Nach 100 Tagen ohne Wehrpflicht und Zivis gibt es zwar einen guten Zulauf, aber auch Probleme. Jeder fünfte Neuling bricht vorzeitig ab.

Berlin/Hamburg. Ein bisschen Image-Arbeit muss bei der Bundeswehr dann doch noch sein. Mit dem Hauptgefreiten Frank Trepke zum Beispiel, ein junger Soldat beim Wachbataillon in Berlin. Oder mit dem schon erfahrenen Obermaat Christian Paul, Schiffstaucher aus Kiel. In kurzen Filmen, Texten und Fotos erzählen sie ab heute im Internet, warum sie so gern bei den Streitkräften arbeiten, über das Wir-Gefühl mit den Kameraden und die Truppe als Arbeitgeber. Mit dem neuen Portal www.wirdienendeutschland.de hat die Bundeswehr damit einen weiteren Kanal geschaffen, um junge Männer und Frauen für sich zu begeistern. Denn auch 100 Tage nach dem Aussetzen der Wehrpflicht muss sich die Armee weiter anstrengen, um genügend freiwillige Rekruten zu finden.

Dabei ist die erste Bilanz gar nicht so schlecht: Seit 1. Juli 2011 haben sich mehr als 7000 junge Menschen zum Dienst gemeldet. Die meisten von ihnen, rund 4600, starten jetzt im Oktober. 77 davon in Hamburg, 208 in Schleswig-Holstein und 495 in Niedersachsen. Das von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ausgegebene Mindestziel von 5000 Freiwilligen ist damit erreicht. Was den Minister allerdings weniger zufrieden stellen dürfte, ist die Abbrecherquote: Etwa jeder fünfte Neuling hat die Bundeswehr bereits wieder verlassen. "Viele schnuppern nur kurz in den Beruf rein oder überbrücken die Zeit bis zum Studium. Einige stellen auch fest, dass es ihnen körperlich zu anstrengend ist, Soldat zu sein", sagte Hans-Dieter Petersen, Landesvorsitzender beim Bundeswehrverband Nord, dem Abendblatt. Die Bewerberlage in Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen sei allerdings gut, "wir bekommen im Moment ausreichend Nachwuchs".

Die laufende Neuausrichtung der Bundeswehr ist die sechste Reform der Streitkräfte seit 1992 und die größte überhaupt. Um 62 Prozent wurde das Bundeswehrpersonal in den letzten 20 Jahren gekürzt, jetzt sollen die Truppen weiter reduziert werden: Von 220 000 Soldaten auf 185 000. Rund 170 000 von ihnen sind Berufs- und Zeitsoldaten, 15 000 Freiwillige. Zudem soll es Standortschließungen geben. Ein genaues Konzept dazu will de Maizière jedoch erst am 26. Oktober vorlegen. Verbandschef Petersen sorgt sich dabei vor allem um den Sanitätsdienst der Bundeswehr: "Wenn wie geplant mehr als 5000 Stellen in diesem Bereich wegfallen, kann eine flächendeckende Versorgung nicht mehr sichergestellt werden", so Petersen. Es sei dabei nicht bedacht worden, dass der Frauenanteil im Sanitätsdienst mehr als 60 Prozent betrage und es hier etwa durch Schwangerschaften viel häufiger zu einem Personalausfall komme. "Hier fehlt ganz klar ein Puffer, um dieses abzufedern", betonte er. Zudem würden bereits jetzt 400 Ärzte fehlen. "Ich frage mich, wie das in der Zukunft funktionieren soll. Das Sanitätskommando I in Kiel, das ohnehin vor eine Umstrukturierung steht, das Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg und die vielen Sanitätsdienststellen im Norden werden dann damit zu kämpfen haben."

Genau so geht es auch den vielen Organisationen und Einrichtungen, denen wegen dem Wegfall der Wehrpflicht jetzt die Zivildienstleistenden fehlen - denn der zum 1. Juli eingeführte Bundesfreiwilligendienst kompensiert die Lücken derzeit noch nicht. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) freut sich derzeit zwar schon über rund 18 000 geschlossene Verträgen zwischen den "Bufdis" und sozialen Einrichtungen in Deutschland, geplant sind allerdings 35 000 Stellen, die bis Ende 2012 besetzt werden müssen. Für ein Taschengeld von 330 Euro pro Monat kann sich jeder, der seine Pflichtschulzeit beendet hat, und ohne Altershöchstgrenze, sechs bis 24 Monate in den Bereichen Soziales, Umweltschutz oder Kultur engagieren.

Die Vereine und Organisationen haben derzeit zwar einen besseren Zulauf an Freiwilligen als anfangs befürchtet - ihr bisheriges Angebot aufrechterhalten können viele mit den Bufdis jedoch nicht. "Derzeit aber haben wir mit den Folgen des Wegfalls des Zivildienstes noch zu kämpfen", so Sven Quittkat, Sprecher des Diakonischen Werks in Hannover. "Dienstleistungen bei der Betreuung von älteren Menschen wie Ausflüge oder Begleitung im Alltag können wir in alter Form nicht mehr aufrechterhalten." Die Diakonie in Niedersachsen hatte meist um die 1000 Zivildienstleistenden pro Jahr plus 250 junge Menschen, die dort ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolviert haben. Heute gibt 325 FSJ-Stellen und 125 Bufdis - rund 800 Leute fehlen also. Ganz ähnliche Schwierigkeiten gibt es bei der Diakonie Schleswig-Holstein: "Aus unserer Sicht ist der Bundesfreiwilligendienst mit heißer Nadel gestrickt. Wir versuchen den Wegfall des Zivildienstes mit mehr Ehrenamtlichen auszugleichen, und damit, dass wir Teilzeitstellen in Vollzeitstellen umwandeln, so gut es geht", sagte Sprecher Michael van Bürk dem Abendblatt. "Eine enge Betreuung von Behinderten können wir allerdings nicht so schnell ersetzen. Durch den Wegfall des Zivildienstes entstehen Lücken. Aber wir arbeiten daran, sie zu schließen."

Bei der AWO Niedersachsen und Bremen offenbart sich ein weiteres Problem: So gibt es hier mit rund 320 FSJlern und 120 Bufdis ein völlig anderes Zahlenverhältnis als vom Familienministerium vorgesehen. Denn während Berlin eine Quote ausgegeben hat, nach der auf drei Stellen zwei Bufdis und ein FSJler fallen müssen, ist die Verteilung hier genau andersherum. Und das liegt an einem gravierenden Attraktivitätsproblem des Dienstes: Die Eltern eines Bufdis haben trotz des geringen "Taschengeldes", zu dem in Einzelfällen noch ein Wohngeld gewährt wird, keinen Anspruch mehr auf Kindergeld. "Der bisherige Wegfall des Kindergeldes ist gerade für sozial schwache Familie ein Hauptgrund, weshalb der Bundesfreiwilligendienst so geringe Akzeptanz hat", meint Sprecherin Anne Brandt. Am 25. November soll jedoch ein Gesetz den Bundesrat passieren, dass diese Schwachstelle behebt.