Der Bundesverband der deutschen Banken appelliert an die Politik, den Reformdruck auf Griechenland aufrechtzuerhalten.

Brüssel. Wende zum Guten, oder Tropfen auf den heißen Stein? Beim Krisen-Gipfel in Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs der 17 Euroländer nach langen Verhandlungen in der Nacht zu Donnerstag einen 50-prozentigen Schuldenschnitt für Griechenland vereinbart. Und die Reaktionen fallen sowohl von politischer als auch von wirtschaftlicher Seite vornehmlich positiv aus. Das neuerliche, zweite Rettungspaket für Griechenland sieht einen Schuldenerlass der privaten Gläubiger von nominal 50 Prozent der rund 200 Milliarden Euro ausstehenden Staatsanleihen vor.

Nach Verhandlungen bis tief in die Nacht erklärte sich der internationale Bankenverband IIF bereit, eine entsprechende "freiwillige“ Vereinbarung zu entwickeln. Griechenlands Schulden sollen über einen im Januar beginnenden Anleihetausch um 100 Milliarden Euro sinken. Der Euro-Rettungsfonds EFSF soll den betroffenen Banken, Fonds oder Versicherungen eine Absicherung von 30 Milliarden Euro gewähren. Zudem erhält Griechenland vom EFSF ein zweites Kreditpaket von 100 Milliarden Euro bis 2014.

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Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou würdigte den vom Euro-Gipfel vereinbarten Schuldenschnitt für sein Land als nachhaltig. Nun könne Griechenland seine aus der Vergangenheit herrührenden Probleme ein für allemal lösen, sagte Papandreou am Donnerstagmorgen in Brüssel. Er hoffe auf gute Zukunft für Griechenland und Europa. Von 2012 an werde sein Land kein neues Defizit mehr vorlegen. Allerdings könnten einige griechische Banken als Ergebnis des Schuldenschnitts vorübergehend verstaatlicht werden. Vor Sitzungsbeginn hatte sich Papandreou noch einmal ausgiebig pathetisch gegeben: "Unsere Herausforderung heute ist nicht einfach den Euro zu retten, es geht um den Schutz der Ideale, die wir so sehr schätzen in Europa.“

Erfreut über die Ergebnisse des Brüsseler Gipfels zeigte sich auch Bundeskanzlerin Merkel. "Wir haben unser Angebot angstfrei vorgebracht“, sagte Merkel am Donnerstag in Brüssel über die Verhandlungen mit den privaten Gläubigern Griechenlands. "Ich glaube, dass wir in einer großen Kraftanstrengung diesen vieldimensionalen Ansatz hinbekommen haben, das war vor ein paar Tagen noch alles andere als selbstverständlich.“ Bevor Merkel am Mittwochabend nach Brüssel reiste, hatte sich die Kanzlerin nach einer Regierungserklärung im Bundestag eine breite Mehrheit für die Verhandlungen in der belgischen Hauptstadt eingeholt.

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"Genug ist genug. Der private Sektor muss auch einen Teil der Verantwortung übernehmen“, sagte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite nach dem EU-Gipfel. Recht nüchtern beantwortete Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker die Frage, warum die Banken dem Schuldenschnitt in Höhe von 50 Prozent letztlich zugestimmt habe: "Weil ihnen nichts anderes übrigblieb.“ Und EU-Ratspräsident Herman van Rompuy antwortete auf die Frage, ob die EZB weiter Staatsanleihen kaufen soll: "Wir haben keine Forderungen, nichts zu fragen.“ Auch ein Staatschef, der angesichts der Schuldenprobleme seines Landes in den Fokus des Gipfels gerückt war, zog es offenbar vor zu schweigen. "Berlusconi war zwar anwesend, hat sich aber nicht geäußert“, sagte Polens Premierminister Donald Tusk auf einer Pressekonferenz über den italienischen Ministerpräsidenten.

Deutsche Bank und Münchner Rück unterstützen Schuldenschnitt

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zeigt sich mit der Einigung auf einen Schuldenschnitt für Griechenland von 50 Prozent zufrieden. "Beide Seiten sind aufeinander zugegangen und haben im Interesse Europas einen befriedigenden Kompromiss erzielt“, sagte Ackermann auf Anfrage am Donnerstag in Frankfurt. Er ist Präsident des Welt-Bankenverbandes IIF, dessen Geschäftsführer Charles Dallara die Verhandlungen mit der Politik geführt hatte. Ackermann selbst hatte nicht an den Gesprächen teilgenommen.

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Der weltgrößte Rückversicherer Münchener Rück unterstützt den aus Investorensicht harten Schuldenerlass für Griechenland. „Der Schuldenschnitt für Griechenland ist für das Land und auch den Euro-Rettungsfonds kurz- und langfristig eine sinnvolle Lösung“, sagte der Vorstandschef der Münchener Rück, Nikolaus von Bomhard, am Donnerstag. „Er gibt Griechenland eine Chance zur Konsolidierung seiner Finanzen.“ Mit 50 Prozent fällt der sogenannte Haircut höher als zuletzt gedacht und von den Banken erhofft aus. Die Münchener Rück, einer der größten Investoren der Welt, hatte ihre Staatsanleihen zuletzt bereits auf die Marktwerte abgeschrieben und rechnet im dritten Quartal mit weiteren Wertkorrekturen.

