorverhandlung um mutmaßliche Steuervergehen beim Verkauf von Film- und TV-Rechten seines Subunternehmens Mediatrade wird Berlusconi freigesprochen.

12. November: Wegen zu geringen Rückhalts unter den Abgeordneten tritt Berlusconi von seinem Amt als Regierungschef zurück. 7. Februar 2012: Ein Mailänder Gericht entscheidet, Berlusconi müsse sich wegen Beihilfe zur Veröffentlichung von abgehörten Telefongesprächen in einer Wirtschaftssache verantworten.

25. Februar: In einem Korruptionsprozess wird Berlusconi wegen Verjährung freigesprochen. Er soll dem britischen Anwalt David Mills angeblich 600 000 Dollar Schmiergeld gezahlt haben.

19. Oktober: Berlusconi beteuert vor Gericht, er habe niemals intime Beziehungen zu der minderjährigen Ruby gehabt.