Polizei entdeckt neue Brandsätze an Bahngleisen in Berlin. Forscher sieht Parallelen zu Radikalisierung in den frühen 70er-Jahren.

Berlin. Einen Tag nach dem Fund von Brandsätzen in Berlin haben Bahnmitarbeiter gestern vermutlich drei weitere Anschläge auf Bahnanlagen vereitelt. In der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs wurden am frühen Nachmittag weitere Brandbomben gefunden. Erst am Vormittag hatten Bahnmitarbeiter am Grünauer Kreuz im Südosten der Stadt drei Brandsätze entdeckt. Polizeiexperten entschärften sie. Während des Einsatzes waren S-Bahn- und Regionalverkehr für zwei Stunden unterbrochen. Am Abend fanden Bahnmitarbeiter am S-Bahnhof Bornholmer Straße einen Brandsatz, der nicht gezündet hatte. Es war der vierte versuchte Anschlag in Berlin innerhalb von zwei Tagen.

Am Montag hatte ein Bahnmitarbeiter nahe einer Tunnelausfahrt nördlich des Berliner Hauptbahnhofs sieben vorbereitete Brandsätze entdeckt, die aber entschärft werden konnten. Am selben Tag war zudem in Brandenburg Feuer in einem Kabelschacht gelegt worden. Dadurch wurden Signalanlagen schwer beschädigt, die Strecke musste gesperrt werden, die Reparaturarbeiten sollen bis heute andauern.

Zumindest für die Anschläge vom Montag scheint ein Zusammenhang gesichert zu sein: Im Internet veröffentlichte eine linksextreme Gruppe ein Bekennerschreiben, in dem sie gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan protestierte. Das Landeskriminalamt Brandenburg und der Berliner Innensenator Eckhart Körting (SPD) halten das Schreiben für authentisch. Nach Angaben der Bundespolizei gibt es Parallelen zu den beiden ersten Anschlägen.

Nach den Angriffen will die Bahn bundesweit die Kontrollen an ihren Gleisen verstärken. Mitarbeiter, die sonst an anderen Stellen im Einsatz seien, sollen Kabelschächte kontrollieren. Auch in Berlin und Brandenburg wurden die Kontrollen von Gleisen und Anlagen ausgeweitet. Ein Sprecher der Bundespolizei sagte, sowohl uniformierte Polizisten als auch verdeckte Zivilermittler seien unterwegs. Ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera sei ebenfalls im Einsatz. Auch in Köln und München wurden die Sicherheitsvorkehrungen an Knotenpunkten der Bahn verschärft. Offen ist indes, wer genau hinter dieser Anschlagswelle steckt. Die Gruppe "Hekla", die das Bekennerschreiben unterzeichnet hat, ist den Ermittlern bislang völlig unbekannt. Dass sich das Schreiben von diesem Montag gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan richtet, passt nach Angaben von Verfassungsschützern allerdings zu einer linksextremistisch motivierten Tat.

Weitere Brandsätze an Berliner S-Bahn entdeckt

Es scheint zudem Parallelen zu zwei ähnlichen Anschlägen und Anschlagsversuchen im Laufe des vergangenen Jahres zu geben, bei denen Sicherheitsbehörden ebenfalls von einem linksextremistischen Hintergrund ausgehen. Im letzten Schreiben, nach einem Brandanschlag auf das Berliner Ostkreuz am 23. Mai, nahmen die Verfasser im Text Bezug auf einen isländischen Vulkan - auch Hekla ist ein isländischer Vulkan. Bereits Ende Mai warnte das Bundeskriminalamt vor neuen Anschlägen durch Linksradikale, bei denen auch Menschen verletzt oder getötet werden könnten. Schon 2010 bekannten sich die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) zu insgesamt drei Brandanschlägen in der Hauptstadt, meist auf Bundesbehörden. Dabei bezog sich die RAZ wiederum auf eine andere Vereinigung, die "militante gruppe" (mg), die sich selbst mehrerer Brandangriffe in den Jahren 2001 bis 2009 bezichtigt. Es gehe um die "sozialrevolutionäre und antiimperialistische Linie im Kampf für den Kommunismus", so die RAZ.

Der Kieler Terrorismus-Forscher Joachim Krause fürchtet, dass die Berliner Brandanschläge Indiz dafür sind, dass Teile der linksextremen Szene gewaltbereiter werden. Angefangen habe es mit Farbanschlägen und mit Beschädigungen von Autos. "Mir macht Sorgen, dass sich nicht absehen lässt, wo diese Entwicklung endet", sagt Krause. "Die Radikalisierung, die wir in linken Kreisen beobachten, hat durchaus Ähnlichkeit mit der Phase Anfang der 70er-Jahre, aus der heraus dann die RAF entstand. Auch dort begann es mit Brandanschlägen, schließlich kamen Entführungen und später Ermordungen dazu."

Dieser Deutung widerspricht jedoch der Verfassungsschutz. Ein Vergleich mit der RAF hinke, da sich der Organisationsgrad der Gruppierungen und die Sicherheitslage heute und damals nicht miteinander vergleichen lassen. Die aktuellen Brandanschläge seien unter Linken durchaus umstritten, weil sie auch Unschuldige beträfen. Zudem handele es sich im Übrigen noch nicht um einen Linksterrorismus, da es den Tätern weder darum gehe, den ganzen Staat anzugreifen, noch gezielt Menschen zu töten. Diese Deutung teilt auch Krause: "Noch ist es viel zu früh, von einem neuen Linksterrorismus zu sprechen." Es gebe auch keinen neuen Andreas Baader als führenden Kopf. "Vielmehr haben wir es aktuell vermutlich mit einer Gruppe von Linksradikalen zu tun, die auf die eine oder andere Weise in Verbindung mit der autonomen Szene stehen und deren Mitglieder immer extremer werden."