Für die Landesbank Hessen-Thüringen, Helaba, bedeutet der Schuldenschnitt von 50 Prozent einen weiteren Verlust von 14 Millionen Euro. "Das ist auch Geld und gefällt uns nicht, wird aber die Helaba nicht gefährden,“ sagte ein Sprecher der Helaba am Donnerstag. Nach der Brüsseler Euro-Einigung müsse die Bank noch rund 14 Millionen Euro abschreiben. Die Griechenland-Forderungen in Höhe von 86 Millionen Euro seien bereits zu gut einem Drittel auf rund 57 Millionen Euro abgeschrieben, sagte der Sprecher.

Der Bundesverband der deutschen Banken appelliert nun an die Politik, den Reformdruck auf Griechenland und die übrigen in Bedrängnis geratenen Länder der Euro-Zone aufrechtzuerhalten. Nur dann sei gewährleistet, dass die Beschlüsse zu Schuldenschnitt, Rekapitalisierung der Banken und Hebelung des Rettungsschirms auch die gewünschten Erfolge zeigen, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes privaten Banken, Michael Kemmer, am Donnerstag zu den Ergebnissen des EU-Gipfels. Die Banken hätten mit ihrem Angebot, auf 50 Prozent ihrer Forderungen gegenüber Griechenland zu verzichten, einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg des Gipfels geleistet.

Als zu bankenfreundlich hingegen beurteilt der Linke-Vorsitzende Klaus Ernst die Beschlüsse des EU-Gipfels. Beim verabredeten Schuldenschnitt für Griechenland sei lediglich eine freiwillige Beteiligung der Geldinstitute vorgesehen, sagte Ernst am Donnerstag in Berlin. Nötig sei stattdessen eine gesetzliche Regelung. Unterm Strich sei der Schuldenschnitt "ein Geschenk“ für die Banken.

Ernst kritisierte auch die in Brüssel vereinbarte Hebelung des Euro-Rettungsschirms EFSF. Das Risiko, dass die von Deutschland bereitgestellten Bürgschaften in Höhen von 211 Milliarden Euro für den EFSF fällig würden, sei deutlich gewachsen. Man könne davon ausgehen, "dass diese Kohle auch weg ist“, urteilte Ernst.

Gedämpfter Optimismus in der Politik

"Ich glaube nicht, dass es heute Nacht eine endgültige Lösung geben wird“, sagte Schwedens Premierminister Fredrik Reinfeldt nach dem Treffen der 27 EU-Mitglieder. Ungarns Premierminister Viktor Orbán entgegnete auf die Frage, ob er optimistisch sei: "Wir haben ein Problem gelöst, das ist ok.“ Ins gleiche Horn stieß Cem Özdemir, denn der Grünen-Vorsitzende ist von den Ergebnissen des EU-Gipfels zur Finanzkrise nicht völlig überzeugt. "Wir sind noch nicht ganz zu Ende mit der Arbeit“, sagte Özdemir am Donnerstag im Nachrichtensender n-tv. Er fügte hinzu: "Nach der Krise könnte vor der Krise sein.“ Die Schuldenentlastung für die Hellenen reiche nicht aus, "denn Griechenland muss ja auch wieder produktiv werden. Griechenland braucht Arbeitsplätze, Infrastruktur.“ Die Grünen hätten im Bundestag hingegen guten Gewissens zugestimmt, weil die Regierung im Kern viele grüne Forderungen aufgenommen habe, gegen die sie selbst noch vor einiger Zeit war, sagte Özdemir.

In Deutschland wurde die vereinbarte stärkere Beteiligung der Banken an dem weiteren Hilfspaket für Griechenland parteiübergreifend begrüßt. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle sagte am Donnerstagmorgen in der ARD, das Treffen in Brüssel habe die Euro-Länder "einen Schritt nach vorn“ gebracht. Dies zeige auch die positive Reaktion der Märkte in Fernost. Eine weitere gute Botschaft des Gipfels sei, dass der Bundestag im Vorfeld stärker beteiligt und die Entscheidungsprozesse damit demokratisiert worden seien.

Zufrieden mit den Beschlüssen aus der Nacht zeigte sich auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der von einem guten Ergebnis sprach. Allerdings warf er Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut vor, eine 180-Grad-Wende vollzogen zu haben. Die Kanzlerin habe zu spät auf die Krise reagiert und damit die Risiken für den Steuerzahler erhöht, kritisierte Gabriel im Deutschlandfunk. Wichtig sei jetzt, dass die Bundesregierung weitere Schritte unternehme – allen voran die Einführung einer Steuer auf Börsengeschäfte. Mit den Einnahmen daraus könnte dann auch ein dringend benötigter Wiederaufbauplan für Griechenland und andere verschuldete Länder in Südeuropa finanziert werden.

Auch außerhalb Europas wurde der beim Euro-Gipfel vereinbarten Schuldenschnitt für Griechenland begrüßt. "Das sind Schritte in die richtige Richtung“, sagte der kanadische Ministerpräsident Stephen Harper am Donnerstag in Perth in Australien. "Es wurden Fortschritte erzielt.“ Die Krise der Euro-Zone bedeute die schwerste Bedrohung für die Erholung der Weltwirtschaft. Das ebenfalls zur Gruppe der acht führenden Industrienationen gehörende Japan begrüßte die Beschlüsse ebenfalls. Sie seien ein "großer Schritt vorwärts“, sagte Finanzminister Jun Azumi. Auch das aufstrebende China reagierte vorsichtig positiv. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua sprach aber zugleich von Schwierigkeiten, die jedoch nicht näher beschrieben wurden.

Mit Material von dpa, rtr und dapd